Betroffene leiden oft still
Das droht, wenn Schwerhörigkeit nicht behandelt wird

Zuhören wird anstrengender, soziale Interaktionen mühsamer: Schwerhörigkeit kann eine Belastung für Betroffene darstellen. Und sie ist weit verbreitet. HNO-Arzt Patrick Dörig erklärt, mit welchen Mitteln Betroffene dagegen vorgehen können.
Publiziert: 20.02.2024 um 13:08 Uhr
|
Aktualisiert: 22.02.2024 um 10:25 Uhr
RMS_Portrait_AUTOR_912.JPG
Valentin RubinRedaktor Service

Wir hören immer schlechter. Laut Schätzungen der WHO wird Schwerhörigkeit bis ins Jahr 2030 zu den sieben häufigsten Einschränkungen der Lebensqualität gehören. Auch in der Schweiz leiden viele Menschen unter eingeschränktem Hörvermögen. Gemäss Daten von Pro Audito, der schweizerischen Anlaufstelle für Menschen mit Schwerhörigkeit, sind gut 1,3 Millionen Menschen davon betroffen – fast 15 Prozent der Bevölkerung.

Patrick Dörig (39), Oberarzt an der HNO-Klinik des Universitätsspitals Basel, sagt: «Bei Schwerhörigkeit im Alter handelt es sich typischerweise um einen schleichenden Prozess.» Entsprechend sei den Betroffenen oft über Jahre nicht bewusst, dass ihre Hörfähigkeit stetig abnehme. Und bis eine Hörminderung behandelt werde – zum Beispiel mit einem Hörgerät –, verstreichen laut dem Experten häufig mehrere Jahre.

Patrick Dörig ist Oberarzt an der HNO-Klinik des Unispitals Basel. Er sagt, dass in der Forschung für Hörgeräte und Hörimplantate in den letzten Jahren sehr viel gelaufen ist.

Es droht sozialer Rückzug, Depression oder gar Demenz

«Betroffene arrangieren sich oft unbewusst mit der Situation», sagt Dörig. Im Austausch mit anderen würden sie vermehrt auf die Lippenbewegungen ihrer Gesprächspartner achten. Zudem müssten sie sich mehr konzentrieren, um Gesprächen folgen zu können. In einer geräuschvollen Umgebung – zum Beispiel einem Restaurant – sei das Sprachverstehen besonders schwierig. «Deshalb lässt sich bei Betroffenen oft ein sozialer Rückzug beobachten.» Das könne einen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben und ein Faktor für eine Depression sein.

Neuere Hörgeräte sind klein und unscheinbar – haben aber einen grossen Effekt.
Foto: Shutterstock

Aus jüngeren wissenschaftlichen Arbeiten sei zudem bekannt, dass Schwerhörigkeit ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz sei, sagt Dörig. «Ob eine Schwerhörigkeit direkt zu einer Demenz führt, ist allerdings nicht belegt. Wir gehen aber davon aus, dass gutes Hörvermögen und damit guter auditiver Input für die geistige Fitness von Bedeutung ist.»

Wer immer schlechter hört, kann irgendwann den sozialen Anschluss verlieren.
Foto: Getty Images/Tetra images RF

Hörgeräte besser frühzeitig ins Auge fassen

Aus diesen Gründen sei es wichtig, eine Schwerhörigkeit früh zu erkennen und sich früh für ein Hörgerät zu entscheiden, sagt der Experte – auch wenn die Hemmschwelle dazu für viele Betroffene hoch sei. Dörig beobachtet zudem, dass Hörgeräte noch immer stigmatisierend seien. Jemand, der sich mit 50 oder 60 ein Hörgerät anschaffe, habe oft die Befürchtung, bereits als alt und hilfsbedürftig eingestuft zu werden. Dabei zeige sich im klinischen Alltag immer wieder: «Wer ein Hörgerät trägt, hätte sich im Nachhinein oft gewünscht, sich schon viel früher dafür entschieden zu haben.» Das verbesserte Hörvermögen wiege in vielen Fällen mehr als die befürchtete Stigmatisierung.

Den organischen Hörverlust könne ein Hörgerät zwar nicht wieder wettmachen. «Aber es kann das Hören und das Sprachverstehen deutlich verbessern», sagt Dörig. Er betont zudem, wie wichtig es ist, sich für die Angewöhnung eines Hörgerätes genügend Zeit zu nehmen. «Die vorangehende Hörfähigkeit haben Betroffene über mehrere Jahre hinweg verloren.»

Der Markt für Hörgeräte ist gross. Die Produkte kosten aber noch immer sehr viel Geld. Immerhin: Sowohl in der AHV als auch in der IV sind Pauschalbeträge für die Anschaffung von Hörgeräten vorgesehen.
Foto: Shutterstock

Lippen lesen hilft ebenfalls

Das Gehirn brauche entsprechend ebenfalls Zeit, sich an das wieder verbesserte Hörerlebnis zu gewöhnen. «Das kann herausfordernd sein und braucht Geduld», sagt Dörig. «Nach rund drei Monaten sollte das Hörgerät richtig eingestellt und unser Gehirn entsprechend umgewöhnt sein.»

Zwar gebe es bei Schwerhörigkeit im Alter bislang keine medikamentösen Alternativen zu einem Hörgerät, sagt Dörig. «Wer aber trainiert, die Lippen seiner Gesprächspartner zu lesen, kann daraus zusätzlichen Nutzen ziehen.» Pro Audito biete dazu eigens Materialien und Online-Kurse an.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?