Florales Innenleben
So wichtig ist der Darm für die Gesundheit

Wer hätte das gedacht! Der Darm hat seine Schmuddelecke verlassen und avanciert dank seiner Mikroorganismen zum Schlüsselorgan für unser Wohlbefinden.
Publiziert: 23.06.2016 um 11:30 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 07:20 Uhr
Birgitta Willmann

Das Thema ist brisant. So brisant, dass US-Präsident Barack Obama gerade erst 100 Millionen Dollar für die Forschung daran zusammengetrommelt hat. Es geht um den Darm. Genau genommen um sein Innenleben, die Mikroorganismen (fachlich Mikrobiom), die uns helfen zu verdauen, populär Darmflora genannt.

Wie funktionieren Darmbakterien?

Nicht nur in den USA, auf der ganzen Welt wird derzeit mit Hochdruck versucht zu entschlüsseln, wie das Zusammenspiel zwischen Darmbakterien und dem restlichen menschlichen Organismus funktioniert. Eines dieser Forschungsteams arbeitet an der Universität Zürich unter der Leitung von Gerhard Rogler. Mit einem 40-köpfigen Team untersucht der Professor für Gastroenterologie täglich das, was wir sonst naserümpfend die Toilette hinunterspülen: menschliche Fäkalien.

«Wir untersuchen den Stuhl gesunder und kranker Menschen», sagt Rogler, «denn es konnte nachgewiesen werden, dass sich die Bakterien im Stuhl Kranker anders zusammensetzen als in dem von Gesunden.» Beispielsweise wurden bei Depressiven andere Bakterien als bei Gesunden gefunden. Die Forscher gehen der Frage nach, warum das so ist. Wie beeinflussen die Bakterien Krankheiten?

Werden mit Hochdruck erforscht: die Mikroorganismen, die in unserem Darm leben.
Foto: Thinkstock

Neue Kultivierungsmethode

Doch das Heer von Mikroorganismen lässt sich von Rogler und seinem Team nicht so einfach in die Karten schauen. Das Problem: Die meisten sterben, sobald sie mit Luft in Kontakt kommen, weswegen sie zunächst nicht gezüchtet werden konnten, also auch nicht untersuchbar waren. Erkannt wurden diese Bakterien dennoch, an ihren Genen: «Durch Sequenzierung entschlüsseln wir ihre DNA.» Aktuell ist in Zusammenarbeit mit der ETH eine Methode entwickelt worden, bei der die Kultivierung der Bakterien auch ohne Sauerstoff gelingt. Dennoch bleiben Fragen offen: «Ihre Funktion ist schwer feststellbar.» Die neue, sauerstoff­unabhängige Kultivierungsmöglichkeit soll helfen, diese Fragen zu beantworten.

Rogler ist zutiefst davon überzeugt, dass die Antworten, die er sich erhofft, in der Medizin eine zentrale Rolle einnehmen werden. Zum Beispiel bei der Therapie des chronischen Reizdarms oder etwa der Zöliakie (Glutenunverträglichkeit).

Fäkaltransplantation als Therapie

Wie wichtig die Bakterien sind, merken wir erst, wenn sie nicht mehr da sind. Etwa nach einer Antibiotikatherapie, bei der auch die «guten» Darmbakterien abgetötet werden. Dann übernehmen die «bösen» die Herrschaft, es kommt zu einer entzündlichen Reaktion, der sogenannten Clostridien-Kolitis mit Durchfall, Übelkeit, Gewichtsverlust. In diesem Fall sind die Erkenntnisse der Wissenschaftler über den Zusammenhang mit der Darmflora bereits in die Therapie eingeflossen. Der von Rogler bevorzugte Weg zur Gesundung heisst im Fall Clostridien-Kolitis Fäkaltransplantation. 

Fäkaltransplantation? Ja, das gibt es und wird zunehmend praktiziert, ist sozusagen Roglers täglich Brot. Das Prinzip: Man nimmt den Stuhl eines Gesunden und implantiert via Darmspülung oder -spiegelung dessen aufbereitete Bakterien in den Darm eines Kranken. Für Rogler eine extrem effiziente Methode: «Neun von zehn Patienten mit Clostridien-Kolitis werden danach wieder gesund.» Ob eine solche Fäkaltransplantation auch andere Krankheiten heilen könnte, wird zurzeit noch erforscht. Erkenntnisse, in die zahlreiche Menschen grosse Hoffnungen setzen. Dennoch mag sich der Spezialist nicht festlegen: «Ich bin vorsichtig mit Prognosen, das Thema ist komplex.» (Siehe Interview in der Box.)

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