Haartransplantationen boomen in der Schweiz
Dank Shaqiri wächst das Geschäft

Volle Frisuren sind für Männer ein Statussymbol – nicht nur bei Fussballern. Eine ganze Branche profitiert davon. Und boomt auch in der Schweiz.
Publiziert: 06.07.2021 um 09:45 Uhr
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Aktualisiert: 06.07.2021 um 12:31 Uhr
«Die Nachfrage ist riesig», sagt Stefanie Fritze (45), Co-Geschäftsführerin bei Hair & Skin.
Foto: SANDRAKENNEL
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Daniel Arnet

Diese Szenen sind auf ewig in Stein gemeisselt: Granit Xhaka (28) macht nach dem gewonnenen Penalty-Krimi gegen Frankreich und der Kritik an seinem Coiffeurtermin während der EM mit den Fingern eine Haarschneide-Bewegung in die Kamera und schlägt mit der Faust in Richtung Fernsehzuschauer. Paff! Der Hacken sitzt.

Ja, Haare machen stark. Das zeigt schon der Mythos von Simson im Alten Testament: Als dessen «sieben Locken» abgeschnitten waren, verlor er barhäuptig seine Kraft. Und so hegen und pflegen nicht nur Fussballer ihre Kopfhaare und versuchen mit allen Mitteln, Haarausfall zu verhindern. Doch die Wirkung lässt, wenn sie denn überhaupt eintritt, auf sich warten.

Mit Geheimratsecken in Videokonferenz

Schneller und sichtbarer ist der Erfolg mit Haartransplantationen auf den kahlen Stellen – ein stetig wachsender Markt: Gemäss der International Society of Hair Restoration Surgery (ISHRS) kam es 2016 weltweit zu 635’189 operativen Eingriffen, 2019 waren es gemäss neuestem Bericht bereits 735’312 – eine satte Zunahme von gut 16 Prozent innert dreier Jahre. Die Branche machte 2019 einen Umsatz von 4,6 Milliarden Dollar, zehn Prozent mehr als 2016.

«Die Zunahme ist global und findet wohl im ähnlichen Ausmass wie in Europa auch in der Schweiz statt», sagt Conradin von Albertini, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Haartransplantation (SSHRS), des hiesigen Ablegers der ISHRS. Von Albertini verfügt über keine genauen Zahlen für die Schweiz, schätzt aber bei der Kundschaft den Männeranteil auf 85 bis 90 Prozent Männer.

Dass das Geschäft in der Schweiz boomt, zeigt Hair & Skin. Die Firma mit Sitz in Winterthur ZH startete erst im Frühjahr 2020. Sie eröffnet nach nur einem Jahr weitere Filialen in Luzern, St. Gallen und Zürich. «Die Nachfrage ist riesig», sagt Co-Geschäftsführerin Stefanie Fritze (45). 1625 Kunden liessen sich bis jetzt behandeln. Deshalb will Hair & Skin expandieren: Bis Ende Jahr sollen schweizweit sechs weitere Standorte dazukommen, unter anderem in Aarau, Basel, Bern und Zug.

Dass der Start in die Pandemie-Periode fällt, sieht Fritze nicht nur als Nachteil. «In den Videokonferenzen sahen viele ihre eigenen Geheimratsecken», sagt sie. Und da die meisten im Homeoffice arbeiteten und dabei auch Geld sparten, investierten sie es in eine Haartransplantation, mussten danach nicht gleich ins Büro und sich den Blicken der Mitarbeiter aussetzen.

«Fussballer betreiben gutes Marketing»

Das Durchschnittsalter ihrer Kundschaft sieht Fritze bei 36 Jahren, es kommen 25- bis 60-Jährige. Ein Zeitgeist, denn mit der Generation Instagram habe sich beim Thema Schönheitsoperationen in den letzten 10 bis 15 Jahren viel getan. «Heute wollen auch Männer besser aussehen», so Fritze.

Mit 30 lichtet sich bei 30 Prozent der mitteleuropäischen Männer das Haupthaar – das sah man bei der Fussball-EM etwa beim Schweizer Fussballer Admir Mehmedi (30). Mit 50 ist schon die Hälfte betroffen und mit 70 sind es 80 Prozent, die kahle Stellen zu beklagen haben.

Gerade bei Fussballern, die gerne mit ihrer Haarpracht auffallen, ist die Haartransplantation beliebt. So liessen schon der ehemalige englische Stürmerstar Wayne Rooney (35), Liverpool-Trainer Jürgen Klopp (54) oder der Schweizer Mittelfeldspieler Xherdan Shaqiri (29) beginnende Tonsuren oder Geheimratsecken auf diese Art verschwinden. «Die Fussballer betreiben ein gutes Marketing für uns», sagt Fritze, «sie helfen, das Thema Haartransplantation zu enttabuisieren.»

Weisse Männer sind generell häufiger unter den Leidtragenden als Asiaten oder Afrikaner, kleine Männer öfter als grosse. Bei 95 Prozent der Männer ist der Haarausfall genetisch bedingt, vererbt durch das weibliche X-Chromosom. Wenn der Vater der Mutter eine Glatze hat, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass dessen Enkel auch eine bekommt.

Haarausfall falscher Begriff

Haarausfall ist eigentlich ein falscher Begriff, denn die Haare fallen nicht aus, sie wachsen nur nicht mehr. Grund dafür ist ein Stoffwechselprodukt des männlichen Sexualhormons Testosteron, das Dihydrotestosteron (DHT). Sind die Follikel – die Haarbälge in der Kopfhaut, worin die Haare wurzeln – auf DHT empfindlich, dann stellen sie das Wachstum ein.

Bei der Haartransplantation verpflanzt ein Arzt mit örtlicher Betäubung resistente Follikel aus dem Haarkranz einzeln in kleine Schlitze auf dem kahlen Oberkopf – im Durchschnitt 1500 Wurzeln. «Es besteht noch immer die Hoffnung, eines Tages neue Haarwurzeln züchten zu können und dann zu transplantieren», sagt Conradin von Albertini, der in Zürich eine Haarklinik betreibt.

Ein eintägiger Eingriff für eine Haartransplantation dauert mehrere Stunden und ist nicht ganz billig: Je nach Aufwand und Klinik muss man dafür bis zu 10'000 Franken bezahlen – ein Kostenpunkt, den Krankenkassen nicht übernehmen. Viele entscheiden sich deshalb für günstigere Kliniken in der Türkei, wo das Geschäft besonders boomte. Diesem Haartourismus wollen Ketten wie Hair & Skin entgegenwirken.

Denn das Geschäft geht nicht aus: Glatzen sind und waren zu keiner Zeit ein Statussymbol. Allerdings wirken haarlose Männer kräftiger. So ergab eine Umfrage, dass man ihnen zutraut, über zehn Kilo mehr zu stemmen als Männer mit Vollhaar. Zudem erschienen Kahlköpfe den Befragten intelligenter und dominanter – Eigenschaften, die einem guten Fussballspieler auch nicht abträglich sind.

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