Altes Kulturgut
Deshalb ist die Suche nach Bergkristallen noch immer beliebt

Sie funkeln aus Kästen an Wanderwegen und retteten die Schweiz einst vor einem Eklat: Bergkristalle. Sie sind so stark mit der Schweiz verbunden wie die Suche nach ihnen: das Strahlen. Und das schon seit sehr langer Zeit – das weiss der Archäologe Marcel Cornelissen.
Publiziert: 04.02.2023 um 12:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.02.2023 um 11:05 Uhr
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Einst rettete ein Bergkristall die Schweiz vor einem aussenpolitischen GAU. Der chinesische Präsident Jiang Zemin wollte seinen Staatsbesuch wegen einer Anti-China-Demo abbrechen, bis der damalige Bundesrat Adolf Ogi einschritt, ihn zurück auf den Stuhl drückte, seinen Bergkristall hervorholte und ihm schenkte. Zemin blieb. Auch Bundesrätin Viola Amherd übergab kürzlich dem frisch gewählten Nationalratspräsidenten Martin Candinas einen solchen – als Mutmacher.

Marcel Cornelissen vom Institut für Kulturen der Alpen an der Universität Luzern überrascht das nicht. Er forscht zur Kulturgeschichte des Strahlens und sagt: «Kristalle gehören seit langer Zeit zum Schweizer Kulturgut.»

Das hat mit der Entstehung dessen zu tun, worüber sich unser Land definiert: die Alpen. Deren Faltung vor Millionen von Jahren. Dabei bildeten sich die Klüfte, die Höhlen, die überhaupt erst den Raum boten, damit die Mineralien unter hohem Druck und Hitze auskristallisieren konnten. Häufig finden sich solche Klüfte in den Kantonen Uri und Wallis, im bündnerischen Vorderrheintal oder im Berner Grimsel-Gebiet. Der Archäologe Cornelissen sagt: «In diesen Regionen sind die Kristalle identitätsstiftend.» Funkeln als Exponate in hölzernen Kästen neben Wanderwegen, als Glücksbringer auf den Fensterbänken von Beizen oder zieren Hauswände und Türrahmen.

Der neue Nationalratspräsident Martin Candinas bekam von Bundesrätin Viola Amherd in Disentis GR einen Bergkristall geschenkt.
Foto: KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER
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Eine uralte Tradition

Was die Kristalle auch sind: Teil einer Tradition – der Tradition des Strahlens, der Mineraliensuche im Gebirge. Und diese ist uralt. Cornelissen untersuchte eine Fundstelle beim urnerischen Brunnifirn, die zeigte: Schon vor 8000 Jahren suchten und bearbeiteten Steinzeitmenschen Mineralien. Machten daraus Werkzeuge. Später brachten die Bergbauern mit dem Geld, das das Strahlen einbrachte, ihre Familien durch. Die Suche war lukrativ, die europäischen Königshäuser und Kirchenleute schmückten mit Quarzen ihre Kronen, Kruzifixe und Kronleuchter. Die Kristalle an den Leuchtern, die Friedrich der Grosse im 18. Jahrhundert in seine Schlösser hängte, stammten aus den Urner Alpen.

Heute ist Strahlen kein Wirtschaftsfaktor mehr. Doch gibt es noch immer Tausende Hobby- und rund ein Dutzend Berufsstrahler. Zwei von ihnen sind weltbekannt: Franz von Arx und Elio Müller. Die beiden machten zuletzt 2008 am Planggenstock oberhalb der Göscheneralp UR den weltweit bedeutendsten Fund: eine 1,5 Tonnen schwere Kristallgruppe.

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