Thomas Meyer rät
«An Liebe mangelt es nicht, bloss am Verständnis»

«Meine Tochter und ich sind grundverschieden. Wir streiten uns ständig. Was können wir tun?», schreibt unser Leser. Thomas Meyer nimmt Stellung zu dieser Lebensfrage.
Publiziert: 18.07.2018 um 14:54 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2018 um 17:24 Uhr

Alle werdenden Eltern sind überzeugt, dass sie ein artiges, kluges Kind bekommen, mit dem sie sich prima verstehen werden. Wüssten sie aber, dass dies nicht der Regelfall ist, sondern dass sie ein kolossales Risiko eingehen, ihren Haushalt zwanzig Jahre lang mit jemandem zu teilen, der prinzipiell alles anders sieht, und zwar nicht nur in der Pubertät, würden sie es vermutlich bleiben lassen.

Die Natur hat es darum so eingerichtet, dass wir, auch wenn wir rundherum zahllose abschreckende Beispiele sehen, uns für die glückliche Ausnahme halten. Das ist nicht nur bezüglich der Elternschaft so, sondern auch bei Beziehungen und eigentlich überhaupt allem. Sonst käme niemand mehr auf die letztlich grobfahrlässige Idee, eine Familie oder eine Firma zu gründen.

«Wir wollen, dass sie gleich werden»

Aber jeder von uns hat einen eigenen Charakter, und bloss weil man miteinander verwandt ist, ist man noch lange nicht kompatibel. Das gilt offenbar auch für Sie und Ihre Tochter. Sie verstehen einander einfach nicht. Das ist kein Unvermögen, sondern eine Tatsache, und zwar eine unabänderliche. Doch anstatt das zu akzeptieren, versuchen wir, jene, die anders sind als wir, dazu zu bringen, unsere Weltsicht und Wertmassstäbe zu übernehmen.

Es ist wichtig Kompromisse für die Fragen des Alltags zu finden. (Beispielfoto)
Foto: Getty Images

Wir wollen, dass sie gleich werden. Und machen den oben beschriebenen Denkfehler gleich noch einmal: Wir wissen, dass das aussichtslos ist, glauben aber, bei uns sei alles anders. Und werden laut und lauter, weil der andere, dieser Idiot, nicht einsichtig ist. Hören Sie auf, Ihre Tochter zu jemandem machen zu wollen, der ihnen sympathisch ist, und finden Sie, am besten unter Beiziehung eines Mediators, Kompromisse für die Fragen des Alltags. An gegenseitiger Liebe mangelt es ja nie. Bloss am Verständnis für die Ansichten und Wünsche des anderen. Und daran – und nur daran – kann man arbeiten.

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