Jede Frau kann den vaginalen Orgasmus erreichen, heisst es oft. Es gibt zahlreiche Anleitungen und Ratgeber, die Frauen dazu verhelfen sollen, vaginal zum Höhepunkt zu kommen. Damit ist gemeint: während der Penetration, ohne direkte Stimulation der Klitoris. Doch ist das wirklich trainierbar? Manche Biologen bezeichnen den vaginalen Orgasmus als Mythos und sagen, dass die Vagina grösstenteils unempfindlich ist. Blick hat Sexualtherapeutin Karoline Bischof (62) aus Zürich gefragt, was denn nun stimmt.
Kann jede Frau einen vaginalen Orgasmus haben?
«Das lässt sich nicht abschliessend sagen», sagt Bischof. Aber für viele Frauen sei es ohne entsprechende Lernschritte schwierig, nur über vaginale Penetration zum Orgasmus zu kommen. Die Behauptung, dass eine Frau in der Vagina nichts spüre, sei hingegen absurd. Die Oberfläche ist gemäss Expertin tatsächlich nicht so empfindlich, weshalb es für die meisten Frauen uninteressant ist, wenn der Mann seinen Penis nur hinein- und herausbewegt. «Viel spannender ist es, wenn die Frau oder der Mann schaukelnde Bewegungen macht, sodass die Druck- und Dehnungsrezeptoren in der Vagina stimuliert werden.» Auch der sogenannte G-Punkt, also die Region vor der Harnröhre, sei eine hochsensible Stelle.
Funktioniert ein vaginaler Höhepunkt ganz ohne Klitoris?
Nein, sagt Bischof. «Es ist unrealistisch, den vaginalen Orgasmus vom klitoralen Orgasmus zu trennen, weil die Klitoris-Schenkel bei der Penetration mit stimuliert werden.» Für viele Frauen reiche das aber nicht aus, um zum Orgasmus zu kommen. Sie brauchen die zusätzliche Stimulation des Klitoris-Kopfs, in der Fachsprache Klitoris-Eichel genannt. Mit etwa 8000 Nervenenden ist das die empfindlichste Stelle des weiblichen Genitalbereichs.
Wie hilfreich sind Orgasmus-Ratgeber?
Die Expertin sagt: «Sie sind in jener Hinsicht super, dass sie das Thema auf den Tisch bringen und Frauen neugierig machen.» Allerdings könne auch ein Leistungsdruck entstehen, wenn behauptet werde, dass jede Frau vaginal zum Höhepunkt kommen könne. «Das finde ich heikel», sagt Bischof. «Klappt es bei einer Frau nicht, obwohl sie die Anleitung Schritt für Schritt befolgt hat, kann das frustrierend und belastend sein.» Das Problem ist gemäss Expertin, dass diese Ratgeber nicht auf die individuellen Stärken und Fähigkeiten einer Frau eingehen.
Karoline Bischof (62) ist Sexualtherapeutin mit 25-jähriger Erfahrung. Am Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie berät sie sowohl Frauen als auch Männer. Ausserdem bildet sie angehende Sexualtherapeutinnen und -therapeuten aus. Bischof hat ursprünglich an der Universität Zürich Medizin studiert und bis vor wenigen Jahren neben ihrer therapeutischen Tätigkeit auch als Gynäkologin gearbeitet.
Karoline Bischof (62) ist Sexualtherapeutin mit 25-jähriger Erfahrung. Am Zürcher Institut für klinische Sexologie und Sexualtherapie berät sie sowohl Frauen als auch Männer. Ausserdem bildet sie angehende Sexualtherapeutinnen und -therapeuten aus. Bischof hat ursprünglich an der Universität Zürich Medizin studiert und bis vor wenigen Jahren neben ihrer therapeutischen Tätigkeit auch als Gynäkologin gearbeitet.
Inwiefern ist eine Sexualtherapie besser?
In der Therapie könne man herausfinden, welcher Ansatz für eine Frau funktioniere, sagt Bischof. «Ich bespreche mit meinen Patientinnen, was sie bereits können, wie sie ihren Körper wahrnehmen und wie sie in Kontakt mit sich und ihrem Geschlecht sind.» Das spiele alles eine Rolle beim Orgasmus. Gemäss Expertin ist die Kunst der Therapie, den Frauen zu helfen, motiviert zu bleiben, zu üben und nicht aufzugeben. Bischof berät viele Frauen, die zwar durch Stimulation des Klitoris-Kopfs einen Orgasmus haben, aber nicht beim Sex. «Einer der Hauptgründe für Unlust bei Frauen ist, dass sie während der Penetration nicht besonders viel spüren», sagt Bischof. Es sei höchstens emotional interessant, weil sie ihrem Partner nah seien. «Lernt die Frau, über die Vagina sexuelle Erregung zu erleben, wird auch der Geschlechtsverkehr viel reizvoller.»