Tradition aus St. Gallen
In diesem Museum ist alles Spitze!

Vom Luxusgut zum Massenprodukt: In der Ausstellung «Spitzen der Gesellschaft» dokumentiert das Textilmuseum St. Gallen eine einzigartige Handwerkstradition.
Publiziert: 26.10.2018 um 20:48 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2018 um 20:51 Uhr
Spitze ist in der Modewelt fest verankert. Der filigrane Stoff war aber bereits im 16. Jahrhundert ein beliebtes Asseccoire – damals noch Luxusgut, heute ein Massenprodukt. Das Textilmuseum St. Gallen zeigt 160 Textilien verschiedener Epochen und Macharten. Wie dieses italienische Schultertuch, hergestellt um 1700.
Foto: Michael Rast
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Ramona Kobe

Sie ist filigran und verführerisch. Aus der Modewelt nicht mehr wegzudenken. Die Spitze. Ob bei sinnlichen Dessous, eleganten Rüschenkleidern oder schicken Blusen, das Stoffhandwerk wird bis heute verwendet. Pippa Middleton, die Schwester von Her­zogin Kate, hat gar in einem Spitzenkleid geheiratet. Der Designer: Giles Deacon. Die ­Stickerei aber stammt aus St. Gallen. Dort hatte der Stoff bereits Tradition, bevor ihn grosse Namen wie Chanel, Dior und Co. in ihre Haute-Couture-Kollektionen einfliessen liessen. Das Textilmuseum St. Gallen öffnet seine Schatzkammer und präsentiert 160 historische ­Stücke verschiedener Epochen und Macharten. Von den An­fängen im 16. Jahrhundert bis Ende des 18. Jahrhunderts. Und natürlich auch die berühmte St. Galler Spitze.

Boomende Stickerei

In der Ostschweiz wird seit Jahrhunderten gesponnen, gewebt und gestickt. «Man hat die Produktion stets neuen Umständen angepasst», sagt Barbara Karl, die Kuratorin der Ausstellung. Ende des Mittelalters entwickelte sich die Leinwandproduktion. Bald darauf wurde Baumwolle verarbeitet, um diese kurze Zeit später zu besticken. Schliesslich konzentrierte man sich komplett auf die Stickerei. Diese boomte. Um 1900 war ihre Blütezeit. Die Mechanisierung machte St. Gallen zum Weltmarktführer: Die Stadt produzierte mehr als die Hälfte aller Stickerei-Erzeugnisse, die weltweit weiterverwendet wurden – die Stickerei war der grösste Exportzweig der Schweizer Wirtschaft.

Dies war nicht immer so. Spitze wurde vor der Industrialisierung von Hand gemacht. Ausschliesslich Frauen übten ihre Kunst­fertigkeit in unterschiedlichen Techniken wie Nähen, Klöppeln, Häkeln oder Knüpfen aus. Ita­lien, Frankreich und Holland waren die Pionierländer, von wo aus die Ware europaweit gehandelt wurde. Die Herstellung des Modeaccessoires war vor allem eins: teuer. Deshalb blieben Spitzen weitgehend den Eliten – dem Adel – vorbehalten.

Nicht nur Frauen standen auf Spitze

Das feine Garn war ein Luxusgut. Es schmückte die Roben weltlicher und geistlicher Herrscher. Besonders das habsburgische Spanien und das bourbonische Frankreich waren von den Kunstwerken fasziniert. Nicht nur sah Spitze schön aus, sie war auch ein Zeichen für Reichtum. Und Sauberkeit. Etwa im 16. und 17. Jahrhundert. Frauen, und eine Zeit lang auch Männer, trugen weisse Spitze. «Der Stoff war schwierig zu waschen», sagt Karl. Ohne das fragile Muster kaputt zu machen, fast unmöglich. Die Spitze durfte auf keinen Fall schmutzig werden. Das bedingte grösste Vorsicht.

Es war gängige Praxis, diese kostbaren Textilien in Stickereibetrieben zu sammeln. Sie sollten als Vorlage für neue Entwürfe dienen. Auch Leopold Iklé, ­Textilhändler aus Hamburg, war ein Sammler. Seine Kollektion schenkte er Anfang des 20. Jahrhunderts dem Textilmuseum. Heute ist es im Besitz von Hunderten historischen Spitzenvorlagen, die aus der Zeit von 1500 bis 1800 stammen. Eine Decke beispielsweise, die mit Doppeladler und reichhaltigen Ornamenten verziert ist und einst dem ­spanischen König gehörte. Oder ein Klöppelkragen, handgemacht aus Italien. Zart und hauchdünn.

Das Textilmuseum hat viele Schätze. Designer aus aller Welt kommen nach St. Gallen, um sich von den historischen Stoffen inspirieren zu lassen. Textilien von früher bilden laut Karl die Grundlage für neues Gestalten. «Jede Generation wirft einen neuen Blick auf unsere Stücke.» So bleibt die Beziehung zwischen Mode und Spitze ein ständiges Auf und Ab. Mal ist sie angesagt, mal out. Diesen Herbst ist sie wieder da. Nicht nur im Textilmuseum, sondern auch in Schaufenstern.

Ab dem 26. Oktober ist die Ausstellung «Die Spitzen der Gesellschaft» im Textilmuseum St. Gallen zu sehen.

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