Phoenix aus der Asche
Warum sich ein Trip nach Beirut lohnt

Das Beiruter Hotel Phoenicia ist die erste Adresse in der libanesischen Hauptstadt. Die wechselvolle Geschichte des Luxustempels inmitten von Kriegsruinen.
Publiziert: 16.06.2015 um 13:06 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 13:29 Uhr
Auferstehung inmitten von Ruinen: Das Hotel Phoenicia neben dem im Bürgerkrieg zerstörten Holiday Inn Hotel.
Foto: Gabriela Brugger, Getty Images, AFP
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Von Oliver Affolter

Türkischer Kaffee am Pool, dazu orientalische ­Patisserie und eine Sisha: Im Phoenicia sitzt man inmitten eines Geschichtsbuchs. Das Hotel ist benannt nach den Phöniziern, den grossen Seefahrern des Altertums, die im Gebiet des ­Libanon lebten. Da ist die berühmte modernistische Fassade mit ihren orientalischen-ornamentalen Balkonen aus der goldenen Zeit, als Beirut Paris des Nahen Ostens genannt wurde. Und da sind Spuren der jüngeren Vergangenheit: eine hässliche, hohe Ruine, die in den mediterranen Himmel ragt. Die verrusste Front ist pockennarbig durchlöchert. Fensterlose Löcher klaffen wie hässliche Zahnlücken: das ehemalige Holiday Inn steht noch immer so zerbombt da, wie am Ende des Bürgerkriegs 1990.

Richtung Mittelmeer sticht das alte Saint George Hotel ins Auge. 1934 gebaut, war es lange das wohl berühmteste Hotel Beiruts, wenn nicht gar des ganzen Mittleren Ostens. An der legendären Hotelbar tummelten sich ­Diplomaten, Journalisten und Spione. Gleich beides – offiziell Schreiber, im Geheimen Schnüffler – war Stammgast Kim Philby (1912–1988). Von hier aus floh der berühmte britische Doppelagent 1963 nach Moskau. Fehlten im libanesischen Abgeordnetenhaus Stimmen fürs Quorum, so holte der Sprecher absente Politiker auch schon mal höchstpersönlich an der Saint-George-Bar ab und marschierte mit ihnen zum Parlamentsgebäude am Place de l’Etoile zurück.

Geblieben ist auch hier eine leere Hotelruine – und das an bester Lage direkt am Meer. ­Zerstört im Bürgerkrieg – und vor zehn Jahren nochmals, beim blutigen Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri und seinen Konvoi – direkt vor dem Eingang des Hotels.

Badenixen vor den Bullaugen

Das Phoenicia, das Holiday Inn, das Saint George: Sie alle sind engstens und untrennbar mit der Geschichte Beiruts verbunden. Wegen des ersten libanesischen Bürgerkriegs mussten 1958 bereits die Bauarbeiten des Phoenicia unterbrochen werden. Bei der glamourösen Eröffnung drei Jahre später boomte der Luxustourismus in Libanon. Wo sonst konnten wohlhabende Europäer morgens in den Bergen Ski fahren und nachmittags an der libanesischen Riviera im Meer baden? Orientalisches Ambiente in westlichem Luxus geniessen? Bauchtanz sehen und Bankengeschäfte abschliessen – Libanon, die Schweiz des Nahen Ostens, hatte schliesslich nicht nur Schneeberge, sondern kannte seit 1956 auch das Bankgeheimnis. Dubai, Abu ­Dhabi, Sharm el Sheikh oder Zypern waren  noch nicht für Touristen gerüstet.

Das «Life»-Magazin beschrieb Beirut damals als «eine Art Las Vegas und St. Moritz, abgeschmeckt mit den Gewürzen Arabiens». Mittelmeerkreuzfahrten machten hier auf halbem Weg halt, und selbst der legendäre Rund-um-die-Welt-Flug von Pan Am landete regelmässig in Beirut. Das Phoenicia – mit seinen 446 Zimmern neues Wahrzeichen der Stadt – durfte auf keiner Postkarte fehlen. Der ovale Swimmingpool und die Unterwasserbar «sous la mer», durch deren Bullaugen man die Badenixen ­beobachten konnte, gaben Stoff für Reportagen. «Beirut by Night» mit seinen Nachtclubs und ­lockeren Sitten, lockte auch Gäste aus den konservativen Golfstaaten an. «Mehr Nachtclubs pro Quadratmeter als irgendwo sonst auf der Welt», versprach eine Broschüre der libanesischen Middle Eastern Airlines. Es waren gol­dene Zeiten.

Bardot, Brando und Belmondo waren hier

Das glamouröse Fünf-Sterne-Hotel wurde zum begehrten Filmset und Liebling internationaler Stars und Politiker: Brigitte Bardot, Jean Seberg, Jean-Paul Belmondo, Marlon Brando, Shirley Bassey und Jacques Brel stiegen im Phoenicia ab. Mit ihnen kamen die Anekdoten: Für den deutschen Bundespräsidenten und Liebhaber von Äpfeln Heinrich Lübke flog man per Lufthansa badische Äpfel ein. Dieser zeigte sich dann entzückt darüber, welch köstliche Äpfel es in Libanon doch gebe. Im piekfeinen libanesisch-französischen Restaurant L’Age d’Or, im zwölften Stock des Hauses, kramte US-Präsident Lyndon B. Johnson bei ­seinem Besuch eine Campbell-Büchsensuppe hervor und bat den Maître d’Hôtel, diese aufzuwärmen. Der dienstälteste Phoenicia-Mit­arbeiter, Said Abou Izzeddin, erzählt von einem Gast, der morgens um zwei die Rezeption an­rief und den Namen der ersten russischen Kosmonautin wissen wollte – für ein Kreuzworträtsel. Ein Hotelpage kannte die Antwort: Walentina ­Tereschkowa. Doch wer war der Gast? Es war ein betuchter Brite – in seiner Hochzeitsnacht!

1975 aber kam der libanesische Bürgerkrieg. Die legendäre «Schlacht der Hotels» brach gleich zu Beginn des Kriegs in Beiruts Hoteldistrikt am Meer aus. Statt vornehmer Klientel am Buffet kämpften jetzt christliche gegen muslimische und PLO-­Milizen in den Lobbys, Gängen und Zimmern. Das Phoenicia, das Holiday Inn, das Saint George und andere Hotels wurden zu Schlachtfeldern. Von den Dächern beschossen sich die Bürgerwehren mit Raketenwerfern und Panzerfäusten. Überall lauerten Heckenschützen, Menschen wurden von den Hotelbalkonen in die Tiefe ­geworfen, Etagen brannten. 15 Jahre dauerte der grausame Bürgerkrieg. Geschätzte 150 000 Menschen kamen ums Leben. Beiruts Zentrum lag in Schutt und Asche, und auch an der ehemaligen «Hotelfront» boten sich apokalyptische Bilder. 1990 war die Hälfte der Beiruter Hotels unbewohnbar.

Erst zehn Jahre später konnten die ersten Gäste wieder ins Phoenicia einchecken. Andere – wie das Saint George – blieben Ruine. Dessen Besitzer führt heute einen anderen Krieg: «STOP SOLIDERE» fordert er auf einem vom Phoenicia aus unübersehbaren Riesenplakat an seiner ­Hotelfassade. Und wehrt sich so gegen einen neuen, privaten Luxus-Yachthafen. Solidere ist das französische Kürzel für «Libanesische Gesellschaft für die Entwicklung und den Wiederaufbau von Beirut». Gegründet vom Multimil­liardär und ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri, der vor zehn Jahren just dort durch eine Autobombe ermordet wurde.

Tripolis mit Tripoli verwechselt

Kein Wunder, halten heute Sicherheitsleute ­Taxis und Privatwagen in sicherer Distanz zum Hauptportal an. Sie öffnen Hauben, kontrollieren Auto und Insassen genau. Erst dann fahren sie die schwere Metallsperre am Boden runter. Am Hoteleingang gibts für Gast und Gepäck nochmals einen Scan. Das drückt auf die Stimmung – trotz Luxus und perfekter Gastfreundlichkeit. Auch die aktuellen Probleme lassen sich nicht einfach weg­wischen: der Krieg in Syrien, die 1,5 Millionen Flüchtlinge im kleinen Libanon, der Dauerkonflikt mit Israel und die unsichere politische Lage – der Staat ist seit über einem Jahr ohne Präsident. Kein Wunder, wirkt die Lobby des Hotels oft leer und wartet der Mann mit den Shisha-Pfeifen auf der Terrasse länger als früher auf Gäste. Trotz mustergültiger Renovation des Gebäudes vermisst man den sorgenlosen Esprit und den internationalen Glamour der goldenen Phoenicia-Jahre, den der heutige Hotelgast nur aus Büchern und Filmen kennt.

Nachdem die Golfstaaten ihre Reisewarnung für Libanon 2014 aufgehoben haben, kommen zwar Saudis und Kuwaitis wieder vermehrt ins freizügige Beirut. In den ersten vier Monaten dieses Jahres waren die Hotels zu 54 Prozent besetzt – letztes Jahr waren es noch 42 Prozent. Europäische Touristen sieht man eher selten. Europäer seien zu sicherheitsorientiert, sagt Phoenicia-Direktor Georg Weinlaender, dabei könne einem zur falschen Zeit am falschen Ort überall auf der Welt etwas passieren. Und ­manche seien einfach schlecht informiert: Der Hotelier erzählt von einem Gast, der seine ­Buchung stornierte. Begründung: Tripoli werde bombardiert! Er verwechselte das libysche Tripolis mit dem libanesischen Tripoli.

Das Phoenicia hat die Stornierung überlebt, wie so vieles in den 53 Jahren zuvor. Mit dem magischen Beirut entsteigt es – dem Phoenix gleich – immer wieder aus der Asche.

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