Regisseurin Yana Ross über Livesex im Schauspielhaus
«Pornografie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft»

Sie bringt Live-Sex auf die Theaterbühne: Damit will Regisseurin Yana Ross nicht skandalisieren, sondern drückt auf die Tabu-Knöpfe in unserer Gesellschaft.
Publiziert: 13.09.2021 um 01:02 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2021 um 13:44 Uhr
Interview: Katja Richard

Sie legt den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft, dieses Mal mit Sex. Regisseurin Yana Ross (48) bringt Live-Sex auf die Bühne vom Schauspielhaus: Im Stück «Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit» nach David Foster Wallace spielen zwei Porno-Darsteller mit.

Sex auf der Bühne, geht es dabei nicht nur um skandalisierte Aufmerksamkeit?
Yana Ross: Wenn es nur darum ginge, wäre die Show in zehn Minuten vorbei. Ich musste mich sehr anstrengen, um Bedeutungen, Schichten und Assoziationen für das Publikum zu schaffen, das mit dem Geschlechtsverkehr konfrontiert wird, um sich in einen bestimmten Geisteszustand zu versetzen, um die Kraft der literarischen intellektuellen Provokation von Wallace zu empfangen. Sex ist im Vergleich zu den Worten von Wallace mild! Und das ist teilweise der Sinn einer solchen Performance. Ich finde skandalisierte Aufmerksamkeit in der Kunst nicht so interessant, aber das Thema Tabu ist dennoch sehr wichtig und notwendig in meiner kontinuierlichen Arbeit. Wenn vielleicht das Hinterfragen der Ängste und Befürchtungen in der Gesellschaft skandalös sein kann, dann sehen wir deutlich, wo Tabus sind.

Persönlich schaue ich mir bewusst keine Pornos an, wieso soll ich mir das Stück trotzdem anschauen?
Ich persönlich schaue mir bewusst keine kostenlosen Pornos an, denn professionelle Arbeit sollte entsprechend entlohnt werden, und ich sehe Pornografie als ein Pop-Genre, das die Fantasiewelt eines Konsumenten etabliert. Sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft, man kann sie als kulturelles Phänomen studieren, zusammen mit ihrem Einfluss auf Popmusik, Mode, Fernsehsendungen und umgekehrt.

Regisseurin Yana Ross bringt Sex auf die Bühne des Schauspielhauses.
Foto: Credit: Schauspielhaus Zürich (PD)
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Als Darsteller haben Sie zwei Darsteller aus der Adult-Branche engagiert, was unterscheidet deren Performance von dem, was man in Sexfilmen sieht?
Dies ist ein grundlegender Unterschied, wenn man eine orientierende Distanz zum Bildschirm einnimmt und etwas zeigt, was bereits geschehen ist und daher bereits aufgeführt wurde, im Vergleich zu dem Akt, der live stattfindet, der einen hier und jetzt und auch als Teil der Gruppe betrifft, indem man gemeinsam neue Bedeutungen von theatralischen Herausforderungen erfährt. Es ist ein Werkzeug, um künstlerisch zu kommunizieren. Ein mächtiges Werkzeug und verstörend, aber wir tun es ohne Provokation, wir wollen das Publikum nicht schockieren oder abstossen, wir sind alle erwachsen. Niemand unter 18 Jahren ist zugelassen und jeder kann jederzeit gehen.

Wie funktioniert das, wenn klassische Schauspieler mit Porno-Darstellern zusammen spielen?
Ich habe das grosse Glück, mit Kasia Szustow zu arbeiten – einer Pionierin auf dem Gebiet der Intimitätskoordination und des Coachings in Film und Fernsehen und jetzt auch im Theater. Als Profi ist sie darin geschult, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem künstlerische Herausforderungen in Zusammenarbeit entwickelt werden können, ohne persönliche Grenzen zu überschreiten.

Ist Live-Sex wirklich das, was das Publikum im Schauspielhaus sehen will?
Ich kann nicht für das Publikum antworten, ich habe den künstlerischen Auftrag, den brillantesten literarischen Autor des 20. Jahrhunderts zu inszenieren, und sein Werk ist sehr stark mit einer bestimmten Art von menschlicher Einsamkeit verbunden, die aus der Unfähigkeit entsteht, Beziehungen aufzubauen, die aus schrecklichen Eltern-Kind-Beziehungen herrührt und ein lebenslanges Leiden für jemanden hervorruft, der nicht mit einem Partner intim sein oder Liebe finden kann.

Es geht um «fiese» Männer und die Abwertung und Sexualisierung von Frauen, steht es wirklich so schlecht um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern?
Ich denke, dass Beziehungen zwischen Menschen oft ziemlich schrecklich sind, und das macht keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Aber wichtig ist, dass Wallace aufzeigt, wo die Wurzeln der Probleme der Fehlkommunikation liegen und wie toxische Männlichkeit infrage gestellt, geheilt und transformiert werden kann. Er spricht zu einem weiblichen Publikum, und sein mutiger Standpunkt ist, dass er es nicht wagt, für eine Frau zu sprechen, er schreibt nicht aus einer weiblichen Perspektive. Aber als Leserin komme ich mit ihm ins Gespräch, und das ist zutiefst befriedigend!

Sie vergleichen Theater mit Therapie, was soll man aus Ihrem Stück mitnehmen?
Hoffentlich fängt man an, über die eigenen Fehler in Beziehungen nachzudenken und betrachtet seine Mitmenschen mit mehr Einfühlungsvermögen und Respekt, mit mehr Leichtigkeit und Freundlichkeit und hoffentlich auch mit mehr Lust!

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