Mundartfestival Arosa
Zürichdeutsch ist schön!

Züritüütsch hat einen miesen Ruf: zu hart, zu unsympathisch, zu grell, zu laut. Zu Unrecht, findet Bänz Friedli, Programmdirektor des Mundartfestivals Arosa.
Publiziert: 26.09.2020 um 14:47 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2020 um 16:20 Uhr
Autor und Kabarettist Bänz Friedli ist für das Programm am Mundartfestival Arosa zuständig. Dieses Jahr feiert er einen unbeliebten Dialekt: Züritüütsch.
Foto: Zvg
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Silvia Tschui

Die grossen Schweizer Mundartkünstler haben vielfältige Stimmen, aber selten zürcherische: Emil Steinberger (87) ist Luzerner, die bekanntesten Troubadours stammen aus Bern, Franz Hohler (77) kommt aus Olten, und in letzter Zeit hat mit Manuel Stahlberger (46) und diversen anderen St. Galler und Thurgauer Künstlern wie etwa der Band Dachs die Ostschweiz die Mundartbühnen erobert. Bänz Friedli (55), mit dem Salzburger Stier ausgezeichneter Kabarettist und Programmleiter des Mundartfestivals Arosa, sieht für den Zürcher Mundart-Mangel einige Gründe – und keiner davon hat damit zu tun, dass Zürcher, wie es das Vorurteil besagt, nicht lustig, feinfühlig oder vielschichtig seien. «Es gibt in der Schweiz diese regelmässig auftauchende Angst davor, dass die lokalen Dialekte verschwinden würden», sagt Friedli. «Vor Jahrzehnten schon warnten Forscher, wir würden bald alle Hochdeutsch sprechen; und letztes Jahr hat eine Forschungsgruppe behauptet, das Zürichdeutsch verdränge die anderen Dialekte zunehmend.»

Berner Rocker gäbe es ohne Zürcher nicht

Oft stammen solche Ängste aus dem Umfeld sogenannter Mundarthüter, vornehmlich aus Bern und Basel, die eifrig darüber wachen, was denn nun «korrekter» Dialekt sei und was nicht. Dabei hat ausgerechnet ein Zürcher, nämlich Toni Vescoli (78), seinerzeit den Berner Polo Hofer (1945–2017) davon überzeugt, Mundartrock zu machen. Und ohne Polo gäbe es wohl die ganzen neueren und nicht mehr so neuen Berner Bands und Sänger wie Züri West und Patent Ochsner nicht.

«Diesen Mundartwächtern möchte ich sagen: Sprache ist lebendig und wandelt sich immer», sagt Friedli. Und weil es gegenüber Zürichdeutsch die meisten «blöden» Vorurteile gebe, hat sich Friedli, der selbst – im Mundart-Umfeld politisch höchst korrekt – aus Bern stammt, gedacht, es müsse eigentlich schon längst ein Programm mit Schwerpunkt Zürcher Mundart her. Res Wepfer (54) etwa, der mit seinem «Pfannestil Chammer Sexdeet» ebenfalls den Salzburger Stier und weitere Preise abgeräumt hat und dessen «feine, schlaue, vielschichtige Songs in der Schweiz ihresgleichen suchen», wie Friedli sagt. Oder der Mundart-Literat Dominic Oppliger, der sich eine gewisse Lakonik des Zürichdeutschen wunderbar zu eigen macht. Und Rebekka Lindauer, die junge Comedienne, die gekonnt mit dem Klischee der lauten Zürischnurre spielt.

Die Schweiz ignoriert routinemässig die Hälfte ihrer Künstler

Ausserdem: Wenn man sich schon um nicht oder zu wenig beachtete Perlen kümmert, dachte sich Friedli, ist es auch höchste Zeit, einen zusätzlichen Fokus auf Mundart-Künstlerinnen zu legen. «In der konservativen Schweiz wurden Frauen lange einfach nicht beachtet», sagt Friedli. So habe etwa das Berner Rap-Übertalent Steff la Cheffe (33) lange Zeit in der männlich geprägten Berner Musikszene einfach keine Auftrittsmöglichkeiten gehabt – erst als sie zu einem Zürcher Produzenten ging, habe es geklappt. Und die hierzulande viel zu wenig bekannte Songwriterin und Sängerin Bettina Schelker (48) ist seit mehr als dreissig Jahren mit diversen internationalen Grössen wie etwa Bob Geldof (68) auf Tour. Oder Margrit Brookes-Pfister (74), die als Mitglied der Berner Troubadours um Mani Matter und Ruedi Krebs schon in den 1970er-Jahren clevere, lustige, feministische Songs geschrieben hat – und schlicht vergessen ging. Sie alle finden am diesjährigen Mundartfestival endlich eine längst überfällige Plattform. Und das Mundartfestival Arosa etabliert sich als ziemlich avantgardistische Bühne für Schweizer Showtalente, die vom konservativen Mainstream viel zu lange ignoriert wurden.

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Mürgu, Ahäuel und Güpfli sind nur drei der vielen Bezeichnungen, die es in der Schweiz für den Brotanschnitt gibt. Die Dialekte in der Schweiz sind so vielfältig, dass man unmöglich alle Ausdrücke kennen kann. Testen Sie Ihr Wissen in unserem Mundart-Quiz.

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