Das war der Auftritt von Pussy Riot in Zürich
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Mit Punk gegen Putin:Das war der Auftritt von Pussy Riot in Zürich

Pussy Riot in der Schweiz
«Putin wird euch alle verarschen!»

Sie trotzen Putin mit provokativer Performance: Die Mitglieder der russischen Punk-Formation Pussy Riot gehören zu den bekanntesten Kreml-Kritikerinnen. Auf ihrer Tournee, die sie ans Theater Spektakel nach Zürich führte, rufen sie zu mehr politischem Engagement auf.
Publiziert: 23.08.2022 um 17:39 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 20:31 Uhr
Interview: Katja Richard

Nichts kann sie stoppen: Die russische Punk-Formation Pussy Riot spielt weiterhin den ungefilterten Sound der Putin-Kritik und pinkelt sogar auf sein Bild. Ein kräftiger Tritt ans Schienbein des russischen Präsidenten war die heimliche Flucht von Marija «Masha» Aljochina (34) im Mai. Um ihren Überwachern in Moskau aus dem Hausarrest zu entkommen, verkleidete sie sich als Food-Lieferantin. Seither tourt Masha mit der Performance «Riot Days» durch Europa, eine Fussfessel soll an ihre Gefangenschaft erinnern. Mit auf der Bühne steht Diana Burkot, die bereits beim aufsehenerregenden Auftritt 2012 in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau mit von der Partie war und die Newcomerin Olga Borisowa (27), eine ehemalige Polizistin. Blick hat das Trio am Theater Spektakel getroffen.

Diana, Sie waren bei der Aktion in der Christ-Erlöser-Kirche dabei, wurden aber nicht verhaftet. Wie war das damals für Sie?
Diana: Ich hatte wirklich Angst, denn niemand von uns hatte damit gerechnet, dass es so ausgehen würde. Danach habe ich mich den ganzen Sommer in der Ukraine versteckt, acht Jahre lang bin ich untergetaucht und anonym geblieben. Für meine mentale Gesundheit war das nicht gut, ich wurde paranoid, jetzt geht es mir wieder besser. Es war keine gute Erfahrung, aber für die Frauen im Gefängnis war es noch schlimmer.

Was hat Sie dazu gebracht, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Ich habe realisiert, dass ich diesen Teil meines Lebens akzeptieren muss. Darum trete ich wieder mit Pussy Riot auf und spreche darüber. Inzwischen ist es auch sicherer für mich, zumindest so lange ich nicht in Russland bin.

Die feministische Formation Pussy Riot am Zürcher Theater Spektakel.
Foto: STEFAN BOHRER
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Könnt ihr jemals wieder zurück nach Russland?
Eines Tages ja, das hoffen wir alle. Unsere Familie, Freunde und unser Leben sind dort. Wir wissen bloss nicht, wann es so weit sein wird.

Mit eurem Auftritt provoziert ihr das russische Regime, ihr pinkelt sogar auf Putin, keine Angst vor Konsequenzen?
Hier fühlen wir uns sicher, in Russland würden wir direkt im Gefängnis landen. Unser Protest ist das Mindeste, das ich tun kann, um etwas zu verändern.

Was ist mit eurer Familie?
Mein Vater stammt ursprünglich aus der Ukraine. Aber er nennt mich eine Faschistin, weil ich mich für die Ukraine einsetze. Das ist ziemlich schräg, aber ich kann damit leben.

Olga, Sie sind ursprünglich Polizistin, wie sind Sie zu Pussy Riot gekommen?
Olga: Da war ich erst 18, ich arbeitete bei der Patrouille. Damals hatte ich romantische Vorstellungen von dieser Arbeit, ich dachte, dass ich wirklich helfen kann. Aber ich habe schnell realisiert, dass dieses System nicht den Menschen hilft, sondern die Regierung schützt. Davon wollte ich kein Teil sein, nach einem Jahr war ich weg. Als 2015 der Oppositionelle Boris Nemzow liquidiert wurde, löste das etwas bei mir aus. Ich wurde Aktivistin, ging an Demos und lernte Masha kennen. Wir wurden Freundinnen und schrieben gemeinsam das Buch, auf dem auch die Perfomance Riot Days beruht.

Viele fordern Boykotte gegenüber Russland, manche auch gegenüber russischer Kunst. Macht das Sinn?
Die Wut gegenüber Russland ist verständlich. Gewisse russische Musik höre ich auch nicht mehr, seit ich die Gesinnung dieser Bands kenne. Aber es gibt nicht die guten oder die schlechten Russen. Mir geht es nicht um eine nationale Identität, doch ich habe eine starke Verbindung zur russischen Kultur. Ich bin dort geboren, aber das definiert mich nicht. Viel wichtiger als Visa für Russen zu diskutieren ist, das russische Gas und Öl zu stoppen. Wer will abhängig von einem Psychopathen und Killer sein, denn das ist Putin. Er ist gefährlich und wird euch alle verarschen.

Was kann und soll die Schweiz tun?
Die Grundstücke der Oligarchen beschlagnahmen. Alles, was sie besitzen, haben sie dem russischen Volk gestohlen. Darum müssen die Schweizer Banken die Konten der Oligarchen einfrieren. Sie alle unterstützen Putin, weil er ihnen Privilegien gibt.

Ihr protestiert öffentlich, viele wagen das nicht, was ist bei euch anders?
Masha: Das ist nicht fair, wir sind nicht anders. In Russland herrscht Zensur, seit dem Kriegsausbruch sind diverse Paragrafen hinzugekommen. Wer das Wort Krieg erwähnt, kann dafür 5 bis 15 Jahre ins Gefängnis wandern. Das passiert jeden Tag und das zeigen wir bei unserer Performance mit zehn Porträts von Betroffenen, aber es sind Tausende. Der Protest läuft verdeckt und im Hintergrund.

Wie das?
Man darf nicht vergessen, für jeden politischen Gefangenen braucht es eine Community, die ihn unterstützt. Mit Essen, Kleidern und Zuwendung, damit man hinter Gittern überlebt. Dann gibt es Aktivisten und Freiwillige, die Ukrainern helfen, nach Europa zu flüchten, sie haben keine Papiere mehr. Das gilt auch für die Ukrainer, die nach Russland verschleppt wurden, allen voran die 7000 Kinder, die man versucht umzuerziehen.

Laut Umfragen stehen 80 Prozent der russischen Bevölkerung hinter dem Ukraine-Krieg, glauben Sie diesen Zahlen?
Das ist russische Propaganda, das ist alles falsch und eine sehr gut bezahlte Strategie. Seit Ausbruch des Kriegs wird dafür fünfmal mehr ausgegeben und man darf nicht vergessen, welche Konsequenzen, die freie Meinungsäusserung hat, also Gewalt und Gefängnis. Das Problem ist, dass Russland seit dem Krieg noch mehr Geld für Öl und Gas kassiert. Das muss aufhören, sonst wird dieser Krieg nie enden. Und ich glaube nicht, dass die Ukraine das einzige Land ist, das angegriffen wird. Da sind die baltischen Staaten, Georgien, Finnland. Alle Länder, von denen das Regime denkt, es sei Teil der Sowjetunion. Eine gefährliche und verrückte Idee.

Sie sind für Ihren Protest vor zehn Jahren ins Gefängnis gekommen. Haben Sie damit gerechnet?
Nein, wir waren die ersten politischen Gefangenen dieser Art. Ausser Chodorkowski, aber er war ein Oligarch und versuchte eine politische Opposition aufzubauen. Das Gefängnis war total unerwartet, aber es ist passiert.

Der Fall Pussy Riot

Am 21. Februar 2012 führte Maria Aljochina (29) gemeinsam mit ihren Kolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa (28) und Jekaterina Samuzewitsch (35) das «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale auf. Die Frauen betraten den Ambo der Kathedrale, dessen Betreten ohne eine ausdrückliche priesterliche Einladung für Privatpersonen nicht gestattet ist, und führten vor dem Altar ihre Performance durch. Im Lied sangen die Aktivistinnen in Sturmhauben unter anderem «Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin».

Die drei Frauen wurden daraufhin verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Am 17. August 2012 wurden Aljochina und Tolokonnikowa wegen «Rowdytum» und «Aufwiegelung zu religiösem Hass» zu zwei Jahren Haft verurteilt. Samuzewitsch erhielt eine Bewährungsstrafe.

Es folgten Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, mehrere Hungerstreiks der beiden Frauen und zahlreiche Demonstrationen für ihre Freilassung auf der ganzen Welt.

Am 23. Dezember 2013 kamen die Pussy-Riot-Mitglieder frei – drei Monate vor dem regulären Ablauf der Haftstrafe. Dies, weil das russische Parlament anlässlich des 20. Jahrestags der russischen Verfassung ein vom Kreml eingebrachtes Amnestiegesetz verabschiedete und die Frauen somit von Putin begnadigt wurden.

Am 21. Februar 2012 führte Maria Aljochina (29) gemeinsam mit ihren Kolleginnen Nadeschda Tolokonnikowa (28) und Jekaterina Samuzewitsch (35) das «Punk-Gebet» in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale auf. Die Frauen betraten den Ambo der Kathedrale, dessen Betreten ohne eine ausdrückliche priesterliche Einladung für Privatpersonen nicht gestattet ist, und führten vor dem Altar ihre Performance durch. Im Lied sangen die Aktivistinnen in Sturmhauben unter anderem «Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin».

Die drei Frauen wurden daraufhin verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Am 17. August 2012 wurden Aljochina und Tolokonnikowa wegen «Rowdytum» und «Aufwiegelung zu religiösem Hass» zu zwei Jahren Haft verurteilt. Samuzewitsch erhielt eine Bewährungsstrafe.

Es folgten Klagen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, mehrere Hungerstreiks der beiden Frauen und zahlreiche Demonstrationen für ihre Freilassung auf der ganzen Welt.

Am 23. Dezember 2013 kamen die Pussy-Riot-Mitglieder frei – drei Monate vor dem regulären Ablauf der Haftstrafe. Dies, weil das russische Parlament anlässlich des 20. Jahrestags der russischen Verfassung ein vom Kreml eingebrachtes Amnestiegesetz verabschiedete und die Frauen somit von Putin begnadigt wurden.

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Wie haben Sie die zwei Jahre erlebt?
Es war eine Erfahrung, die mich darin bestätigt hat, dass wir für unsere Anliegen kämpfen müssen. Ich habe erlebt, wie diese Gefängnisse von innen funktionieren. Es ist wie ein Gulag (Arbeitslager, Anm. d.R.), eine Art legalisiertes Sklavensystem. Die Gefangenen arbeiten sechs Tage die Woche während 12 Stunden und müssen Polizei- und Militäruniformen nähen. Dafür gibt es ein Salär von 3 Euro im Monat, also nichts. Es war hart, psychisch und physisch, aber es war nützlich, weil ich einen Einblick in dieses System hatte.

Sie haben einen Sohn, der damals noch sehr klein war, konnten Sie ihn sehen?
Es gab kurze und längere Besuchszeiten, manchmal für drei Tage. Aber auch damit war es nicht einfach. Ich hatte wirklich Glück mit meiner Familie. Der Vater meines Sohnes und meine Mutter haben mich unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich in diesem patriarchalischen System. Wenn ein Mann ins Gefängnis kommt, kümmert sich die Frau oder Mutter um ihn. Wenn umgekehrt eine Frau hinter Gitter kommt, wird sie in 85 Prozent der Fälle im Stich gelassen.

Woher nehmen Sie den Mut weiterzumachen?
Jeder hat Mut, manche sind bloss zu faul. Aber Russland ist nicht so weit weg, wie ihr denkt. Darum rufen wir dazu auf, nicht gleichgültig zu sein. Hier liegt eine Menge russisches Geld, es wurde gestohlen. Gebt es der Ukraine für den Wiederaufbau der bombardierten Städte zurück, das ist nichts als fair.

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