Moderator Dominic Deville zum Schulbeginn
«Jedes Kind kann die Welt retten»

Dominic Deville ist Komiker, TV-Moderator und Punk-Pädagoge. Der Montag nach den Sommerferien ist für den Ex-Kindergärtner immer noch ein spezieller Tag. Der 41-Jährige über nervige Eltern und fragwürdige Kinderzeichnungen.
Publiziert: 17.08.2018 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 21:29 Uhr
Jonas Dreyfus

Dominic Deville, was ­waren Sie für ein Kind?
Eines, das verrückte ­Geschichten im Kopf hatte, dauernd quasselte und es trotzdem nicht schaffte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

In Ihrem Buch über Ihre Zeit als Kindergärtner teilen Sie die ­Kindergartenkinder in vier ­Kategorien ein: Kevins, ­Liselottes, Aurelias und Osims. Zu welcher gehörten Sie?
Ich würde mich als klassische ­Aurelia bezeichnen.

Aurelia ist die superinteressierte Plaudertasche, die ihren Freunden eine halbe Stunde lang von einer Schnecke erzählt, die sie im Wald gefunden hat. Im Buch ­schreiben Sie, wie Erich Kästners «Fliegendes Klassenzimmer» Sie als Kind dazu inspirierte, vor ­Ihrer ganzen Klasse von einem Klettergerüst herunterspringen zu wollen. Ich hätte Sie deshalb eher zu den Wildsäuen gezählt, den Kevins.
Ein Kevin hätte den Stunt zu Ende gebracht, ich machte im letzten Moment einen Rückzieher, was ­relativ demütigend war.

Dominic ­Deville macht Schabernack auf den Strassen des Zürcher Kreis 3.
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Zu den anderen Kategorien: Osim ist ein ruhiges Kind – der Kindergärtner weiss nie, woran er bei ihm ist. Dafür erklärt ­Besserwisserin Liselotte ­Erwachsenen schon einmal, wie sie ihren Job zu machen ­haben. Ist sie ein Kind deutscher Eltern?
Eigentlich sollte sie Savanna-Cheyenne heissen, doch mein Verlag sagte, der Name sei in Deutschland ganz schwer auf der prolligen Seite angesiedelt. Weil ich mein Buch auch für den dortigen Markt geschrieben habe, wählte ich einen typisch deutschen Namen.

Als Sie mit 20 in der Zentral­schweiz zu arbeiten begannen, wollten Sie die Ideen der Punk-Bewegung in den Kindergartenunterricht ­einbringen.
Rückblickend war das wie Eulen nach Athen tragen. Der Punk kommt aus dem Kindergarten.

Wie meinen Sie das?
Die Bewegung hat eine sehr kindliche Energie, ihre Experimentierfreude ist gross, der Do-it-yourself-Gedanke steht im Mittelpunkt. Punks sagen: Du brauchst keine spezielle Ausbildung. Wenn du ­Musik machen willst, nimm eine Gitarre und steh auf die Bühne. Kinder sind noch radikaler – ihnen reicht schon ein Besen als Instrument.

Sie mussten Struktur ins ­kreative Chaos bringen. Hat Sie der Kindergarten entpunkt?
Bis zu einem gewissen Grad. Während der Ausbildung spielte ich in diversen Bands und wohnte bei den Eltern. Plötzlich war ich für 20 Kinder verantwortlich mit fast doppelt so vielen Elternteilen. Das war ein grosser Schritt.

Gab es Reaktionen, weil Sie ein Mann sind?
Mein Geschlecht war nie ein Thema.

Schwer zu glauben.
Es kam vielleicht mal vor, dass mir eine alleinerziehende Mutter sagte, sie fände es schön, dass ihr Kind eine männliche Bezugsperson habe. Aber ich springe darauf nicht an. Wie auch in gleichgeschlecht­lichen Partnerschaften zählen fürs Kind zuallererst Liebe und Zuneigung. Alles andere ist sekundär.

Sie studierten am kantonalen ­Seminar für Kindergärtnerinnen in Luzern als einziger Mann ­unter fast 300 Studentinnen. Waren Sie das faule Ei im Nest oder der Hahn im Korb?
Weder noch. Der einzige Nachteil war, dass es keine Männertoilette gab. Der einzige Vorteil, dass ich nach der Ausbildung öfters zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde.

Das hört sich nach einem ­grossen Vorteil an.
Nur im ersten Moment. Ich habe meistens schnell gemerkt, dass die einfach neugierig waren und sich längst für jemand anderen entschieden haben. Im Dorf war das zu meiner Zeit so, dass derjenige die Stelle kriegt, der von dort kommt. Egal, ob du Frau, Mann, alt, jung, gut oder schlecht bist.

Wie kamen Ihre rot gefärbten Haare an, die Springerstiefel und bedruckten Kleider?
Nur ein Mal sagte ein Vater beim Anblick meines Outfits, jetzt sei ihm klar, warum sein Sohn immer wolle, dass er ihm einen Totenkopf aufs T-Shirt male. Aber man kannte mich ja vom Sehen – von daher war das keine grosse Sache. Zumindest den Frauen wurde im Lehrerseminar sogar geraten, sich auch mal ­extravagant zu kleiden.

Warum?
Kinder lieben den Anblick von Schmuck, von grossen Ohrringen und Armreifen. Man muss sie an­regen, damit etwas zurückkommt. Kürzlich kam nach einem meiner Auftritte eine Frau zu mir, die bei mir in den Kindergarten gegangen war. Sie sagte mir, dass mein Nietengürtel das Einzige sei, an das sie sich aus der Kindergartenzeit erinnern könne. Für sie war das damals «Herr Devilles Rittergurt».

Sie sagen, die Eltern seien oft anstrengender als die Kinder. Von Lehrern hört man oft, dass sich die Erziehungsberechtigten immer mehr einmischen.
Das ist definitiv so und etwas, das zu meiner Ausbildungszeit zu wenig berücksichtigt wurde. Dort ging es fast ausschliesslich um die Kinder.

Hatten Sie mühsame Fälle?
Wie in jedem Job kommst du mit Menschen in Kontakt, die nicht ­deinem Gusto entsprechen. Das Blöde daran: Du bestimmst über ­etwas mit, was das absolut Wertvollste ist für sie. Ein Kindergärtner sieht ungewollt in die Familienstruktur und kriegt Dinge mit, die man lieber vor ihm verbergen möchte. Wenn es um Gewalt geht, ist das traurig. Doch es gibt auch Fälle, über die ich mich nachträglich amüsiere.

Welche?
Ein Kindergärtler erzählte mir, dass sein Vater immer mit der ­Tante ins Zimmer gehe, um sie auszukitzeln. Ein anderes Mal gabs in der Dorfbeiz eine Schlägerei zwischen zwei Vätern. Ihre Söhne diskutierten bei mir am nächsten Morgen darüber, wer gewonnen hatte.

Sie haben selbst zwei Kinder, die zur Schule gehen. Gehören Sie auch zu den nervenden Eltern?
Hoffentlich nicht. Ich bin ein Verfechter vom Gar-nicht-Einmischen und habe wahnsinniges Vertrauen in unser Schulsystem und die Lehrpersonen. Als unser zweites Kind in die Schule kam, haben meine Freundin und ich mit Champagner angestossen.

Weil Sie wieder mehr Zeit für sich hatten?
Das auch, natürlich. Aber vor allem, weil der Eintritt ins Schulsystem einfach ein spezieller Augenblick ist. Nicht nur für das Kind. Auch für seine Eltern. Schon allein wegen der eigenen Erinnerungen.

Welche haben Sie?
Für mich war der Tag wie eine abenteuerliche Reise zu einem ­anderen Planeten. Ich wurde in München eingeschult, wo ich mit meiner Familie lebte. Im Schulhaus erhielt ich einen eigenen Spind, in den ich meine Sachen legen konnte. Das war wie eine Schublade im Büro meines Vaters. Ich fühlte mich schon ein bisschen erwachsen.

Gibt es für Sie ein No-Go bei Lehrpersonen, die Ihre Kinder betreuen?
Wenn jemand auf mich abgelöscht wirkt, habe ich Mühe. Ohne Feuer kann man diesen Beruf nicht ausüben und muss aufhören.

Dann löst sich das Problem ja von selbst.
Es kann sein, dass ausgerechnet dein Kind bei jemandem im Unterricht sitzt, der zu sich sagt, ich stehe das jetzt noch ein Jahr durch, dann bin ich weg. Solange das Kind gern in den Unterricht geht, sehe ich aber keinen Handlungsbedarf. Es liegt nicht an mir, jemanden zu ­beurteilen, dem ich einmal die Hand geschüttelt habe.

Wie ist das eigentlich mit den ganzen Bastelarbeiten und Zeichnungen, die Kinder nach Hause bringen und verschenken? Muss man sie aufstellen respektive aufhängen?
Wenn ein Kind auf etwas stolz ist, schon. Von dieser Pflicht erlöst sind Eltern, die von anderen Kindern ­etwas bekommen, weil ihre eigenen sie bereits zur Genüge eindecken.

Was, wenn es sich um etwas handelt, das ganz und gar nicht ins Kunstkonzept einer Wohnung passt, um es wohlwollend zu ­formulieren?
Ich habe meinen Eltern einmal ein mit Nudeln beklebtes Bild geschenkt, das irgendwann spurlos von der Wand verschwand. Ich fand dann eine zerbröselte Nudel neben dem Mistkübel und war schockiert. Es ist schade, dass ­heute nichts mehr von mir existiert. Deshalb beschrifte ich die meisten Sachen meiner Kinder mit Namen und Datum und stecke sie im Keller in eine grosse Zeichenmappe.

Kinder hängen zum Glück nicht so an den Dingen, die sie fabrizieren.
Für einen Sechsjährigen zählt der Augenblick, in dem er zeichnet. Es ist für ihn, als würde er einen Zeichentrickfilm erzählen. Deshalb sind Äusserungen wie «Willst du nicht noch ausmalen?» blöd. Kinder fangen etwas an, sind voll drin, und dann fertig. Erwachsene sollten sich daran ein Vorbild nehmen, anstatt sich an ihren Geräten zu verzetteln.

In Ihrem Buch loben Sie den ­Bilderbuchklassiker «Vom ­kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf ­gemacht hat». Allen, die ihn nicht kennen, dürfen Sie jetzt verraten, wer es war.
Der Hund. Der Maulwurf rächt sich, indem er ihm auch auf den Kopf macht. Das ist schon einmal ein lustiges Bild. Der Kleine mit dem riesigen Haufen auf dem Kopf und der Grosse mit einem kleinen Böhnchen.

Was fasziniert Kinder an ­Scheisse?
Ich könnte jetzt mit Freud an­fangen, mache es aber einfacher. Alles, was von uns Erwachsenen abgelehnt wird, ist für Kinder umso ­interessanter. Das Buch erfüllt aber auch einen Lehrauftrag.

Welchen?
Über die Ausscheidungen, die ja wirklich sehr naturalistisch dar­gestellt sind, erfährt der Leser viel über die Tierwelt. Um mit Stadtkindern das Thema Bauernhof durchzunehmen, würde ich mit diesem Buch anfangen.

Soll man Kinder in die Welt ­setzen?
Absolut. Jedes Kind hat das Potenzial, die Welt zu retten. Sie und ich werden das wohl nicht mehr hinkriegen.

Vom Kindergarten ins Fernsehen

Dominic Deville kam in München zur Welt, zog als 6-Jähriger mit seiner Familie nach Luzern und wohnt heute in Zürich. Er arbeitete zehn Jahre als Kindergärtner, zuerst in der Zentralschweiz, später in Schlieren ZH. Daneben spielte er in Punk-Bands und trat als Komiker auf. Seit ein paar Jahren ist er mit Bühnenshows unterwegs und hat seine eigene Show «Deville Late Night» auf SRF 1. 2017 stellt er eine Trump-Parodie in Form eines Youtube-Films ins Netz, die sich bis heute mehr als 12 Millionen Menschen ansahen. Deville ist mit Schauspielerin Simone Kern liiert und hat mit ihr zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. Sein Buch «Pogo im Kindergarten» (KiWi) ist für 15.90 Franken erhältlich bei Orell Füssli.

Dominic Deville kam in München zur Welt, zog als 6-Jähriger mit seiner Familie nach Luzern und wohnt heute in Zürich. Er arbeitete zehn Jahre als Kindergärtner, zuerst in der Zentralschweiz, später in Schlieren ZH. Daneben spielte er in Punk-Bands und trat als Komiker auf. Seit ein paar Jahren ist er mit Bühnenshows unterwegs und hat seine eigene Show «Deville Late Night» auf SRF 1. 2017 stellt er eine Trump-Parodie in Form eines Youtube-Films ins Netz, die sich bis heute mehr als 12 Millionen Menschen ansahen. Deville ist mit Schauspielerin Simone Kern liiert und hat mit ihr zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. Sein Buch «Pogo im Kindergarten» (KiWi) ist für 15.90 Franken erhältlich bei Orell Füssli.

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