Der Tempel des Hephaistos in der antiken Agora, Athen.

Unterwegs in Athen
Besuch bei der alten Dame

Athen blutet: Finanzkrise, Flüchtlingschaos und Streiks schrecken Touristen ab. BLICK-Reisen-Autor Christian Bauer ist trotzdem hin und hat zwischen Ruinen und abgeblättertem Putz die «coolste Stadt am Mittelmeer» gefunden.
Publiziert: 02.06.2016 um 12:13 Uhr
|
Aktualisiert: 05.07.2019 um 13:19 Uhr
Christian Bauer

Giorgos Katrougalos ist mein Held. Der griechische Arbeitsminister hat dem Land einen freien Tag geschenkt, indem er den sonntäglichen 1. Mai kurzerhand auf den 3. verschoben hat. Nun macht das Leben 24 Stunden Pause. Alles hat geschlossen: Museen, antike Stätten und Shops. Herrlich.

Ferien in Griechenland finden hauptsächlich auf den Inseln statt, nur wenige zieht es aufs Festland oder gar nach Athen. Die Hauptstadt hat derzeit einen schlechten Ruf: Finanzkrise, Flüchtlingsströme und Streiks vermiesen vielen Besuchern die Ferienstimmung. Doch dank Herrn Katrougalos ist die Stimmung hier vorzüglich.

Chillen im Café hat hier Tradition

Anstatt wie ein Irrer die Sehenswürdigkeiten abzuklappern, verbringe ich den Tag in einem der gemütlichsten Cafés, das ich kenne, und mache es wie die Athener an einem Feiertag: Ich ertränke die Zeit in Milchkaffee und kitte die Risse der Realität mit Kuchen. Die Liebe der Athener zu ihren Cafés und einem gemütlichen Schwatz mit Freunden ist legendär. Die Kissen und Tischchen auf der Treppe vor dem Café Yiasemi sind gerammelt voll. Mittendrin liegt eine Katze und schläft, auch sie hat heute frei. Ich bleibe nicht lange alleine, eine Gruppe Studenten setzt sich mit an den Tisch.

Berühmter Selfie-Spot: Doch wer auf der Akropolis vor lauter Foto-Wahn den Geist der Vergangenheit nicht spürt, verpasst etwas.
Foto: GettyImages
Schöne Stunden im Café Yiasemi.
Foto: Christian Bauer

Nach dem ersten Smalltalk dreht sich das Gespräch schnell um die Finanzkrise – am Wochenende will die Regierung ein neues Sparpaket verabschieden. «Das bricht uns das Genick», sagen sie. «Alexis Tsipras, der Ministerpräsident, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.» Die Hoffnungen der Menschen auf eine Besserung ihrer Lebenslage sind nach der Wahl zerbröselt wie die Akropolis-Statuen im sauren Regen. «Alle Tische sind besetzt, die Menschen sind fröhlich: Ich merke nichts von der Krise», sage ich. «Wir lassen uns doch von der Politik nicht unsere Café-Zeit wegnehmen», lachen sie. «Aber wir gehen nur noch an besonderen Tagen aus, so wie heute.»

Sexy Athen

Die rigide Sparpolitik hat dem Land die Luft abgeschnürt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent – der EU-Durchschnitt beträgt 8,8 Prozent. 250'000 Betriebe haben Pleite gemacht, Menschen sind obdachlos geworden. Viele junge Leute sind wieder zu ihren Eltern gezogen. Die «krísis» ist allgegenwärtig – auch wenn das die Besucher kaum merken. Denn die Lust am Genuss lassen sich die jungen Athener nicht nehmen. Leider bleiben zusehends die Touristen aus und mit ihnen die dringend benötigten Euros. Athen fehlt es in der Meinung von Rest-Europa am Sex-Appeal von Barcelona, Nizza oder Dubrovnik. Es stimmt, Athen ist keine solche Schönheit.

Blick von der Akropolis auf Athen.
Foto: Christian Bauer
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Man wünscht der Stadt ein Meer voller Fassadenputz und Wandfarbe. Es gammelt an allen Ecken und Enden. Aber die Patina hat ihren Reiz. Die Fünf-Millionen-Stadt ist sexy auf eine eigenwillige Art. «Weshalb», so denkt sich Athen, «soll ich mich aufmotzen? Mich gibt es schon seit 3500 Jahren. Da darf ich wohl ein paar Falten haben.» Was der Stadt an Grandezza fehlt, macht sie mit einer Flut an interessanten Bars, Galerien und Lounges wieder wett. Kein Wunder, dass sich Athen langsam zum europäischen Hipster-Hotspot Nummer 1 mausert. Viele Digital-Nomaden zieht es (auch wegen den günstigen Lebenskosten) an die Akropolis. Abends trifft man sich dann in In-Locations wie zum Beispiel der «Art Foundation», die sich in einem überdachten Innenhof befindet. Umgeben von alten Wohnhäusern, die mittlerweile zu Galerien umgewandelt wurden, nippt man an Cocktails und die Nachfahrinnen der schönen Helena zeigen stolz, was sie zu bieten haben. Im «Usgang» geben Mann und Frau alles, da sind Jeans und Schlabberpulli verpönt.

Tavernen - Inseln des kulinarischen Glücks

Während sich die Hippen und Schönen in Designerlounges treffen, geht es in den Tavernen ausserhalb des Stadtzentrums landestypischer zu. Dort stehen einfache Alutische auf dem Trottoir, der Gastraum gleicht einer Wartehalle. Die Gemütlichkeit haben die Griechen in ihren Tavernen nicht erfunden – dafür gibt es gutes, ehrliches Essen. Der Wirt übersetzt mir die griechische Speisekarte, was sich in seinem Schulenglisch anhört wie: «Das ist Dingens mit Dingsbums in Dings gebraten.» Es hat keinen Sinn. «Wissen Sie was: Bringen Sie mir Rotwein, Brot, Oliven, einen Salat, typische Vorspeisen und Ihr bestes Hauptgericht.» Das gefällt ihm. Und bald türmen sich auf meinem Tisch Oliven in allen Formen, Tomatensalat, gebackener Käse, Tzatziki und Lammkoteletts. Und während es äusserst betörend duftet, hoffen neben meinem Stuhl drei Katzen auf einen Festschmaus. Ich esse fast zwei Stunden lang und bin bei weitem nicht der Langsamste. Genuss hat in Athen Tradition – schon die alten Griechen liessen es sich bekanntermassen gut gehen.

Der Tempel des Hephaistos in der antiken Agora, Athen.

Irgendwann ist der verschobene 1. Mai vorbei, und ich mache mich daran, die Akropolis und andere Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Hier wurde vor 2500 Jahren unsere Kultur erfunden: Theater, Philosophie, Demokratie, Geometrie. Über den gleichen Boden zu flanieren, auf dem einst Sokrates, Platon und Aristoteles ihre Ideen entwickelt haben oder über den Pheidippides rannte, um die Nachricht vom Sieg der Griechen in der Schlacht bei Marathon zu überbringen, ist ergreifend. Und genau deshalb ist Athen doch die coolste Stadt am Mittelmeer: Am Tag kann man in der Vergangenheit schwelgen und abends in modernen Bars abfeiern. Beinahe hätte sich mein Aufenthalt wegen eines Generalstreiks gegen das neue Gesetz verlängert. Leider haben sich Taxifahrer und Flughafenarbeiter nicht beteiligt. Schade, eine weitere Zwangspause hätte mir gut gefallen.

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