Louise-Bourgeois-Ausstellung in Berlin
Die Spinnen-Frau oder Spiderwoman

Die neu eröffnete Ausstellung im Gropius Bau in Berlin würdigt die Werke von Louise Bourgeois (1911–2010). Die Objekte der grossen französisch-US-amerikanischen Künstlerin sind nur über ihre Person zu verstehen. Sie hat ihr Dasein zum Inhalt ihrer Kunst gemacht.
Publiziert: 07.08.2022 um 13:05 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2022 um 10:56 Uhr
Lilith Frey

Louise Bourgeois stammte aus einer gutbürgerlichen französischen Familie mit grossem Haus und Kindermädchen. Die Mutter reparierte Tapisserien, der Vater verkaufte diese in seiner Galerie in Paris. Louise Bourgeois studierte Mathematik und Kunst, heiratete den Kunstprofessor Robert Goldwater, übersiedelte mit ihm 1938 nach New York, gründete eine Familie, bildete sich weiter in Malerei, Zeichnen und Skulpturen, stellte in Gruppen aus, u.a. mit Rothko, Pollock, Motherwell und Kooning.

In der New Yorker Kunstfamilie blieb sie dennoch eine Aussenseiterin. Ihre Arbeit, bezogen auf ihre angstvoll erlebte Kindheit, entsprach nicht dem Zeitgeist. Louise Bourgeois war davon überzeugt, dass alle Kunst aus dem Unbewussten entsteht und von diesem handelt. Der Blick für das Autobiografische schärfte sich erst Ende der Siebzigerjahre, als sich die Kunstwelt dem Neuland öffnete.

Beglückend für Louise Bourgeois kam hinzu, dass der Feminismus gesellschaftlich an Boden gewann. Es war der Beginn ihrer Weltkarriere als der bedeutendsten Künstlerin der Gegenwart, was nicht heisst, weibliche Kunst zu machen. Gefragt zum Feminismus sagte sie: «Mein Feminismus äussert sich in einem intensiven Interesse an dem, was Frauen tun, ich bin jedoch ein einsamer Wolf.»

Die monumentale Spinne ist das Erkennungszeichen von Louise Bourgeois.
Foto: Keystone
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Kunst als etwas Nützliches

Mit der Ausstellung «The Woven Child» würdigt jetzt der Gropius Bau in Berlin Louise Bourgeois’ textile Arbeit mit einer grosszügigen Präsentation. Und voilà, da ist sie: ihre Vergangenheit mit den eleganten Kleidern der Mutter, den fadenscheinigen Kinderröcken, den amputierten Gliedmassen, den sich umarmenden oder erdrückenden Paaren, Köpfen mit verzerrten Gesichtern, dem Verschlungenen und Hochstrebenden.

Mittelpunkt ist die monumentale Spinne, ihr Erkennungszeichen. Dieses hochbeinige Getier, eigentlich eklig, verwandelt sich durch Louise Bourgeois' Behauptung in ein beschützendes Muttertier, das geduldig kaputte Fäden ersetzt. So wie einst ihre Mutter zerstörtes Gewebe der Bildteppiche. Das Kind durfte ihr dabei helfen, indem es die nicht mehr vorhandenen Füsse der Figuren neu zeichnete. Auf diese Art erlebte es die Kunst als etwas Nützliches.

Die Ungleichheit der Eltern, die Pflege und der frühe Tod der geliebten Mutter, die Grobheit des Vaters, sie als «Nervensäge und unnützen Esser» zu missachten, erzeugten in ihr Ängste des Ungenügens. Dem wachen Kind war das schmerzlich bewusst. Als visuell denkende Künstlerin konnte sie die Angstbilder hervorholen, ihnen Form geben und sie ad acta legen.

Die zuverlässige Mutter wurde die Spinne «Maman», der fremdgehende Vater, «immer Lippenstift im Gesicht», eine Art Gebiss, «The Destruction of the Father». Neben allen formgewordenen Seelenabgründen bezaubert in der Ausstellung die Schönheit einer Reihe textiler Bilder, die sich wie ein roter Faden durch die Räume zieht.

«Ich bin selbstsüchtig wie alle Künstler»

Liebe, Sex und Tod waren Louise Bourgeois' unerschöpfliche Themen. Sie arbeitete hart, fleissig und diszipliniert. Weil sie nicht verkaufen musste, sammelte sie ihre Objekte und Skulpturen aus Marmor, Stein, Stoff, Plastik, Metall, Draht und wunderlich anmutenden Wurzeln. Die Kunst half ihr, das Leben zu bewältigen; ihr Glück, denn sie wusste es: «Ich bin privilegiert.»

Internationalen Ruhm brachte ihr 1982 eine grosse Retrospektive als der ersten Frau im Museum of Modern Art in New York. 1993 vertrat sie die USA an der Biennale in Venedig. Konnte sie ihren späten Erfolg geniessen? «Ich bin selbstsüchtig wie alle Künstler. Allerdings ertrage ich keinen Unsinn, den ganzen Unsinn, der mit dem Erfolg verbunden ist.» 2010 starb sie mit 98 Jahren in New York.

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