Mit 71 Lastwagen und der Eisenbahn
So kam Spaniens wertvollste Kunstsammlung in die Schweiz

Velázquez, Goya, Rubens: Der Prado in Madrid ist eines der bedeutendsten Kunstmuseen weltweit. Erst der Einmarsch der Franzosen führte zur Eröffnung vor 200 Jahren. Und der Auszug der Gemälde in die Schweiz rettete die Sammlung vor 80 Jahren.
Publiziert: 11.11.2019 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2019 um 10:37 Uhr
200 Jahre Prado: Die wertvolle Kunstsammlung mit 8000 Gemälden, 1000 Skulpturen und 9000 Zeichnungen zieht jedes Jahr eine Besucherschar von gegen drei Millionen Menschen in den Bann.
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Daniel Arnet

Der Teufel trägt Prada, doch der Prado trägt Gott in sich: Das weltberühmte Museumsgebäude eröffnet am 19. November 1819 auf der Wiese (spanisch: Prado) des Jerónimo-Klosters mitten in Madrid und bekommt «Christus am Kreuz» von Diego Velázquez (1599–1660) als erste Schenkung – gemalte Bibel auf gesegnetem Boden sozusagen.

Bis heute haben religiöse Werke alter Meister einen grossen Stellenwert in der bedeutendsten spanischen Kunstsammlung. «Adam und Eva» des Deutschen Albrecht Dürer (1471–1528) zählt ebenso zum Bestand wie «Die Heilige Familie unter der Eiche» des Italieners Raffael (1483–1520). Kein Wunder, ist der Prado den Spaniern heilig.

Wie ein heiliges Wunder mutet es andererseits an, dass das heutige Museo del Prado auf eine so lange Geschichte zurückblicken kann. Denn 1819 entsteht das Museum eher zufällig als dringende Notwendigkeit nach der Invasion von Napoleons Truppen aus Frankreich (1808–1814), und 1939 übersteht es die Notzeit des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) nur dank Evakuierung der Gemälde in die Schweiz.

«Las Meninas» das letzte Mal im Ausland

Im Sommer 1939 werben Plakate in den Genfer Strassen mit einem Velázquez-Gemälde (fälschlicherweise aus dem Kunsthistorischen Museum Wien) und der Aufschrift «Exposition des chefs-d’œuvre du Musée du Prado» für eine Ausstellung im Musée d’Art et d’Histoire Genève: Vom 1. Juni bis 31. August sind dort unter anderem 38 Gemälde von Goya, 34 von Velázquez und 25 von El Greco zu sehen – eine wahre Sonderschau mit 174 Meisterwerken aus dem Prado.

Über 400'000 Besucherinnen und Besucher lassen sich das nicht entgehen, 55'433 Ausstellungskataloge verkaufen sich als bleibende Erinnerung. «Auslese aus der wertvollsten Sammlung der Welt, die ihrerseits schon im Ruf steht, nur eine Auslese wirklicher Meisterleistungen zu sein», schreibt «Das Werk», die Zeitschrift für Architektur und Kunst, in seiner Vernissage-Besprechung.

Und weiter schwärmt der Kritiker: «Wie sehr diese Konzentration auf höchste Meisterschaft den Kunstgenuss intensiviert und läutert, erlebt man in Genf vielleicht zum ersten Mal.» Und zum letzten Mal, denn eine Prado-Ausstellung in diesem Ausmass gibt es im Ausland nie mehr. Das ikonenhafte Gruppenbild «Las Meninas» (1656) von Velázquez ist seither nur noch in Madrid zu sehen. Das Gemälde wird nicht mehr ausgeliehen.

3,18 Meter hoch, 2,76 Meter breit: Das riesige Tableau mit den «Hoffräulein» («Las Meninas») zu transportieren, ist nur schon eine logistische Herausforderung. Eine Herausforderung, welche die republikanische Regierung in Madrid zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs notgedrungen auf sich nimmt. Denn 1936 bombardieren die faschistischen Truppen unter General Franco (1892–1975) auch den Prado.

In 71 Lastwagen Richtung Genf

Welche Reaktion eine Bedrohung des Prado in der Bevölkerung auslösen kann, zeigte Jahre zuvor ein Artikel in der Zeitung «El Liberal»: «Spanien trauert» stand dort am 25. November 1891 in grossen Lettern und darunter ein Bericht, wonach alle Prado-Werke einem Brand zum Opfer gefallen seien. Die Menschen rannten in Massen zum Museum – wo nichts passiert war. Der Artikel war eine Falschmeldung. Der Journalist wollte damit nur auf Missstände aufmerksam machen, die wirklich zu einem solchen Inferno hätten führen können: Die Angestellten hausten im alten Gemäuer und kochten dort auf offenem Feuer.

Doch am 16. November 1936 ist die Gefahr real, denn Francos Fliegerbomben schlagen im Prado ein. So packen die Madrilenen, angeleitet vom neuen, im Pariser Exil lebenden Museumsdirektor Pablo Picasso (1881–1973), eigenmächtig an und bringen die Kunstwerke vor Bomben in Sicherheit – zunächst ins südlich gelegene Valencia, später in einem abenteuerlichen Konvoi von 71 Lastwagen Richtung Genf zum Sitz des Völkerbunds, wo die Gemälde vorübergehend bis zum Kriegsende in Sicherheit sein sollten.

In Frankreich auf die Eisenbahn umgeladen, erreicht die millionenschwere Fracht am 17. Februar 1939 den Genfer Bahnhof Cornavin. Und in der Folge kommt es zur Idee der einmaligen Ausstellung im Musée d’Art et d’Histoire. Nach dem Sieg Francos im April 1939 fordert der Diktator die Kunst, die er zuvor fast selber zerstörte, als Prestige-Objekte zurück. Und er setzt die Lüge in Umlauf, die Republikaner hätten die Werke gegen Geld ins Ausland bringen wollen.

Dass die Kunst der königlichen Sammlung im Ausland verschwindet, dieses Risiko besteht Anfang des 19. Jahrhundert tatsächlich und führt zur hastigen Gründung des Kunstmuseums. Unter Napoleons Offizieren gibt es nämlich viele Kunstbegeisterte, die während der französischen Invasion in Spanien zusammenraffen, was sie nur können. In Frankreich entsteht dadurch eine Begeisterung für spanische Kunst, was auf der Iberischen Halbinsel wiederum ein neues Selbstbewusstsein erwachsen lässt.

Der Louvre und das British Museum als Vorbild

Um einem Totalverlust der landeseigenen Kunst zuvorzukommen, überzeugt die spanische Königin Maria Isabella von Braganza (1797–1818) ihren Mann, König Ferdinand VII. (1784–1833), aus dem Naturhistorischen Museum beim Madrider Jerónimo-Kloster ein königliches Kunstkabinett fürs Volk zu machen. Als Vorbild dient ihr der 1793 eröffnete Louvre oder das 1795 entstandene British Museum.

Die Königin sollte die Verwirklichung ihrer Idee nicht mehr erleben: Sie stirbt Ende 1818 bei der Totgeburt ihrer dritten Tochter. Als Maria Isabella zu atmen aufhört, glauben nämlich die Ärzte, sie sei ebenfalls tot, und beginnen sie aufzuschneiden, um den leblosen Fötus herauszunehmen – da stösst sie einen Schrei aus, fällt in Ohnmacht und verblutet. Sie war erst 21 Jahre alt.

Gut ein Jahr später, am 19. November 1819, eröffnet der frisch vermählte König Ferdinand VII. auf dem Prado das Museo Real de Pintura y Escultura (Königliches Museum für Malerei und Bildhauerei), wie es zuerst heisst. In den ersten Jahren bleibt das Haus an Regentagen geschlossen, um mögliche Abnutzungen des Gebäudes und der Kunst zu vermeiden.

Vor 200 Jahren waren in den Ausstellungsräumen 311 Gemälde und Skulpturen der damals rund 1500 Werke umfassenden königlichen Sammlung aus den verschiedenen Schlössern zu sehen. Heute gehören dem Prado nahezu 8000 Gemälde, fast 1000 Skulpturen sowie über 9000 Zeichnungen. Von den Künstlern Velázquez, Goya und Rubens besitzt das Museum die weltweit bedeutendsten Bestände.

Bei den Besucher-Zahlen nicht ganz top

Trotz Kronjuwelen spanischer, italienischer und flämischer Malerschulen aus den letzten 1000 Jahren zählt der Prado durchschnittlich «bloss» 2,8 Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Den Rekord verzeichnet das Museum 2016 mit der Sonderschau zum 500. Todesjahr von Hieronymus «El Bosco» Bosch (1450–1516), von dessen 25 überlieferten Gemälden 13 in Madrid zu Hause sind – darunter der berühmte «Garten der Lüste» (1515). 2016 zählt der Prado erstmals über drei Millionen Eintritte – damit schafft er es knapp in die Top 30 der Welt.

Zum Vergleich: Den Louvre in Paris besuchen jährlich über acht Millionen Menschen. Addiert man aber zum Prado die jährlich knapp vier Millionen Besucher des Madrider Museo Reina Sofia dazu, wo seit 1971 die Prado-Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts zu sehen ist, kommt der Prado auf knapp sieben Millionen Eintritte: weltweit Top 4, auf Augenhöhe mit dem Metropolitan Museum in New York. Und im Jubiläumsjahr 2019 dürfte es gar für die Top 3 reichen.

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