Kinderfotos auf Social Media – ja oder nein?
Wer hat etwas gegen süsse Kinderfotos?

Viele Eltern stellen Bilder ihrer Kinder ins Internet oder verschicken sie. Fachleute raten davon ab.
Publiziert: 06.12.2019 um 09:30 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2019 um 20:53 Uhr
Cornelia Döbeli («Beobachter»)

Martin sieht seine zweijährige Tochter Milena jeden zweiten Samstag – für ein paar Stunden. Dann postet er Fotos von ihr auf Facebook. Etwa wie die Kleine nackt im Bädli planscht. Oder Videos von einem Tobsuchtsanfall. Fabienne, die Mutter von Milena, stört sich sehr daran. Vor allem, weil so auch ihr unbekannte Leute Aufnahmen des Mädchens ansehen können. Sie möchte, dass man ihrem Ex das Posten und Versenden der Fotos verbietet.

Solche Situationen gibt es tausendfach: Familienmitglieder und Freunde stellen Personenbilder auf Social Media, ohne zuvor nachzufragen. Wie ist die Rechtslage? «Das Recht am eigenen Bild ist ein höchstpersönliches Recht, das jeder Person bereits ab der Geburt zusteht», erklärt die Basler Datenschutzexpertin Sandra Husi. «Man soll selber bestimmen können, wer welche Informationen über einen zur Kenntnis nehmen oder bearbeiten darf – und zu welchem Zweck.»

Kinder haben das Recht, Nein zu sagen

Gemeinsam mit der Basler Kinderanwältin Rita Jedelhauser hat Husi näher untersucht, ab welchem Alter Minderjährige als urteilsfähig gelten können in Sachen «Bilder von mir auf Social Media». Sie kommen zum Schluss: «Etwa vom Kindergartenalter an. Wenn sich ein Kind dann beim Fotografieren abwendet, ist das zu respektieren.» Es geht in dieser Phase also vor allem um das Recht, Nein zu sagen. Ab etwa zehn Jahren wandelt sich das hin zum Entscheiden. Spätestens ab zwölf ist das Kind urteilsfähig und bestimmt allein, ob jemand sein Bild posten darf.

Experten raten davon ab, Fotos von seinen Kindern ins Netz zu stellen.
Foto: Getty Images/Hero Images
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Ab dem Kindergartenalter gilt somit: Wer gegen den Willen oder ohne Einwilligung des betroffenen Kindes ein Bild auf Social Media, in einem Gruppenchat oder auf Whatsapp veröffentlicht, verletzt dessen Persönlichkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Adressatenkreis «überschaubar» und «bekannt» ist. Auch das Versenden in Familienchats auf Whatsapp gilt rechtlich als Veröffentlichung.

Die Eltern als Vertreter, aber…

Wie steht es nun um die zweijährige Milena? Sie ist klar noch nicht urteilsfähig. Sie muss in dieser Frage durch ihre Eltern vertreten werden. Als Leitgedanke gilt hier: Elterliche Sorge erlaubt nicht, gegen die Interessen des Kindes zu handeln. «Bilder, die entwürdigend sind oder die Intimsphäre verletzen, sind nie von der elterlichen Sorge gedeckt», erklärt Expertin Rita Jedelhauser. Die Nacktbilder in Milenas Fall verletzen also automatisch ihre Persönlichkeit. Das gilt auch für den vermeintlich niedlichen Tobsuchtsanfall, der aus Milenas Perspektive als entwürdigend betrachtet werden muss.

Hinzu kommt: Es gibt keine Garantie dafür, dass die Bilder quasi «in der Familie» bleiben. «Vielen Eltern ist nicht klar, wie öffentlich Social Media trotz aller Privatsphäre-Einstellungen sind und wie wenig Kontrolle man über ein einmal gepostetes Bild hat», so Rita Jedelhauser.

Viele Aussenstehende haben zudem ein Interesse am digitalen Leben von Kindern und Jugendlichen. «Von Pädophilen über grosse Internethändler, die dem Kind massgeschneiderte Werbung schicken, hin zu Versicherungen, die aufgrund von Bildanalysen zu einem späteren Zeitpunkt eine Deckung ablehnen», warnt die Expertin. Den beteiligten Erwachsenen muss also bewusst werden, dass es um die Privatsphäre des Kindes geht – und es ernst zu nehmende Risiken gibt. Hier kann ein aufklärendes Gespräch in der Familie helfen.

Und wenn sich die Eltern uneinig sind?

Falls Milenas Vater aber kein Einsehen hat: Wie kann Mutter Fabienne ihm das Posten der Fotos verbieten lassen?

Erste Anlaufstelle für Unterstützung ist hier die Kindesschutzbehörde Kesb. Sie kann, wenn weder Gespräche noch Aufklärung zum Ziel führen, als letztes Mittel Kindesschutzmassnahmen anordnen. Beispielsweise kann ein Elternteil aufgefordert werden, gewisse Bilder zu löschen. Oder die Behörde kann jemandem verbieten, inskünftig bestimmte Bilder zu posten – und allenfalls eine Busse androhen wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Anordnung.

«Wenn jemand per Klage ein soziales Netzwerk dazu bringen will, ein Bild zu löschen, wäre meines Erachtens das Gericht zuständig», so Jedelhauser. Falls ein urteilsfähiges Kind allein vor Gericht ginge, würde dieses einen Prozessbeistand ernennen. Denkbar sei auch, dass die Kesb einem Kind als Schutzmassnahme eine Beiständin zur Seite stellt. Sie würde – je nach Alter – mit dem Kind besprechen, was es tun will, es selber vertreten oder einen Anwalt mandatieren. Hier sei juristisch noch vieles unklar, so Jedelhauser. Auch wenn Schadenersatz oder Genugtuung gefordert werden, ist das Gericht zuständig.

Tipps: Bitte möglichst anonym posten

Wenn es unbedingt sein muss: So macht man Fotos von Kindern im Internet sicherer.

  • Kinder beispielsweise von hinten oder ohne direkte Aufnahme des Gesichts ablichten
  • Nie Namen und Adressen nennen
  • Keine Angaben zu gesundheitlichen Beschwerden machen
  • Vorher bewusst die Perspektive wechseln: «Würde ich solche Bilder von mir im Netz gezeigt haben wollen?»

Wenn es unbedingt sein muss: So macht man Fotos von Kindern im Internet sicherer.

  • Kinder beispielsweise von hinten oder ohne direkte Aufnahme des Gesichts ablichten
  • Nie Namen und Adressen nennen
  • Keine Angaben zu gesundheitlichen Beschwerden machen
  • Vorher bewusst die Perspektive wechseln: «Würde ich solche Bilder von mir im Netz gezeigt haben wollen?»
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Was im Netz ist, bleibt im Netz

Sandra Husi und Rita Jedelhauser stellen klar: Zu wünschen ist, dass Behörden und Gerichte sich gar nicht erst mit Persönlichkeitsverletzungen von Kindern befassen müssten. Sondern dass die Eltern beim Posten von Fotos ihrer Kinder bewusst und vorsichtig vorgehen. Denn was im Netz ist, bleibt im Netz. Diesen digitalen Fussabdruck werden Kinder später wohl nie mehr los. Die Eltern sollten ihnen die Chance lassen, sich eine eigene digitale Biografie zu erschaffen.

Beobachter
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch

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