Leser fragen, Schriftsteller Thomas Meyer antwortet
«Hüten Sie sich davor, ihn blosszustellen!»

Als ich zum ersten Mal meinen neuen Freund besuchte, traf mich fast der Schlag: Seine Wohnung ist extrem schmutzig und chaotisch. Was tun?
Publiziert: 20.12.2016 um 15:04 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 11:25 Uhr

Ihre Frage, was zu tun ist, deutet darauf hin, dass Sie überlegen, wie Sie Ihren Freund zu einer kultivierteren Form der Haushaltsführung bringen. Das ist durchaus nachvollziehbar – allerdings ist es auch reichlich manipulativ. Und damit wiederum leider fast schon normal.

Geht es nämlich darum, ihre Bedürfnisse zu äussern, wählen Menschen nur selten den Weg der direkten Kommunikation – der darin bestünde, deutlich zu sagen, was ihnen auf dem Magen liegt. Stattdessen suchen sie nach mehr oder weniger raffinierten Umwegen, die den gleichen Effekt haben sollen wie eine ehrliche Mitteilung, sie aber weniger Mut kostet. Oder am liebsten gar keinen.

Beliebte Methoden sind die Projektion der eigenen Empfindung auf das Gegenüber («Stört dich dieses Chaos eigentlich nicht?»), die gespielte Überraschung («Wow! Dort hat es ja mega viel Staub!») oder natürlich der Spott («Hat dir deine Mutter keinen Staubsauger geschenkt?»). Alle diese Botschaften haben eines gemeinsam: Sie stellen den Adressaten bloss, während sie dem Absender zur komfortablen Lage verhelfen, sich nicht weiter erklären zu müssen.

Fairer, respektvoller und vor allem beziehungsfördernder wären Sätze der folgenden Art: «Ich finde, bei dir ist es schmutzig und unordentlich, ich fühle mich unwohl deswegen. Wollen wir zusammen ein wenig sauber machen?» Damit bleiben Sie bei sich und geben Ihrem Freund die Möglichkeit, aus einer ebenbürtigen Position heraus reagieren zu können.

Bestimmt ist es ihm wichtig, dass Sie sich bei ihm wohlfühlen, und vielleicht ist er ja offen für Anregungen.

Vielleicht aber auch nicht – vielleicht ist und bleibt er ein Ferkel. Dann sind Sie gut beraten, eher früher als später von ihm Abschied zu nehmen. Denn Ihr Sauberkeitsempfinden wird sich genauso wenig ändern wie er.

Zur Person

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer beobachtet seine Mitmenschen seit nunmehr 41 Jahren. Das ist denen nicht immer recht. Haben auch Sie Fragen an ihn? magazin@sonntagsblick.ch, Betreff: «Meyer»

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