Mama-Coach Simone Pestalozzi (45)
«Die Belastung der Mütter ist heute enorm»

Sie ist zweifache Mutter und leitet zwei Firmen: Mama-Coach Simone Pestalozzi sagt, wie sie alles unter einen Hut bringt, und gibt anderen Frauen mit Kindern Tipps.
Publiziert: 26.06.2017 um 16:16 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:22 Uhr
Silvia Tschui
Simone Pestalozzi (45) ist nicht direkt mit Johann Heinrich Pestalozzi verwandt, aber ihr Interesse für Erziehung hat sie vom berühmten Schweizer Pädagogen.
Foto: Sabine Wunderlin

Frau Pestalozzi, was beschäftigt Sie im Alltag?
Simone Pestalozzi: Ich habe einen Mann, zwei schulpflichtige Kinder, leite eine führende Firma, die spezialisierte Software für Anwälte vertreibt, führe ein Business als Coach für Mütter, lerne gerade Italienisch und spiele leidenschaftlich gern Klavier und gehe tanzen.

Wahnsinn. Das machen Sie aber nicht alles allein, oder?
Doch, grösstenteils schon.

Sie sind seit 25 Jahren mit Ihrem Mann zusammen: Hilft er Ihnen mit Kindern und Haushalt?
Nein, er hat eine internationale Karriere gemacht. Das hat sich früh abgezeichnet. Deshalb war der Deal klar: Wenn ich Kinder haben will, macht er mit, aber ich muss mich um sie kümmern.

Sind Sie nicht dauergestresst?
Eben nicht – darum helfe ich anderen Müttern als Mama-Coach. Aber es gibt manchmal schon die eine oder andere Stresssituation.

Wann war die letzte?
Gestern Morgen, als die vorgebackenen Muffins für meinen Sohn ungeniessbar waren. Die Termine des ganzen Tages gerieten durcheinander. Aber dank der Planung meines Alltags reduziere ich Stressmomente auf ein Minimum.

Planung? Ist denn Muttersein nicht das Natürlichste auf der Welt?
Im Gegenteil: Es ist eine Situation, in der viele Frauen plötzlich völlig auf sich allein gestellt sind.

Können Sie das näher erklären?
In den meisten Jobs sagt einem ­jemand, wann Sie was tun sollen. Als Mutter ist man plötzlich Manager einer Familie – mit Kindern, die schreien, und einem Mann, der sagt, er habe keine Lust, zum ­dritten Mal in Folge Hörnli mit Hackfleisch zu essen.

Aber da wächst man doch von allein rein.
Jede Frau ist anders. Einige machen ­alles mit links, andere arbeiten ­zusätzlich. Und wenn man arbeitet, dazu einen Haushalt schmeisst, angenehme Kinder haben möchte sowie Zeit für die Partnerschaft, eigene Interessen und Freundschaften, dann kommt man sehr schnell in eine reine Feuer­löschungstaktik.

Was meinen Sie damit?
Hier schnell diese Katastrophe verhindern, dort schnell das Kind zur Aufführung fahren – man macht dann nur noch etwas für das, was gerade am lautesten schreit. Das ist Wursteln, keine Planung. Und Planung brauchen einige, die Arbeitsbelastung der Mütter ist enorm, sie ist mit der von Spitzenmanagern vergleichbar.

Sie wissen, wovon Sie reden.
Ja, ich bin promovierte Juristin, war in der Unternehmensberatung tätig. Als ich selber Mutter wurde, habe ich gemerkt, dass ich mit ­meinen Prozessabläufen Müttern helfen kann.

Was sind die Gemeinsamkeiten von Müttern und Managern?
Die schiere Arbeitsbelastung. Und beide dürfen das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren ob der ­Entscheidungsdichte – und der Vielzahl von unterschiedlichen Problemstellungen, die sie ständig lösen müssen.

«Niemand kann 16 Stunden verfügbar sein und doch die Nerven behalten.»
Foto: Sabine Wunderlin

Wie läuft ein Mama-Coaching bei Ihnen ab?
Ich muss vorausschicken, dass jede Situation individuell ist. Als Erstes schaue ich, dass die Mütter zu ­Ruhepausen kommen. Sind Kleinkinder im Spiel, ist es oftmals schwierig, überhaupt allein aufs WC gehen zu können, zu duschen oder mal zehn Minuten die Zeitung zu lesen.

Und was machen Sie dann konkret?
Ich entwickle als Erstes eine Tagesstruktur mit meinen Kundinnen: Essen, Spielen, Schlafen für die Kinder, Ruhe für die Mutter. Solche Ruhepausen müssen erste Priorität sein. Niemand kann 16 Stunden am Tag verfügbar sein und dabei ein ­intaktes Nervenkostüm behalten.

Warum glauben Sie, dass sich Mütter keine Ruhepausen mehr gönnen?
Sie haben einfach zu viel zu tun, wenn sie mit früher vergleichen. Unsere Mütter waren noch mehrheitlich ums und im Haus. Der ­gesellschaftliche Druck, der heutzutage auf berufstätigen Frauen und Müttern lastet, ist im Vergleich zu früher riesig, daran führt nichts vorbei.

Wäre deshalb das klassische ­Rollenverständnis – ein Elternteil bleibt zu Hause und schaut den Kindern – nicht besser?
Auf keinen Fall! Die Freiheit heute ist super, wir Mütter haben eigene Interessen, Berufe, Freundschaften, wir wollen uns nicht gänzlich für Kinder aufgeben. Aber wir müssen schlau sein und unsere Kräfte gezielt einsetzen. Und das erfordert gewisse Managementqualitäten.

Ruhepausen gelten aber nicht unbedingt als Qualitäten von Managern.
Struktur aber sehr wohl. Ich habe fünf Bereiche ausgemacht, die ich gemeinsam mit den Müttern in den Sitzungen bearbeite. So können sie ihren Alltag optimieren und haben mehr Zeit für sich. Denn nur wenn es der Mutter gutgeht, geht es den Kindern gut.

Was ist jeweils das Erste, das ­einer Veränderung bedarf?
Zunächst geht es um das Zeit­management – nur schon mit einem wöchentlichen Online-Shopping der Nahrungsmittel und einem überlegten Menü- und Wäscheplan lässt sich viel Zeit freischaufeln. Das kostet einen am Sonntagabend eine halbe Stunde, dafür ist für die ganze Woche das Essen geregelt und Geld gespart.

Und dann?
Sind individuell machbare Abläufe festgelegt, kümmere ich mich mit der betreffenden Mutter um den nächsten Punkt: persönliches Auftreten. Dazu gehört Fitness, Garderobe, Stil – denn bei vielen Müttern hat sich der Körper verändert, und sie fühlen sich nicht mehr wohl, wenn sie in den Spiegel schauen.

Für viele Mütter ist der Blick in den Spiegel sekundär zwischen all den Pflichten.
Zufriedenheit mit sich selbst ist aber essenziell für ihr Wohlbefinden, deshalb muss man das aktiv einplanen. Ausserdem will kein Mann, der nach Hause kommt, als Erstes ein dreckiges Sandkastenmonster sehen. Wobei wir schon beim dritten Punkt wären: Die Partnerschaft lebendig erhalten.

Wie packen Sie das mit Ihrem Mann an?
Wir haben fix jeden Freitag einen Babysitter und unternehmen etwas als Paar. Das kann auch etwas ganz Einfaches sein – zusammen spazieren gehen zum Beispiel. Und da rate ich Frauen, nicht zu jammern und nicht unbedingt über die ­Kinder zu reden, sondern gezielt ­etwas zu verabreden, das beiden Spass macht. Sonst kommt das langfristig nicht gut.

Es kommt aber sehr teuer, wöchentlich einen Babysitter zu bezahlen.
Stimmt. Aber eine Scheidung und danach getrennte Haushalte sind viel, viel teurer. Ein Babysitter ist die beste Investition in die Partnerschaft, die Sie machen können. Und auch Kindern geht es in einer glücklichen Partnerschaft am ­besten. Wobei wir schon beim nächsten Punkt wären.

Den Kindern?
Ja. Ein perfekt organisierter Tag bringt nichts, wenn die Kinder ihn durcheinanderbringen. Kindern lässt sich problemlos beibringen, dass sie sich selbst beschäftigen müssen – wenn man ganz klar ­definierte Zeit für sie einplant und sich vorher und nachher mit ihnen beschäftigt.

Klingt hart.
Ach was! So werden Kinder zum ­einen selbständiger und bekommen Struktur. Der Mensch funktioniert im Rhythmus besser. Zum ­anderen ist die Zeit, die Sie dann tatsächlich mit dem Kind verbringen, wertvoller – die E-Mails sind geschrieben, die Anrufe geregelt, oder die Wäsche ist gefaltet. Man kann sich eins zu eins auf einander einlassen.

Die Juristin coacht heute Mütter und zeigt, wie sie Job und Erziehung koordinieren müssen.
Foto: Sabine Wunderlin

Ein Inhalt Ihres Coachings ist es, Müttern zu helfen, Kinder zu ­erziehen, mit denen «jeder gern zusammen ist» Was beinhaltet das für Sie?
Dass die Kinder das Eigentum anderer respektieren, nicht ständig unterbrechen, Erwachsene ungestört telefonieren lassen, bei Fremden nicht ungefragt Kühlschrank und Schubladen aufreissen und nicht frech sind. Zu mir kommen sogar Mütter, die sagen, dass ihr Kind sie schlägt, stellen Sie sich das einmal vor!

Woran liegt das?
Wir haben heute viel später Kinder, sie sind oft lang ersehnte Wunschobjekte und werden dementsprechend verhätschelt – man setzt ­keine Grenzen. Wenn so etwas ­einreisst: Stellen Sie sich einmal vor, wie das in den Teenagerjahren wird.

Wie planen Sie Ihren Alltag?
Ich muss viel aneinander vorbeibringen: Für meine Firma muss ich oft ins Ausland, um Schulungen zu halten. Auch die Mama-Coach-­Termine vereinnahmen mich. Die Kinder haben ebenfalls Termine. Ich mache deshalb zwischen Weihnachten und Neujahr immer einen groben Jahresplan. Da kommen ­bereits feststehende Termine sowie Familienferien rein. Monatlich gibt es eine zusätzliche Feinplanung, und wöchentlich bleiben die Abläufe immer dieselben.

Wie viel Prozent arbeiten Sie?
Mit dem Mama-Coaching und meiner Firma komme ich auf rund 80 Prozent.

Aber Sie haben eine Haushaltshilfe, oder?
Selbstverständlich. Ich kann nicht zwei Geschäfte leiten, mich um die Kinder kümmern und auch noch ­einen Haushalt allein führen. Immer freitags kommt jemand zum Putzen, damit ich etwas Zeit für mich habe. Und dabei wären wir auch beim letzten Punkt.

Und der wäre?
Mama hat Spass – das gehört in den Jahresplan mit kleinen und grösseren Zeitinseln fest eingeplant.

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Simone Pestalozzi (45)

Die in Basel geborene Juristin ist seit 25 Jahren mit ihrem Mann zusammen und seit 17 Jahren mit ihm verheiratet. Ihre Erfahrungen als Unternehmensberaterin der ABB setzt sie seit fast zehn Jahren ein, um Müttern zu helfen, die sich in ihrem Alltag zwischen Windelbergen, Job, und Partnerschaft aufreiben. Sie hat zwei Kinder im schul-pflichtigen Alter und lebt mit ihrer Familie in Wollerau SZ. Auch sie schafft neben dem Leiten von zwei Firmen, der Erziehung ihrer Kinder und der Pflege ihrer Beziehung nicht ganz alles: Ihre ehrenamtliche Tätigkeit für die Sängerknaben Zürich hat sie kürzlich aufgegeben.

Die in Basel geborene Juristin ist seit 25 Jahren mit ihrem Mann zusammen und seit 17 Jahren mit ihm verheiratet. Ihre Erfahrungen als Unternehmensberaterin der ABB setzt sie seit fast zehn Jahren ein, um Müttern zu helfen, die sich in ihrem Alltag zwischen Windelbergen, Job, und Partnerschaft aufreiben. Sie hat zwei Kinder im schul-pflichtigen Alter und lebt mit ihrer Familie in Wollerau SZ. Auch sie schafft neben dem Leiten von zwei Firmen, der Erziehung ihrer Kinder und der Pflege ihrer Beziehung nicht ganz alles: Ihre ehrenamtliche Tätigkeit für die Sängerknaben Zürich hat sie kürzlich aufgegeben.

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