Wie Sie in Zeiten einer Pandemie mit Angst umgehen
So vergeht die Angst

Covid-19 führt zu mehr Angsterkrankungen in der Bevölkerung. Wie Sie Angst erkennen und einer Chronifizierung vorbeugen, erklären zwei Fachärztinnen.
Publiziert: 09.11.2020 um 11:40 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2020 um 10:10 Uhr
Covid-19 führt zu mehr Angsterkrankungen in der Bevölkerung.
Foto: shutterstock
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Silvia Tschui

Psychologen und Psychiater haben aktuell alle Hände voll zu tun, sagt Heinz Schweizer, Geschäftsführer der Angst- und Panikhilfe Schweiz. Angsterkrankungen sind auch in «normalen» Zeiten ein grosses Problem: 15 Prozent aller Menschen in der Schweiz leiden einmal oder mehrmals in ihrem Leben unter einer Angststörung, die von Profis behandelt werden muss. Und seit dem Lockdown, sagen Psychiater und Psychologen, ist diese Anzahl stark angestiegen.

Nun können Ängste, insbesondere wenn sie lang anhaltend sind, das Risiko für andere Erkrankungen steigern. Prof. Dr. med. Katja Cattapan, Chefärztin am Sanatorium Kilchberg ZH, erklärt, was bei akuter Angst geschieht: «Was wir körperlich spüren, wird vor allem über unseren Sympathikus – ein Teil des vegetativen Nervensystems – vermittelt. Dabei werden Adrenalin und Noradrenalin freigesetzt.» Puls, Blutdruck und Atemfrequenz steigen, der Körper schwitzt, man kann einen trockenen Mund bekommen. In der Regel, sagt Cattapan, sei dies eine kurze Reaktion, Entspannung folge, wenn das Problem gelöst, die Gefahr vorbei sei.

Wenn Angst chronisch wird

Angst kann diesen Warnfaktor aber auch verlieren, chronisch werden und uns daran hindern, unseren Alltag zu meistern. Dann ist oft der Parasympathikus – der Gegenspieler des Sympathikus – zu wenig aktiv, und der Cortisolspiegel ist meist erhöht. Ruhelosigkeit, Schlafstörungen und erhöhte Anspannung der Muskeln können die Folge sein – und noch Weiteres: «Chronische Ängste können oft die Ursache für spätere Depressionen oder psychosomatische Schmerzerkrankungen sein. Auch haben Angstpatienten häufig eine höhere Anfälligkeit für Suchterkrankungen. Chronischer Stress, chronische Ängste haben aber auch Einfluss auf viele körperliche Erkrankungen, etwa eine reduzierte Immunabwehr oder einen hohen Blutdruck», sagt Cattapan.

Wichtig ist deshalb, früh zu erkennen, dass man anfällig für Angst sein könnte. Privatdozentin Dr. Steffi Weidt, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und
Stv. Chefärztin und Leiterin am Zentrum für Depressionen, Angsterkrankungen und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, kennt die Warnzeichen: «Schlafstörungen, muskuläre Verspannungen, Magen-Darm-Probleme, Herzklopfen, Atemnot, innere Unruhe oder auch Mühe, gedanklich abzuschalten, können alles erste Anzeichen einer Angsterkrankung sein», sagt Weidt. Treten solche Symptome neu, in erhöhter Intensität oder in ausgeprägter Kombination auf, könnte dies auf zunehmende Angstsymptome hinweisen.

Muskelentspannung als Übung

«Die gute Nachricht ist», sagt Weidt, «dass jeder bei sich zu Hause einiges dafür tun kann, um Angstattacken vorzubeugen und vorbeugende Massnahmen zu treffen.» Weidt empfiehlt etwa eine Technik namens «progressive Muskelentspannung». Hierbei spannt man mehrmals täglich nacheinander einzelne Muskelpartien in einer bestimmten Reihenfolge an – zum Beispiel die Fäuste –, hält die Spannung kurz und löst diese dann wieder. Dies kann zu einer Beruhigung bei angespannten Zuständen führen.

Weidt hat aber noch einen zweiten Tipp – Sport: «Regelmässige Bewegung, insbesondere moderates Ausdauertraining, kann helfen, Stress abzubauen.» Des Weiteren rät sie, sich von angstauslösenden Ursachen bewusst abzuwenden, etwa im Zusammenhang mit Covid-19 nicht ständig nach den neusten Informationen zu suchen. Stattdessen empfiehlt sie, sich auf Aktivitäten zu konzentrieren, die einem Freude bereiten. Das kann Lesen, Musikhören, Telefonieren mit Freunden, Spazieren und vieles mehr sein.

Cattapan rät zudem zu Atemübungen, welche beruhigen und entspannen: «Eine Möglichkeit ist die Zwerchfellatmung. Dabei atmet man tief in den Bauch hinein. Legt man die Hände auf den Bauch, sollten sich diese dabei heben und senken.» Eine Steigerung hiervon sei die «4 zu 6»-Technik: «Während einer kurzen Pause atmen Sie vier Sekunden lang ein und sechs Sekunden lang aus», empfiehlt Cattapan – und gibt gleich eine App und Links an, die helfen.

Atemübungen:

«Breathe+» im App Store

Angst- und Stressreduktion:

Die Broschüre «Progressive Relaxation – Stressreduktion im Alltag» kann man hier herunterladen. Das Audiobook «Autogenes Training & Progressive Relaxation – Doppelt stark gegen Stress» von Claus Derra


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