Manor-Kunstpreis 2023
Die Schweizer Kunststars der Zukunft

Der Manor-Kunstpreis ist einer der wichtigsten Schweizer Preise für Nachwuchskünstler. Die diesjährigen Gewinner werden in sieben Städten geehrt. Wir stellen sie vor.
Publiziert: 25.03.2023 um 14:15 Uhr
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Aktualisiert: 28.03.2023 um 13:37 Uhr
Lou Masduraud vor einer ihrer Keramikarbeiten.
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Jedem in der Schweiz ist wohl der Name Pippilotti Rist (60) bekannt – die Ausnahmekünstlerin aus Buchs SG hat es mit ihren bunten und intimen Videoinstallationen längst in den Olymp der hoch gehandelten, international bekannten Künstlerriege geschafft, stellt von New York über Tokio bis Sydney weltweit in den angesehensten Museen aus. Was vielleicht weniger bekannt ist: Pipilotti Rists Karriere hat unter anderem auch mit dem Gewinn des Manor-Kunstpreises 1994 angefangen. Nun bereits im 41. Jahr gilt der Kunstpreis, den die Warenhauskette gemeinsam mit zwölf Kunstmuseen in zwölf Kantonen alle zwei Jahre vergibt, als einer der wichtigsten Förderer von Schweizer Jungtalenten, die das Potenzial haben, auch im internationalen Kunstmarkt zu bestehen. Eine feine Sache für Kunstschaffende. Und neben dem Ruhm ist auch der Preis – 15'000 Franken – ein willkommener Zustupf. Einziger Wermutstropfen fürs Publikum: Da die einzelnen Städte teilweise alternierend verleihen, gibt es keine einzelne grosse Veranstaltung, auf der all die Jungtalente gemeinsam zu sehen sind. Was es aber jetzt neu gibt: eine Liste mit Museen, wo man die Arbeiten der Preisträgerinnen und Preisträger 2023 – es sind sieben – in diesem Jahr zu sehen bekommt. Zeit für eine Entdeckungsreise.

Aus Sprache werden Bilder

Linda Semadeni vor einem ihrer Kunstwerke.
Foto: Keystone/Niklaus Stauss

Was lenkt uns? Was treibt uns an? Und welche inneren und äusseren Kräfte blockieren und stören uns? Was sind die gesellschaftlichen Kräfte, deren Spielball wir unbewusst und bewusst sind? Das sind Fragen, die Linda Semadeni unter anderem umtreiben. Die 38-jährige Künstlerin wuchs in Ftan in den Engadiner Bergen und in Bern auf – und entschied sich für ein Studium der Bildenden Kunst an der Zürcher Hochschule für Künste. Seither setzt sie sich mit obigen Fragen auseinander, indem sie sich vertieft mit Bewegung und Körpern auseinandersetzt. Da kann auch mal ein Satz mittels Repetition zu einem riesigen abstrakten Bodengemälde werden. In den Mitteln ist sie dabei erfrischend frei: Ob abstrakte Gemälde, textbasierte Installationen, handgeformte Skulpturen oder mit dem Smartphone realisierte Videos – bei Semadeni ist alles Kunst.

Linda Semadeni, Bündner Kunstmuseum, Chur
18. Februar bis 2. Juli 2023

Ausserirdische Welten

Begehbare Installation von Jan Vorisek.
Foto: Gunnar Meier

Kein Geringerer als Hans-Ulrich Obrist (54), der Schweizer Kurator mit international fast schon mythischem Status – er leitet die Serpentine Gallery in London –, hat Jan Vorisek (36) vorgeschlagen. Zwar nicht für den Manor-Kunstpreis, den Vorisek soeben gewonnen hat, sondern für den mit 30'000 Franken dotierten Schweizer Prix Mobilière, den er dieses Jahr auch noch gleich abräumt. Bei Voriseks Ausstellungen, die Sounds genauso wie Installationen beinhalten, kann man sich nie sicher fühlen: Mal geht man durch schwarze Latexwände, die eine ausserirdische Kultur aufgestellt haben könnte, mal befindet man sich plötzlich in einem verwirrend rot ausgeleuchteten Raum. Vorisek tut in vielfältiger Weise, was man von Kunst will: Er überrascht. Mit den Mitteln der Performance, mit Installationen, aber auch mit Musik – Vorisek ist auch in der Clubszene zu Hause. Oder, um es mit den Worten von Obrist zu sagen: «Es kommt nicht häufig vor, dass sich jemand, der in der Musik- und Clubbingszene zu Hause ist, gleichzeitig einen Platz in der Kunstwelt erobert.» Und Kuratorin Dorothea Strauss spricht von einer «sehr aktuellen und geradezu magischen künstlerischen Sprache». Und doppelt nach: «Jan Vorisek ist ein Multitalent.»

Jan Vorisek, Kunst Museum Winterthur,
16. September 2023 bis 7. Januar 2024

Kunst und Künstlichkeit versus Natur

Aurélie Strumans untersucht, wie menschliche Eingriffe Landschaften verändern.
Foto: Aurélie Strumans

Durch eine höchst artifizielle, menschengemachte, tote «Landschaft» – beige Wände aus Hartplastik, die an eine Art Forschungsanstalt oder an ein Raumschiff von innen erinnern – blickt man durch eine Art Bullauge auf eine eigentlich höchst ursprüngliche Landschaft: blaugrünes Wasser, das in organischen Formen einen unterirdischen Fluss in einen Felsen gegraben hat. Auch da sieht man auf einen zweiten Blick jedoch menschliche Interventionen. Und die Frage stellt sich automatisch: Wie gehen wir mit Landschaften um, warum normieren wir sie, was tun sie mit uns, was für einen Wert haben sie für uns? Bleibt ein Wert, wenn wir sie begradigt, ausgenutzt, nach ökonomischen Gesichtspunkten ausgenutzt haben? Das sind auch die Fragen, die Aurélie Strumans (40) umtreiben. Die belgisch-schweizerische Künstlerin ist in Sitten geboren, hat im Wallis einen Bachelor in Bildender Kunst absolviert und danach in Zürich den Master angehängt. Sie arbeitet im Wallis und in Zürich – und beschäftigt sich nicht nur im obigen Werk mit diesen dringlichen Problemen unserer Gegenwart.

Aurélie Strumans, Kunstmuseum Wallis, Sitten
6. Mai bis 20. August 2023

Bei ihm beginnen Stein und Stahl zu fliessen

Reto Müller lässt Stahl oder Basalt gleichermassen fliessen – und erstarren.
Foto: Sebastian Stadler

In Stein am Rhein ist Reto Müller (39) geboren, Stein und Rhein respektive Stein und Wasser könnte man auch als Überbegriffe nehmen, um seine Arbeit zu charakterisieren: Wie etwa Wasser Stein abnützt und umformt oder wie Lava zunächst fliesst und schliesslich zu fester Form erstarrt, wie diese Umformungsprozesse stattfinden und wie man sie beeinflusst, das alles interessiert Müller in seiner künstlerischen Arbeit. Er richtet dabei sein Augenmerk sowohl auf natürlich entstehende Prozesse als auch auf menschliche oder künstliche Prozesse wie Schmelzen, Giessen oder Schneiden. Seine Arbeiten aus Materialien wie Zinn, Basalt, Glas, Blei, Silber, Gold oder Appenzeller Granit erinnern so oft an etwas kaum Fassbares zwischen geologischen Formationen, lokalen Mythologien und unserer Industriegeschichte.

Reto Müller, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen
25. Mai bis 15. Oktober 2023

Körperlichkeit, Kindlichkeit und Sinnlichkeit

Lou Masduraud erstellt verspielte, subversive Installationen, oft mittels Keramik.

Bei der Genferin Lou Masduraud (33) tropft, blubbert und dampft es regelmässig. Steine bekommen schiefzahnige Münder, aus denen Flüssigkeiten wabern. Oder Rohre sind so installiert, dass sie ständig etwas daneben tröpfeln. Beim Betrachter lösen ihre Installationen, die oftmals einen keramischen Hintergrund haben, eine seltsame Mischung aus: Man ist ob der oft fast schon kindlichen visuellen Sprache poetisch berührt, amüsiert, oft aber auch leicht angeekelt – und das alles gleichzeitig. Diese Mischung fasziniert auch die Kunstwelt. Masduraud hat ihre Arbeit unter anderem bei der Lyon Biennale, der Fondation Ricard, dem MAC de Lyon, der Fondazione Sandretto Re Rebaudengo in Turin, der Kunsthalle Basel, der Moskau Biennale, dem Kunsthaus Hamburg, dem Kunstmuseum Luzern und dem Parc Saint Léger in Pougues-les-Eaux präsentiert.

Lou Masduraud, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst (MAMCO), Genf, 6. Juli bis 3. September 2023

Tanz ist Kunst, Kunst ist Tanz

Twin Thing, eine Performance von Juliette Uzor mit Sebastian Ryser aus dem Jahr 2020.
Foto: Katalin Deér

Die St. Gallerin Juliette Uzor (30) ist in zwei Kunstdisziplinen zu Hause, die sie in ihrer Arbeit miteinander verschränkt: Sie hat in Bern Kunstvermittlung und Kunstgeschichte studiert und in Lausanne ein Studium in Tanz angehängt. Unter anderem mittels Körpern, Raum und Rhythmus analysiert sie persönliche, aber auch gesellschaftliche «Bewegungen». Sie hat bereits an unterschiedlichsten Orten ausgestellt und ihre Arbeiten gezeigt: unter anderem in der Kunsthalle Zürich, der Kunsthalle St. Gallen, am Tanzhaus Zürich, aber auch am Performance Festival in Freetown (Sierra Leone).

Juliette Uzor, Kunstmuseum St. Gallen
25. November 2023 bis 11. Februar 2024

Von der Fotografie zur Installation

Gina Follys Arbeiten bewegen sich zwischen Fotografie und Installation.

Eigentlich wäre Gina Folly (40) hauptsächlich wohl Fotografin. Eigentlich. Denn sie erweitert dieses Medium zu neuen Formaten, wählt ungewöhnliche Materialien und Formen für ihre Präsentationen. Wie und warum man etwas braucht und was dieser Gebrauch mit den Objekten anstellt, wie dieser Gebrauch Kultur weitergibt und aber auch uns verändert, das sind die Themen, die sie in ihren zwei neuen Werkserien zur Ausstellung «Autofokus» beschäftigen. Dabei untersucht Folly auch, was die Bedingungen und Hierarchien unserer menschlichen Existenz sind – und wie man dies aufbrechen oder ändern kann.

Gina Folly, Kunstmuseum Basel | Gegenwart
6. Mai bis 1. Oktober 2023

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