BLICK-Psychologin Fux über Lücken im Schweizer Sexualunterricht
«Jugendliche suchen sich das Wissen in Pornos»

Im Aufklärungsunterricht in der Schule werden oft interessante Themen zur Sexualität ausgelassen. Das zeigt eine aktuelle Studie. Dort wurden Schüler befragt, welche Themen der Sexualität sie eigentlich interessieren.
Publiziert: 11.06.2020 um 08:11 Uhr
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Aktualisiert: 11.06.2020 um 13:30 Uhr
Vanessa Büchel

Über den Aufbau der weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane lernen Schüler viel. Doch wichtige Fakten zur Sexualität werden im schulischen Aufklärungsunterricht häufig gar nicht beleuchtet. Themen wie Beziehung, sexuelle Befriedigung oder Pornografie werden oftmals ignoriert. Eine aktuelle Schweizer Studie zeigt, welche Themen der Sexualität Jugendliche eigentlich interessieren.

«Sexualaufklärung ist seit dem Lehrplan 21 fest verankert im Schweizer Schulsystem. Die genauen Inhalte des Aufklärungsunterrichts sind jedoch nicht definiert», sagt Max Bauer (28), Leiter der Studie «Unmet Needs in Sex Education», zu BLICK.

Bauers Masterthese zum Thema Jugendsexualaufklärung wurde im US-amerikanischen «Journal of Adolescent Health» veröffentlicht. Für die Erhebung wurden über 2300 Schweizer Schüler innerhalb des Sexualkundeunterrichts gebeten, in geschlechtergetrennten Gruppen Fragen an das andere Geschlecht zu stellen. Die Rückschlüsse aus dieser Studie sollen dabei helfen, zukünftig den Aufklärungsunterricht besser an die Jugendlichen anzupassen.

Im Aufklärungsunterricht liegt der Fokus meist auf gesundheitlichen Aspekten wie dem Aufbau der Geschlechtsorgane, Geschlechtskrankheiten oder Verhütung.
Foto: Getty Images
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Unbefriedigende Aufklärung

BLICK-Kolumnistin Caroline Fux (39), Psychologin und Sexologin, findet den Aufbau des Schweizer Aufklärungsunterrichts nicht immer optimal: «Es ist schade, wenn sexuelle Bildung nicht über die gesundheitlichen Aspekte hinausgeht. Dann ist sie im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigend.»

Jeder Mensch habe es verdient, in der Entwicklung seiner Sexualität unterstützt zu werden. Und dafür brauche es so viel mehr als nur Infos über das Vermeiden von Schwangerschaften und Krankheiten. «Es braucht Kompetenzen, die helfen, Lust und Genuss zu erleben.»

«Lust, Genuss und ganz konkrete, positive Verhaltenstipps wie beispielsweise Tipps zur Selbstbefriedigung dürfen in der sexuellen Bildung kein Tabu mehr sein», so sollte laut Fux ein geeigneter Aufklärungsunterricht aussehen.

Altersgemässe Sexualkunde für Schüler

Im Lehrplan 21 ist die Sexualkunde kein eigener Fachbereich. Sie wird im Fach Natur, Mensch, Gesellschaft verortet. Es liegt bei den Kantonen, wie die Rahmenbedingungen und Detailregelungen der Sexualkunde aussehen.

Benedict Zemp (31), wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrplan 21, sagt auf Anfrage von BLICK: «Die Lehrperson geht in altersgemässer Weise auf Fragen ein, welche die Schülerinnen und Schüler beschäftigen.» Dabei beginne der sexualkundliche Unterricht gegen Ende der Primarstufe, auf der Sekundarstufe I werde er fortgesetzt.

Der Vorwurf, im Aufklärungsunterricht werden nur gesundheitliche Aspekte beleuchtet, ist laut Zemp falsch: «Auch die lebenskundlichen Aspekte sind ein wichtiger Teil.» Hier werden laut dem Lehrplan-21-Mitarbeiter Inhalte zu Freundschaft, Liebe und Partnerschaft, zum Umgang mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und derjenigen der anderen, thematisiert. Weiter erklärt Zemp: «Zu thematisieren sind auch Werte und Normen im Zusammenleben der Menschen allgemein und speziell in Bezug auf das Verhältnis der Geschlechter.»

Falsche Vorstellungen durch Pornos

Betrachtet man die Ergebnisse von Bauers Studie, zeigen diese, dass Jugendliche sich für verschiedene Aspekte der Sexualität interessieren. Insbesondere Fragen zu sexuellen Präferenzen wie zum Beispiel Oralsex oder auch zum ersten Mal wurden oft gestellt. Diese Themen werden im Aufklärungsunterricht vielfach selten angesprochen.

Viele Fragen der Jugendlichen drehen sich auch um die Themen Körper – etwa Anatomie oder Körperbehaarung –, Beziehung, Ideale von Mann und Frau, Masturbation sowie Pornografie.

Psychologin Fux: «Wenn Kinder und Jugendlichen diese Antworten nicht in der Schule lernen, suchen sie sich das Wissen in Pornos oder verbreiten Falschwissen untereinander. Mir ist ein Rätsel, was daran besser sein soll, als wenn das, was zu einer lustvollen Sexualität dazugehört, auch im Lehrplan vorkommt.»

Schon Elfjährige sprechen über Pornos

Auch Pornos gehören zu den Themen, die von den Jugendlichen oft thematisiert wurden. Laut der Studie interessieren sich bereits Elfjährige dafür. «Pornos gehören heute zur medialen Realität. Sie sind da, und die Kinder und Jugendlichen wissen, wie sie an sie rankommen, oder sie bekommen sie von Gleichaltrigen gezeigt», so Fux.

Das Smartphone macht Pornos für Schüler leicht zugänglich. «Es ist viel klüger und fruchtbarer, Fragen zu diesem Thema direkt und proaktiv zu beantworten, als sich hinter eigenen Hemmungen oder dem Ideal einer pornofreien Welt zu verstecken», erklärt Fux.

Gemäss Lehrplan 21 ist Pornografie jedoch ein verbindlicher Inhalt, wie Zemp erklärt. Weiter führt der 31-Jährige aus: «Sofern eine Lehrperson einzelne Themenbereiche nicht selber unterrichten möchte, kann sie diese in Absprache mit der Schulleitung an eine schulexterne Fachperson einer sexualpädagogischen Beratungsstelle delegieren.»

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