SonntagsBlick-Reporter absolvierte einen 100-km-Lauf
Wie es sich anfühlt, einen ganzen Tag zu rennen

Wie fühlt es sich an, einen ganzen Tag lang zu laufen SonntagsBlick-Reporter Cyrill Pinto weiss es, nachdem er an den Canyons Endurance Runs in Kalifornien tapfer 100 Kilometer hinter sich gebracht hat.
Publiziert: 02.06.2019 um 16:41 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:08 Uhr
Cyrill Pinto
Cyrill PintoReporter SonntagsBlick

Etwas über die Hälfte des Rennens habe ich hinter mir, als ich erstmals zweifle: Werde ich es bis ins Ziel schaffen? Es ist genau Mittag, als ich die Hauptstrasse in Foresthill verlasse und in den Canyon abtauche. Ein steiniger, staubiger Trail, der mal steil abfällt, um dann umso steiler wieder aufzusteigen. An diesem Renntag Ende April ist es ungewöhnlich heiss. Schon am Mittag steigt das Thermometer auf über 30 Grad – es fühlt sich an, als würde ich in einen geöffneten Backofen laufen. Die Uhr an meinem Handgelenk wird mir später sagen, dass es über 40 Grad waren. Doch die Hitze ist nicht das einzige Problem. Zweifeln lassen mich meine müden Beine. Dabei müssen sie noch mehr als einen Marathon abspulen und über 1000 Höhenmeter zurücklegen …

Helfer reichen Essen und Getränke

Sechs Stunden vorher: Knapp 400 Läuferinnen und Läufer starteten um 5.30 Uhr über die 100 Kilometer an den Canyons Endurance Runs 2019. Von Foresthill, einem kleinen Kaff am Fuss der nordkalifornischen Sierra, führt der Weg über einen Wanderweg in die Wildnis – durch Schluchten und dem American River entlang. Auf demselben Pfad wird jeweils Ende Juni der Western States Endurance Run, das älteste 100-Meilen-Rennen der USA, ausgetragen. Das heutige Rennen mit seinen 100 Kilometern und rund 4300 Höhenmetern ist deshalb auch ein Qualifikationsrennen für den Western States. Doch der Startplatz muss verdient werden. Das Streckenprofil und die Hitze werden am Ende ihren Tribut fordern: Ein Viertel wird den Lauf nicht in der vorgegebenen Zeit von 18 Stunden beenden oder muss ganz aufgeben.

Zurück auf dem Trail: Auf den ersten Kilometern ist es noch dunkel, die Stirnlampe beleuchtet den Weg nur diffus. Nach zwei Kilometern mündet er in einen schmalen Pfad, der steil hinab in den ersten Canyon und zur ersten Flussdurchquerung führt. Das Wasser reicht bis zu den Knien, und die Füsse sind klatschnass, als es rauf zum ersten Verpflegungsposten geht. Helfer reichen hier Essen und Getränke – bei einem Ultralauf fast so wichtig wie das vorangegangene Training. Ultraläufe nennt man Strecken, die länger als 42 Kilometer sind. Auf dem Weg zum ersten Wendepunkt kommen mir die Spitzenläufer entgegen. Schon nach 30 Kilometern haben sie über eine halbe Stunde Vorsprung. Auf dem leicht abfallenden Weg zurück kann ich den Lauf mit etwas mehr Tempo angehen, geniesse die Aussicht und spreche mit den Läufern, die mich auf diesem Abschnitt begleiten. Da ist Luanne. Die 58-Jährige hat bereits Hunderte Ultraläufe absolviert und mehrere gewonnen. Jeder hier kennt die kleine stämmige Frau mit den kurzen, grauen Haaren. Welchen Rat kann sie mir geben? «Just run your own race», sagt sie mir, bevor sie an mir vorbeizieht. Mein eigenes Rennen laufen? Das will mir heute nicht so richtig gelingen …

Auf den 100 Kilometern durch die kalifornische Sierra sind mehrere Flüsse zu durchqueren – hier der Volcano Canyon.
Foto: Scott Rokis
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Beim Training von einer Zecke gebissen

Als ich mich im Dezember für das Rennen anmelde, sind die 100 Kilometer nur eine abstrakte Zahl. Je mehr ich über Ultras und deren Vorbereitung lese, realisiere ich, wie viel Vorbereitungszeit so ein Vorhaben fordert. Zuerst muss ich meine rund 40 Kilometer Training pro Woche deutlich erhöhen. Ich lege mir ein 10-wöchiges Trainingsprogramm zurecht, absolviere fortan zwischen 60 und 100 Kilometer pro Woche – hauptsächlich auf Trails mit vielen Höhenmetern. Doch durch mein Trainingsprogramm komme ich nicht ohne Rückschläge. Nach einem Intervalltraining schmerzt mein rechtes Knie so sehr, dass ich mehrere Tage pausieren muss. Erst nach zwei Wochen, mit Trainings auf dem Velo und mit viel Stretching, verschwindet der Schmerz so plötzlich, wie er aufgetreten ist. Später werde ich auf einem Trainingslauf von einer Zecke gestochen und zeige Symptome einer Borreliose. Eine Ärztin verschreibt mir daraufhin zehn Tage Antibiotika. Zu meinem Vorbereitungsmarathon trete ich trotzdem an – und werde Dritter. Am Renntag bin ich deshalb zuversichtlich.

Mittag, Halbzeit. Die anderen Läufer haben gleich ihre ganze Familie als Betreuer am Strassenrand. Sie werden mit eisgekühlten Halstüchern, frisch belegten Sandwiches und Coke aufgepäppelt. Und sie sprechen den Läufern Mut zu. Den bräuchte ich nun auch. Auf den ersten Kilometern hinab in den nächsten Canyon spüre ich die Müdigkeit in den Beinen. Die Hitze saugt alle Kraft aus meinem Körper. Der schmale Pfad, der flach einem Fluss entlang führen sollte, steigt zu meiner Überraschung steil an. Hier überholt mich der 45-jährige Jeff. «Was haben sie dir an der Aid-Station gegeben, Adrenalin?», witzle ich. Die Hitze ist jetzt unerträglich. Die Läufer nutzen jede Gelegenheit, um sich abzukühlen. Am Wegrand staut sich ein Bach zu einem Pool. Obwohl das Wasser nur ein paar Grad hat, will ich dort eigentlich nicht mehr raus …

Wenn die Beine nicht mehr wollen

Bei Kilometer 75 mache ich am Verpflegungsposten einen längeren Halt und laufe dann los. Nach dem ersten Schritt weiss ich: Rennen werde ich wohl nicht mehr weit. Die Beine fühlen sich an, als wären sie aus Blei. Auch Jeff geht in die Hocke und versucht so, seine Beine zu entkrampfen: «Sie wollen noch nicht loslaufen.» Es ist ein Teufelskreislauf: Je länger ich hier unten der Hitze ausgesetzt bin, umso langsamer werde ich. Hinzu kommt: Die Beine schmerzen nun so fest, dass ich befürchte, dass sie jeden Moment krampfen könnten. Jeder Schritt kostet Überwindung. Vom Elektrolytgetränk am Verpflegungsposten ist mir übel, meinen Stoffwechsel halte ich nun mit Waffeln, Gummibären und Wassermelonen in Gang. «Sufferfest», Leidensfest, nennen die Amerikaner diese Phase des Rennens. Hier schüttet der Körper Hormone aus. Wohl deshalb werde ich gegen Ende der Strecke immer fröhlicher, ja ausgelassen. Am Ende werde ich das Ziel in Foresthill nach 14 Stunden und 27 Minuten erreichen. Als ich auf den letzten steilen Kilometern auf der Cal Street dem Ziel in Foresthill entgegentrotte, kommt mir ein Interview mit Ultraläuferin Ann Trason in den Sinn. Die mehrfache Weltrekordhalterin und Western-States-Gewinnerin sah einen Ultralauf immer als ein ganzes Leben, abgekürzt auf einen Tag. Höhen und Tiefen wechseln sich ab. Und am Ende ist man einfach nur noch froh, dass es vorbei ist.

Trend Trailrunning

Rennen in den Bergen wird immer beliebter. So nimmt die Zahl der Laufanlässe als auch deren Teilnehmerzahl stetig zu. Weltweit am bekanntesten ist der Ultra-Trail du Mont-Blanc. 2003 erstmals durchgeführt, stieg bereits drei Jahre später die Zahl der Interessenten um ein Vielfaches. Dabei führt der Lauf über 172 Kilometer und 10'000 Höhenmeter einmal rund um den Mont-Blanc. Der berühmteste Schweizer Berglauf, Sierre-Zinal, wurde 1974 erstmals durchgeführt. Zuletzt rannten 3500 Läuferinnen und Läufer die 31 Kilometer lange Strecke mit 2200 Höhenmetern. Inzwischen haben auch Schweizer Tourismusdestinationen Trailrunning für sich entdeckt und bieten spezielle Angebote.

Rennen in den Bergen wird immer beliebter. So nimmt die Zahl der Laufanlässe als auch deren Teilnehmerzahl stetig zu. Weltweit am bekanntesten ist der Ultra-Trail du Mont-Blanc. 2003 erstmals durchgeführt, stieg bereits drei Jahre später die Zahl der Interessenten um ein Vielfaches. Dabei führt der Lauf über 172 Kilometer und 10'000 Höhenmeter einmal rund um den Mont-Blanc. Der berühmteste Schweizer Berglauf, Sierre-Zinal, wurde 1974 erstmals durchgeführt. Zuletzt rannten 3500 Läuferinnen und Läufer die 31 Kilometer lange Strecke mit 2200 Höhenmetern. Inzwischen haben auch Schweizer Tourismusdestinationen Trailrunning für sich entdeckt und bieten spezielle Angebote.

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