Die New Yorkerin Debbie Harry hat eine Autobiografie über ihr wildes Leben geschrieben
«Gehts in diesem Interview um Opium?»

Debbie Harry (74) verkaufte mit Blondie 40 Millionen Alben. Jetzt hat die New Yorkerin eine Autobiografie über ihr wildes Leben geschrieben. Dass sie jetzt auch noch darüber sprechen soll, gefällt ihr weniger.
Publiziert: 20.10.2019 um 11:39 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2019 um 08:17 Uhr
Jonas Dreyfus

Man wird schon einmal vorgewarnt. Debbie Harry habe keine Lust, über David Bowies Penis zu sprechen. Das sagt eine Mitarbeiterin des Heyne Verlags, bei dem die 400-seitige Autobiografie «Face It» der Sängerin von Blondie erscheint.

Bowies Geschlechtsteil, das er ihr einmal stolz in einem Backstage-Bereich präsentierte, wird die New Yorkerin heute, wo sie auf ihrer internationalen Lesereise in Hamburg haltmacht, nicht kommentieren müssen. Warum die Szene überhaupt in ihrem Buch Erwähnung findet, ist rätselhaft. 

Über die einschneidenden Ereignisse in ihrem Leben, die sie mit Hilfe einer britischen Rock-Journalistin zu Papier gebracht hat, wird Harry sprechen – und kurz durchscheinen lassen, dass sich hinter ihren versteinerten Gesichtszügen (sie steht offen dazu, sich regelmässig «unters Messer» zu legen) ein sensibler Mensch verbirgt. 

Blondie-Sängerin Debbie Harry, hier 1978, verkörperte die Coolness der New Yorker Untergrundszene.
Foto: Redferns
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Im Moment sitzt sie regungslos auf einem Sofa in ihrer Suite im Fünfsternehotel Atlantic – bekannt durch Udo Lindenberg, der hier seit vielen Jahren seinen festen Wohnsitz hat.

Harry trägt eine kurze rote Jacke über einem gelben Kleid, eine dunkle Sonnenbrille verdeckt ihre Augen. Starrt sie ihren Interviewer aggressiv an oder schweift ihr Blick gelangweilt aus dem Fenster, wo sich hinter der Binnenalster die Skyline der Hafenstadt erhebt? Schwierig zu sagen.

Debbie Harry, Gratulation zu Ihrer Autobiografie!
Vielen Dank.

Für einen Schweizer Leser ist das Kapitel interessant, in dem Sie über Ihren zweiwöchigen Aufenthalt beim Künstler H. R. Giger in Oerlikon schreiben. Wie wohl hat sich Debbie Harry, Superstar aus New York, im vorstädtischen Zürich der frühen 80er-Jahre gefühlt?
Dazu kann ich wenig sagen – ich hielt mich die ganze Zeit in Gigers abgedunkeltem Haus auf, wo wir zwei Videoclips für Songs und Fotos für ein Albumcover aufnahmen. Wenn ich mal Pause hatte, verbrachte ich diese im verwucherten Garten.

Der Leser erfährt, dass Sie irgendwann Lust auf Heroin bekamen, das Sie damals bereits regelmässig konsumierten. Als Ersatzdroge offerierte Ihnen Giger einen Klumpen Opium und wies Sie an, ihn zu essen. Hatte er solche Sachen einfach bei sich zu Hause herumliegen?
Ich habe keine Ahnung.

Sie schreiben nichts darüber, wie Sie sich fühlten, nachdem Sie den Klumpen gegessen haben.
Gehts in diesem interview um Opium?

Eines muss man ihr lassen: Debbie Harrys Null-Bock-Attitüde ist unter dem Aspekt, dass sie sich noch immer als Punk bezeichnet, wenigstens authentisch.

Debbie Harry kommt 1945 mit dem Namen Angela Trimble als ungewolltes Kind zur Welt – kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Drei Monate nach der Geburt wird sie adoptiert und wächst bei liebevollen Eltern im Bundesstaat New Jersey auf. 

In den 1970er-Jahren zieht sie nach New York. Die Stadt ist pleite, in ihr zu leben gefährlich. Debbie Harry geht knapp am Tod vorbei, als sich ihre Wohnung aufgrund einer defekten Gasheizung mit giftigen Dämpfen füllt. Sie springt aus einem fahrenden Auto, weil ihr der Herr, der ihr eine Fahrgelegenheit angeboten hatte, plötzlich suspekt erscheint. Später identifiziert sie ihn als den Serienkiller Ted Bundy.

Debbie Harry, wie haben Sie Ihre Kindheit und Jugend in Erinnerung?
Als sehr glückliche Zeit. Ich war wohlbehütet, meine Eltern liebten mich über alles. Rückblickend weiss ich das mehr zu schätzen als damals. Kinder sind nun mal narzisstisch.

Wie würden Sie das Umfeld beschreiben, in dem Sie gross wurden?
Als unteren Mittelstand. Wir hatten wenig Geld, mein Vater hatte mehrere Jobs gleichzeitig. Ich durfte draussen spielen und sang im Kirchenchor. Im Vergleich zu den Kids, die in den urbanen Ghettos aufwuchsen, war es das Paradies.

Trotzdem fühlten Sie sich schon immer zu New York hingezogen. Welches ist Ihre erste Erinnerung an die Stadt?
Als ich ein kleines Mädchen war, ging meine Grossmutter jedes Jahr an Weihnachten mit mir dorthin, um mir einen Wintermantel zu kaufen. Es war ein grosser Tag für mich, wir liefen gemeinsam die Avenues hinunter, ich staunte über die Schaufenster und über das Menschengewimmel auf den Strassen. Viele Leute haben Angst vor Metropolen. Auf mich wirkten sie schon als Kind äusserst attraktiv.

Warum aber zieht eine junge Frau aus stabilen Verhältnissen an einen Ort, der zu dieser Zeit an ein Kriegsgebiet erinnert?
Ich wollte mit jungen Menschen zusammen sein, die gleich ticken wie ich, mich künstlerisch austoben und nichts mit den Spiessern zu tun haben, die den Vietnamkrieg unterstützten. Die Vorstadt war nichts für mich.

Ironischerweise bringt keine Stadt in so kurzer Zeit so viele Künstler hervor wie New York in den 70ern. Lou Reed, Jean-Michel Basquiat, Madonna – die Liste würde sich lange fortsetzen lassen. Wer als Musiker, Künstler oder Intellektueller nicht in der Szene der Lower East Side von Manhattan verkehrt, kommt zumindest zu Besuch.

Und mittendrin Debbie Harry, die sich mit hübschen Männern vergnügt, die später oft zu Berühmtheiten werden. «Mit ihm habe ich es einmal getrieben» – der Satz wiederholt sich in ihrer Autobiografie immer wieder.

Künstler Andy Warhol – Vaterfigur und Motor dieser Szene – fördert die blondierte Schönheit mit dem Schmollmund. «Wenn ich eine Frau wäre, würde ich so aussehen wollen wie du», soll er einmal zu ihr gesagt haben.

Es sind die Anfänge der Punk-Bewegung – Harry trommelt und schreit sich zuerst durch avantgardistische Performances, die sie mit Kollegen in Bars und Kneipen zeigt. Irgendwann lernt sie in einem Treppenhaus, das ihr als Umziehkabine dient, den Musiker Chris Stein kennen, mit dem sie Blondie gründet und dreizehn Jahre zusammen ist.

Der Blondie-Sound verbindet Rock- mit Pop-Elementen. Debbie Harry inszeniert sich auf der Bühne als Femme fatale und avanciert zum Sexsymbol der 70er. Bis zur Auflösung im Jahr 1982 verkauft ihre Band mehr als 40 Millionen Tonträger, Hits wie «Heart of Glass», «Atomic» oder «The Tide Is High» schaffen es in der Schweiz in die Top Ten der Charts. Nach siebzehn Jahren kommt es zu einer Wiedervereinigung. Mit «Maria» landet Blondie nochmals einen internationalen Hit.

Vor dem Durchbruch muss das Paar Harry und Stein gehörig unten durch. Es ernährt sich von Milch mit Keksen und investiert das wenige Geld, das es mit Auftritten und Gelegenheitsjobs verdient, in Instrumente und Bandutensilien. Eines Nachts bedroht ein mit Drogen vollgepumpter Mann Harry und Stein auf der Strasse mit einem Messer und erzwingt sich Einlass in ihre Wohnung. Er fesselt Stein an ein Bett und vergewaltigt Harry. Danach nimmt er alle Instrumente mit, die er tragen kann. «Letztlich waren die gestohlenen Gitarren für mich schlimmer als die Vergewaltigung», schreibt Harry am Ende des Kapitels.

Debbie Harry, Sie schreiben sachlich darüber, wie Sie vergewaltigt wurden. Ist das eine Art von Selbstschutz?
Ich wollte dem Vorfall nicht zu viel Gewicht geben – das habe ich auch damals nicht getan. Ich beschreibe die Sache im Buch, um zu zeigen, dass man nach einer Vergewaltigung ein Leben führen kann.

Wie sind Sie damit fertig geworden?
Ich erlaubte mir, mich für kurze Zeit voll auf die Wut und die Traurigkeit zu konzentrieren, die ich verspürte. Dann liess ich die Sache hinter mir. Ich hatte das Glück, einen Partner zu haben, der mich voll unterstützte.

Er litt später an einer seltenen Autoimmunerkrankung. Sie verbrachten Monate bei ihm im Spital und versorgten ihn mit Heroin.
Das brauchten wir in dieser Zeit – er und ich –, um mit der furchterregenden Situation fertig zu werden. Lange Zeit wusste niemand, was Chris fehlte. Er wurde immer dünner und kraftloser. Wenn er einmal um den Block lief, musste er sich zwei Tage erholen.

Sie waren aber schon vorher drogenabhängig. Ihre Heroinsucht ist in Ihrer Autobiografie omnipräsent. Nur wie Sie aufgehört haben, erfährt der Leser nicht.
Ich habe einen Entzug gemacht – das war ganz einfach.

Wirklich? Nach so langer Zeit waren Sie nach dem ersten Versuch clean?
Ja.

Dafür haben Sie mit 60 angefangen, zu rauchen, wie Sie im Buch schreiben. War das eine Suchtverlagerung?
Nein, warum? Für mich ist das keine grosse Sache. Für Sie etwa schon?

Nein, keine Sorge. Ein bisschen ungewöhnlich ist es aber schon in diesem Alter.
Wenn Sie meinen.

Sängerin, Schauspielerin, Ikone

Debbie Harry ist seit den 70er-Jahren Sängerin der Band Blondie. Sie wuchs in bescheidenen Verhältnissen bei Adoptiveltern im Bundesstaat New Jersey auf, als junge Frau zog sie nach New York City und schloss sich der dortigen Kreativszene an. Neben ihrer Musikkarriere spielte Harry in über dreissig Filmen mit, darunter «Hairspray» von Regisseur John Waters aus dem Jahr 1988. Die 74-Jährige war 13 Jahre mit Chris Stein (69) liiert, dem Mitgründer und Gitarristen von Blondie. Im Moment ist sie Single und lebt mit ihren zwei Hunden in Manhattan. 

Ein seltenes Bild: Debbie Harry lacht.
DUKAS

Debbie Harry ist seit den 70er-Jahren Sängerin der Band Blondie. Sie wuchs in bescheidenen Verhältnissen bei Adoptiveltern im Bundesstaat New Jersey auf, als junge Frau zog sie nach New York City und schloss sich der dortigen Kreativszene an. Neben ihrer Musikkarriere spielte Harry in über dreissig Filmen mit, darunter «Hairspray» von Regisseur John Waters aus dem Jahr 1988. Die 74-Jährige war 13 Jahre mit Chris Stein (69) liiert, dem Mitgründer und Gitarristen von Blondie. Im Moment ist sie Single und lebt mit ihren zwei Hunden in Manhattan. 

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