Céline Pernet über ihren neuen Film
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«Garçonnières»:Céline Pernet über ihren neuen Film

Filmemacherin Céline Pernet
«Die Männer meiner Generation sitzen zwischen Stuhl und Bank»

Sie sind verunsichert, genervt, traurig – aber erschreckend ehrlich. Die Schweizer Filmemacherin Céline Pernet (35) hat in ihrem neuen Film «Garçonnières» rund 30 Männer zu Männlichkeitsmustern befragt. Der Film lädt ein, diese zu hinterfragen und neu zu definieren.
Publiziert: 10.04.2022 um 13:01 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2022 um 09:40 Uhr
Interview: Alexandra Fitz

SonntagsBlick: Sie haben für sich einen Mann gesucht und über 40 gefunden. Daraus entstand Ihr Film. Wie kam das?
Céline Pernet:
(Lacht) Ich war eine Zeit lang auf Dating-Apps und traf viele Männer. Ich stellte ihnen viele Fragen über ihr Leben, ihre Beziehungen und ihre Sexualität und merkte: Irgendwas war los bei den Männern. Während sich bei den Frauen endlich etwas bewegte, hatte ich das Gefühl, die Männer werden immer frustrierter und verunsicherter, was eigentlich ihre Rolle ist.

Sie fingen nach drei Jahren und 65 Dates an, Männer zu hinterfragen – und entschieden sich, einen Dokumentarfilm zu drehen.
Ich wollte wissen, warum Männer Angst haben, wenn Frauen mehr Freiheiten erhalten. Deshalb suchte ich über eine Anzeige Männer zwischen 30 und 45 Jahren, die mit mir vor der Kamera über Männlichkeitsmuster sprechen. Ich mag Männer sehr, und ich will, dass Beziehungen funktionieren. Ich will eine gute Beziehung.

Warum genau dieses Alter?
Die Männer meiner Generation sitzen zwischen Stuhl und Bank. Geboren in den 80er-Jahren, aufgewachsen in den 90er-Jahren, stellte man sich kaum die Frage nach Geschlechterrollen und Aufgabenverteilung. Jungs trugen Blau, Mädchen Rosa. Serien und Filme waren sexistisch, und Boybands bestanden aus braun gebrannten, muskulösen Typen. Genau wie wir Frauen uns fragen, wer wir sein wollen, fragen sich viele Männer, was sie von ihrer Erziehung beibehalten sollen und was für neue Männer sie sein könnten.

Der Film «Garçonnières» bietet die Möglichkeit, toxische Männlichkeitsmuster in Worte zu fassen und gemeinsam über inspirierende Männlichkeit(en) von morgen nachzudenken.
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Die Männer in Ihrem Film antworten sehr ehrlich. Sie wollen wissen, was Mannsein für sie bedeutet, Sie fragen nach ihrem ersten Mal oder ob sie sich in ihrem Körper wohlfühlen.
Es haben sich natürlich nur jene Männer gemeldet, die mit mir sprechen wollten. Einige machen sich viele Gedanken über ihre Rolle, für andere war dies neu. Aber ja, es ist nicht üblich, dass eine fremde Frau zu einem Mann in die Stube kommt und ihm drei Stunden lang intime Fragen stellt.

Was hat Sie am meisten überrascht?
Dass nicht die Männer, die sehr offen und selbstsicher sind, am einfachsten über Intimes sprachen, sondern vor allem die eher stilleren sehr Persönliches preisgaben.

Was hat Sie am meisten verstört?
Da gibt es vieles. Ich bin natürlich nicht mit allem einverstanden, was sie sagen. Aber als Dokumentarfilmerin ist es nicht meine Aufgabe, zu urteilen.

Sie meinen die Männer, die sagen, dass Frauen einfacher jemanden kennenlernen, dass es für Frauen einfacher ist, mit einem Mann ins Bett zu gehen, und dass Frauen weniger ein Problem haben mit einer Abfuhr?
Richtig. Damit bin ich nicht einverstanden. Eine Abfuhr ist für keinen angenehm. Aber noch ein anderer Punkt: dass Männer Frauen beschützen müssen. Ich kann mich selbst beschützen. Ich will mein Leben mit jemandem teilen und ein Team sein, ich brauche keinen Bodyguard.

Ich finde es spannend, wie die Männer ihr erstes Mal beschreiben. Sie benutzen Wörter wie «furchtbar», «Hölle» und «stressig».
Sehe ich genauso. Ich hätte diese Antworten gerne mit 15 oder 20 Jahren gehört. Dass Jungs sagen: «Es ist für uns auch nicht einfach.» Dass man zusammen sagt, wir probieren es einfach und haben keine zu hohen Erwartungen.

Eine andere, sehr wichtige Frage, die Sie den Männern stellen, lautet: Fühlst du dich wohl in deinem Körper? Die Antwort: zu wenig Barthaar, zu schütteres Kopfhaar oder zu viel Körperbehaarung.
Ja, die Behaarung ist der grösste Komplex der Männer.

Und dennoch kommt es so rüber, als ob sie nicht wirklich oft und ernsthaft an sich zweifeln. Zumindest was ihr Äusseres betrifft.
Das stimmt. Ich fragte sie dies, weil Komplexe für mich ein wichtiges Thema sind. Ich fühle mich, seit ich zehn Jahre alt bin, zu gross, zu dick, zu irgendwas.

Ich schaute den Film mit meinem Partner und fragte ihn, ob er glaubt, dass Männer weniger Komplexe haben. Er meinte, dass Männer diese einfach nicht so eng sehen. Aber Frauen werden doch in der Gesellschaft seit eh und je stark über ihr Äusseres definiert.
Ja, wir Frauen sind so sozialisiert. Die Männer in meinem Film mussten meistens auch überlegen und fragten sich: «Habe ich Komplexe?» Bei der Mehrheit der Männer sind die Komplexe sicher kleiner als bei den Frauen.

Ein Mann weint vor der Kamera. Die Szene ist sehr berührend. Er erzählt, dass er während der Schwangerschaft seiner Frau nichts fühlte, dass alles so abstrakt war und er sich auch nicht so sehr freuen konnte. Aber als das Baby dann da war, wurde er von seinen Gefühlen überwältigt.
Vom Schwangersein und Kinderkriegen habe ich nicht viel Ahnung. Ich bin Single und kinderlos. Aber wir fragen Männer viel seltener: Wie fühlt es sich an, Papa zu werden, wie war die Geburt für dich und wie die ersten Tage zu Hause mit dem Baby?

Und jetzt? Nachdem Sie mit so vielen Männern offen gesprochen haben, sind Sie optimistisch, was die Zukunft der Geschlechterrollen angeht?
(Verzieht das Gesicht) Es passiert etwas, das ist positiv. Auch wenn es gewaltig lange braucht. Patriarchale Strukturen und toxische Männlichkeitsmuster sind tief verankert. Es gibt Männer, die sich nicht wohlfühlen und hinterfragen, und andere stellen sich diese Fragen nicht, weil sie in einer privilegierten Position sind. Die Generation nach mir hat schon viel mehr verstanden als ich in dem Alter.

Wir glauben immer, wir seien schon viel weiter. Aber dann hört man Aussagen wie: «Ein Mann muss ein Anführer sein, darf nicht zu emotional sein und schon gar nicht weinen.» In Ihrem Film ärgern sich viele Männer selbst darüber und haben diese Gebote und Erwartungen satt.
Vor zehn Jahren hätte ich keinen Erfolg gehabt, Männer zu finden, die ehrlich über Männlichkeit sprechen. Sie wären nicht parat gewesen.

Ist denn jetzt ein Mann von den vielen geblieben oder sind Sie nach wie vor Single?
(Lacht) Ich bin nach wie vor Single.

Céline Pernet und ihr Film «Garçonnières»

Die Regisseurin: Céline Pernet, geboren 1986 in Nyon VD, lebt als Ethnologin und Filmemacherin in Neuenburg. «Garçonnières» ist der erste Langfilm der Schweizerin.

Der Film: Aus privatem Interesse wurde berufliche Neugier. Pernet suchte eigentlich nach einem Mann für eine Beziehung, gefunden hat sie viele irritierte Männer. Daraus entstand der Dokumentarfilm «Garçonnières», in dem sie mit rund 30 Männern über Männlichkeit spricht. Der Film lädt dazu ein, bestehende Geschlechterrollen zu hinterfragen und über Männlichkeit von morgen nachzudenken. Premiere am Filmfestival Nyon.

Das Festival: Das Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon findet dieses Jahr noch bis zum 17. April statt. Es ist die 53. Ausgabe. statt. www.visionsdureel.ch

zvg

Die Regisseurin: Céline Pernet, geboren 1986 in Nyon VD, lebt als Ethnologin und Filmemacherin in Neuenburg. «Garçonnières» ist der erste Langfilm der Schweizerin.

Der Film: Aus privatem Interesse wurde berufliche Neugier. Pernet suchte eigentlich nach einem Mann für eine Beziehung, gefunden hat sie viele irritierte Männer. Daraus entstand der Dokumentarfilm «Garçonnières», in dem sie mit rund 30 Männern über Männlichkeit spricht. Der Film lädt dazu ein, bestehende Geschlechterrollen zu hinterfragen und über Männlichkeit von morgen nachzudenken. Premiere am Filmfestival Nyon.

Das Festival: Das Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon findet dieses Jahr noch bis zum 17. April statt. Es ist die 53. Ausgabe. statt. www.visionsdureel.ch

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