Nichts mit Dolce Vita
Wer ohne Zucker leben will, hat es schwer

In der Schweiz essen und trinken wir viel zu viel Zucker. Das macht krank. Höchste Zeit, im neuen Jahr mal auf die Bremse zu treten. Doch das ist jedoch leichter gesagt als getan, wie unsere Autorin im Selbstversuch feststellt.
Publiziert: 13.01.2019 um 19:38 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2021 um 09:34 Uhr
Cornelia Eisenach @higgsmag

«Du nimmst die Sache nicht ernst», sagt mein Kollege Michael und deutet auf die Essiggurke, die das Raclette begleitet, das ich mir zum Mittagessen auf dem Winterthurer Weihnachtsmarkt gönne. «Die ist doch bestimmt auch mit Zucker eingelegt.» Er hat recht. Blöd, denn seit acht Tagen bin ich an meinem Selbstversuch: Ich will die vier Wochen vor Weihnachten ohne Zucker leben. Allerdings ist meine gesamte Enthaltsamkeitsenergie bisher dafür draufgegangen, das tägliche Job-Familie-Kind-Anforderungsspektrum ohne Schokoladenbeistand zu erfüllen. Was in meinem Zmittag drinsteckt, habe ich bisher kaum beachtet.

Doch von nun an studiere ich Zutatenlisten im Supermarkt, und wenn ich mir etwas im Take-away kaufe, frage ich nach: «Ist da Zucker drin?» Daraufhin werden Vorgesetzte gerufen, Ordner hervorgekramt, Rezepte gesucht. Und fast immer lautet die Antwort: Ja. Ob Salat, Sushi, Suppe oder Sandwich – fast alles, was man an sogenanntem Convenience-Food im Supermarkt oder im Take-away kauft, enthält Zucker, und das nicht zu knapp.

Zucker macht krank

Rund 130 Gramm, also gut 32 Teelöffel Zucker, verzehren die Schweizerinnen und Schweizer täglich pro Kopf. Viel zu viel. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, nur fünf bis zehn Prozent unseres Energiebedarfs in Form von freiem, also zugesetztem Zucker, zu decken. Das heisst, maximal 50 Gramm, ideal wären aber 25 Gramm – also etwa sechs Teelöffel. Der hohe Konsum ist unter anderem verantwortlich für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Chronische Krankheiten wie diese verursachen rund 80 Prozent der Kosten des Gesundheitssystems.

Vier Wochen ohne Zucker leben: Higgs-Autorin Cornelia Eisenach hat den Selbstversuch gewagt.
Foto: Instagram/higgsmag
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Dabei war lange Zeit der Traubenzucker der Bad Boy im Zuckergeschäft. Denn er ist für einen hohen Blutzuckerspiegel bei Typ-2-Diabetes verantwortlich und ist zur Hälfte in Haushaltszucker enthalten. Mit dem Verzicht auf Haushaltszucker tue ich also meiner Gesundheit etwas Gutes. Natürliche Süsse wie Rosinen, Honig und Säfte erlaube ich mir hingegen in kleinen Mengen. Denn die enthalten ja zum grossen Teil natürlichen Fruchtzucker, der ist ja nicht so schlimm. Dachte ich zumindest bis zu jenem Tag, als ich mit Philipp Gerber telefonierte. Er ist Oberarzt in der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung am Universitätsspital Zürich. Gerber sagt: «Was die Gesundheit angeht, ist Fruchtzucker sogar noch schädlicher als der reine Traubenzucker.»

Diabetes durch Fruchtzucker

Denn mittlerweile weiss man, dass auch der übermässige Konsum von Fruchtzucker zu Diabetes führt. Das gilt vor allem, wenn der Fruchtzucker als Sirup, Fruchtsaftkonzentrat oder Pulver zum Süssen genutzt wird. So zeigte eine Studie mit 300’000 Personen bereits 2010, dass der tägliche Konsum von nur ein bis zwei mit Fruchtzucker gesüssten Getränken das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, um 25 Prozent erhöhte.

Vom Körper wird Fruchtzucker anders verarbeitet als Traubenzucker. Aus dem Blut gelangt er direkt in die Leber und wird dort in Fett umgewandelt. Und das verändert den Stoffwechsel in der Leber auf eine Weise, die ebenfalls die Entstehung von Diabetes begünstigt. Und: «Unsere Forschung hat gezeigt, dass ein hoher Fruchtzuckerkonsum zu einem Anstieg von kleinen Cholesterinpartikeln im Blut führt, die wiederum Herz-Kreislauf-Erkrankungen hervorrufen können», sagt Ernährungsmediziner Gerber.

Werbung zielt auf Kinder

Mir wird heiss und kalt – nicht, weil ich meinen Selbstversuch womöglich falsch angegangen bin, sondern weil ich auch meinem kleinen Sohn bisher recht ungeniert Kekse, Reiswaffeln und Snacks «mit natürlicher Fruchtsüsse» oder «Süsse nur aus Früchten» gegeben habe. Aber nicht nur Produkte, die mit Fruchtzucker gesüsst sind, werden explizit für Kinder beworben. Auch die bunten Figuren auf Verpackungen von Früchtequarks, Getränken, Joghurts und Frühstückscerealien, die meist ordentlich Haushaltszucker enthalten, wecken bei Kindern die Neugier. Das spüre ich dann, wenn selbst mein Zweieinhalbjähriger schon zielgenau auf diese Produkte losläuft, sie oft sogar unbemerkt aus Kühltruhen und Regalen in den Einkaufskorb schmuggelt.

Mächtige Lobby

Und was ich dann – ebenfalls heimlich – wieder ausladen muss, hat es in sich: Von fünf Löffeln Müesli und von zehn Löffeln Joghurt ist im Durchschnitt einer purer Zucker. Das ermittelte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) 2016 und fand: Das ist zu viel. Seit 2015 haben sich verschiedene Hersteller, unter ihnen etwa Nestlé, Emmi, Migros und Coop, zu einer freiwilligen Reduktion verpflichtet – bis 2017 waren drei bis fünf Prozent weniger Zucker in Joghurts und Müesli. Effektiv bedeutet das pro 100 Gramm jedoch nur eine magere Reduktion von 0,3 Gramm für Joghurts und 0,9 Gramm für Müesli. 2018 planten die Hersteller, noch einmal so viel reduzieren. Ob sie das tatsächlich getan haben, ist noch nicht klar.

Aber selbst wenn: «Das sind viel zu kleine, viel zu langsame Schritte», sagt Josianne Walpen von der Stiftung Konsumentenschutz. Sie wirft dem BLV vor, dass es gegenüber der mächtigen Lobby der Lebensmittelindustrie zu passiv bleibe. Das BLV hält dagegen, dass eine zu schnelle Reduktion von den Konsumenten nicht akzeptiert würde. Trotzdem ist die freiwillige Selbstverpflichtung für Konsumentenschützerin Walpen zu wenig: «Dank ihr kann die Industrie den Eindruck erwecken, sie tue etwas gegen das Zuckerproblem, ohne sich wirklich ändern zu müssen.»

Pro & Contra für das Leben ohne Zucker

Die TV-Moderatorin Andrea Ballschuh (45) lebt fast komplett zuckerfrei, obwohl das Einkaufen kompliziert sein kann. Warum ihr das guttut, erklärt sie im Interview.

Haufen Zuckerwürfel in den Händen
Ohne Zucker auszukommen ist Training.
Thinkstock

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Die Waage bewegt sich

Ich mache also weiter und versuche, den Zucker durch mein Konsumverhalten zu reduzieren. Kurz vor Weihnachten gerate ich aber so in Stress, dass ich weder Zeit noch Lust habe, ständig nachzufragen und alles durchzulesen. So gelingt es mir auch nicht, während meines Versuchs wirklich vollständig ohne Zucker zu leben, denn mir jede Mahlzeit frisch zuzubereiten, ohne etwas Fertiges zu kaufen – das kriege ich nicht hin. Dennoch zeigt mir die Waage, dass ich nach 28 Tagen fast drei Kilo abgenommen habe. Und: Eines Tages merke ich, dass ich den Schokoladenbeistand am Abend gar nicht mehr brauche, dass ich gar nicht mehr daran denke, Süsses zu naschen. Man kann sich also doch einfach mal etwas abgewöhnen. Ohne viel Drama, auch wenn man die Sache nicht ganz ernst nimmt, denke ich mir. Und nehme den Gedanken mit ins neue Jahr.

Fakten zu Zucker
  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, die Zufuhr von zugesetztem Zucker auf maximal 10 Prozent der täglichen Energiezufuhr einzuschränken.
  • Bei einem Konsum von 2000 kcal entspricht das 50 g Zucker.
  • Der durchschnittliche Schweizer nimmt pro Tag 110 g Zucker zu sich. Das entspricht 19 Prozent der Gesamtenergiezufuhr und ist damit doppelt so viel wie empfohlen.
  • Isst jemand einen Becher (180 g mit durchschnittlich 17 g Zucker) Joghurt mit einer Portion Frühstückscerealien, nimmt er bereits mehr als die Hälfte der von der WHO empfohlenen Menge Zucker zu sich.
  • Der Begriff «zugesetzter Zucker» bezieht sich auf Saccharose, Fruktose, Glukose, Stärkehydrolysate und andere isolierte Zuckerpräparate. Auch Honig und Ahornsirup zählen zum zugesetzten Zucker.
  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, die Zufuhr von zugesetztem Zucker auf maximal 10 Prozent der täglichen Energiezufuhr einzuschränken.
  • Bei einem Konsum von 2000 kcal entspricht das 50 g Zucker.
  • Der durchschnittliche Schweizer nimmt pro Tag 110 g Zucker zu sich. Das entspricht 19 Prozent der Gesamtenergiezufuhr und ist damit doppelt so viel wie empfohlen.
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