Experten-Tipps
Das hilft Kindern beim Lernen

Ferien ade, ein neues Schuljahr bricht an. Eltern und Kinder hoffen auf gute Noten. Doch welche Wege führen dorthin? Nachhilfe oder Nachsicht? Sechs Experten beantworten die wichtigsten Fragen rund um die Themen Lernen und Förderung.
Publiziert: 19.08.2019 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 19.08.2019 um 16:31 Uhr
Carmen Schirm-Gasser

1. Allein oder im Wohnzimmer: Wie und wo soll mein Kind Hausaufgaben lösen?

Möglichst selbständig. Falls Ihr Kind Mühe hat, alles alleine zu machen, ermutigen Sie es dazu. Indem Sie beispielsweise fragen: «Was schaffst du alleine, wo brauchst du meine Hilfe?» Legen Sie mehr Wert auf Selbständigkeit als auf fehlerfreies Arbeiten, indem Sie immer wieder darauf verweisen, etwa mit: «Hey, hast du das alles alleine geschafft?» oder «Super, dass du selbst schon so weit gekommen bist!» Viele Kinder sind auch deswegen unselbständig, weil sie nicht gerne alleine sind. Dann ist es sinnvoll, wenn sie die Hausaufgaben in der Küche oder im Wohnzimmer machen dürfen und Sie gleichzeitig etwas anderes tun.
Fabian Grolimund, Psychologe und Leiter der Akademie für Lerncoaching, Zürich

2. Mein Kind reagiert genervt, wenn ich seine Hausaufgaben korrigiere. Was tun?

Normalerweise werden Hausaufgaben in der Schule korrigiert. Machen Sie das bereits zu Hause, sieht die Lehrperson nicht, wo Ihr Kind noch Mühe hat – und weitere Erklärungen braucht. Zudem passt Ihr Kind während der Besprechung nicht auf, da es ja weiss, dass seine Hausaufgaben bereits korrigiert wurden. Falls es Ihrem Kind wichtig ist, können Sie sich seine Hausaufgaben anschauen – aufzwingen würde ich es ihm nicht.
Fabian Grolimund

3. Meine Tochter sitzt ewig vor ihren Aufgaben und starrt in die Luft. Wie kann ich ihr beibringen, effizienter zu werden?

Viele Kinder träumen und trödeln bei den Hausaufgaben. Lassen Sie nicht zu, dass deren Lösung immer länger dauert – und so die wichtige Erholungszeit Ihres Kindes wegfrisst. Sie können mit ihm folgende Abmachung treffen: «Arbeitest du konzentriert x Minuten, darfst du danach die Hausaufgaben abbrechen.» Zudem ist ein Wecker hilfreich. Nach dem Motto: «Weisst du, wie du die nächste Aufgabe lösen musst? Bist du bereit? Los!» Der Wecker gibt das Startsignal, nach dem Klingeln macht das Kind fünf Minuten Pause. Arbeitsphasen sollten nicht zu lange dauern – Zehnjährige können sich im Schnitt 20 bis 25 Minuten voll konzentrieren. In den Pausen ist Bewegung hilfreich: fünf Minuten aufs Trampolin, ein paar Liegestützen etc. Auch gut für kurzes Abschalten: ein, zwei Lieder hören.
Fabian Grolimund

Die Einschulung ist auch für die Eltern eine Herausforderung.
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4. Weshalb ist es schwieriger, mit meinem Sohn Hausaufgaben zu machen als mit meiner Tochter? Lernen Mädchen einfacher?

Jungen lernen genauso gut. Doch sie haben oft ein viel stärkeres Bewegungsbedürfnis. Alle Kinder – insbesondere Buben – lernen besser, wenn man ihnen nach der Schule eine kurze Bewegungspause gewährt: mit dem Velo heimfahren, Trampolin springen etc. Ein möglichst zuckerarmer Zvieri liefert zudem neue Power: Joghurt nature mit Nüssen, Vollkornbrot mit Käse oder Fleisch. Auf keinen Fall Süssgetränke. Und geben Sie Ihrem Sohn klare Ziele vor: eine halbe Stunde Mathe, eine Viertelstunde Vokabeln lernen, zwanzig Minuten Diktat üben.
Ulrike Stedtnitz, Erziehungspsychologin und Talent-Coach, Zürich

5. Was soll ich tun, wenn mein Kind schlechte Noten nach Hause bringt?

Schlechte Noten haben mitunter ganz unterschiedliche Ursachen: mangelnde Motivation fürs Lernen, Mobbing in der Schule, der ständige Streit zu Hause, Lern- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten. Oder andere Prioritäten, wie sie etwa von den Jugendlichen in der Pubertät gesetzt werden. Eltern sollten also möglichst den Ursachen auf den Grund gehen und dort ansetzen. Was nichts bringt: Schimpfen. Viel besser ist ein verständnisvolles Gespräch zum richtigen Zeitpunkt – meistens nicht gleich nach der schlechten Note.
Ulrike Stedtnitz

6. Mein Kleiner leidet unter Prüfungsangst: Wie kann ich sie ihm nehmen?

Eine gute Vorbereitung ist sehr hilfreich, ausserdem sind genügend Schlaf und ein eiweissreiches Frühstück ratsam. Kinder – und insbesondere Teens – brauchen sehr viel Schlaf für gute Leistungen, mindestens acht Stunden. Denn im Schlaf ist das Gehirn am aktivsten, auch bei uns Erwachsenen! Dabei werden Lerninhalte abgespeichert. Kurz vor der Prüfung hilft schliesslich dieser Tipp: dreimal tief durch den Bauch ein- und ausatmen. Das entspannt. Dann zuerst die Aufgaben genau durchlesen und die leichtesten vorab lösen. Ist die Angst stark oder lähmt sie Ihren Sohn komplett, lohnen sich ein oder zwei Stunden gezielte Unterstützung bei einer psychologisch geschulten Fachperson.
Ulrike Stedtnitz

7. Mein Kind macht lieber Sport, als in die Schule zu gehen. Soll ich ihm den Sport streichen, wenn die Leistung nicht stimmt?

Im Gegenteil. In solchen Momenten lohnt es sich, den Sport weiter auszubauen. Denn Dinge, die Kinder gerne und gut machen, steigern immer auch deren Motivation für die Schule. Zudem aktiviert Sport das Gehirn, den Körper und die Selbstdisziplin – alle drei wirken sich positiv auf Schulleistungen aus. Sitzt ein Kind allerdings stundenlang vor dem PC statt für die Schule zu lernen, müssen Eltern eingreifen. Und es eher auf Sport umlenken.
Ulrike Stedtnitz

8. Die Lehrerin gibt meinem Elfjährigen aus meiner Sicht zu viele Hausaufgaben. Was soll ich tun?

Als Erstes abklären, ob es wirklich Hausaufgaben sind oder ob das Kind im Unterricht etwas verpasst hat und das Versäumnis zu Hause nachholen muss. Sollte die Lehrerin tatsächlich zu viel Hausaufgaben geben, dann hilft nur das Gespräch. Am besten notieren Sie die Zeit pro Hausaufgabenteil auf und addieren diese zu Tages- und Wochensummen.
Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, Frenkendorf BL

9. Wie viele Hausaufgaben sind denn erlaubt? Gibt es allenfalls Richtlinien?

Es gibt eine Faustregel: pro Schuljahr zehn Minuten. Bis Ende der Primarschule sollten Kinder täglich also nie länger als eine Stunde Hausaufgaben machen müssen. Ende der Sekundarschule sind es 1,5 Stunden. Die Zeit kann aber je nach Lerntempo und Auffassungsgabe eines Kindes stark variieren. Zudem gibt es kantonale Empfehlungen, an denen sich die Schulen und Lehrpersonen orientieren. Viele weiterführende Schulen legen überdies Maximalwerte fest.
Beat W. Zemp

10. Unser Sohn lernt langsam, ich kann mir Nachhilfestunden aber nicht leisten. Was tun?

Es müssen nicht immer teuer bezahlte Nachhilfestunden sein. Vielleicht hilft eine Klassenkameradin, ein älteres Geschwister oder jemand aus der Nachbarschaft.
Beat W. Zemp

11. Was gilt? Sollen Kinder heute überhaupt noch auswendig lernen?

Ja. Das Gedächtnis muss trainiert werden, um seine Fähigkeiten zu steigern: Informationen zu speichern und sie bei Bedarf wieder abzurufen. Hier hilft Auswendiglernen. Es darf mal ein Gedicht, eine Zahlenreihe, der Text eines englischen Songs oder eines französischen Chansons sein. Auswendig gelernte Informationen bleiben mitunter ein Leben lang im Gedächtnis erhalten – bis ins hohe Alter. Aus heutiger Sicht macht es aber keinen Sinn mehr, sehr viele Einzelinfos zu büffeln, etwa lange Listen von Schlachtdaten oder alle Flussnamen. Diese kann man mit einem Klick im Internet jederzeit nachschauen.
Beat W. Zemp 

12. Ich glaube, meine Tochter ist hochbegabt. Woran genau erkennt man das?

Allein die Fragestellung ist unpräzise, denn es gibt «das» hochbegabte Kind nicht. Deshalb zeigt sich Hochbegabung auch nicht immer gleich. Mögliche Beobachtungspunkte können sein: Lernt das Kind leicht und schnell? In welchem Alter hat es mit Rechnen begonnen? Hat sich das Kind lange vor Schulbeginn das Lesen und Schreiben selber beigebracht? Ist der Wortschatz für sein Alter ungewöhnlich gross? Ist das Kind bei Routinearbeiten sehr schnell gelangweilt? Hat es Interesse am Experimentieren und daran, Dinge anders zu tun? Kommen Eltern aufgrund ihrer Beobachtungen und durch Checklisten im Internet zum Verdacht Hochbegabung, sollte sie diesen mit Fachleuten diskutieren – und sich Gedanken machen, wie sie diesem Kind gerecht werden.
Yolanda Pfaff ist Beraterin der Anlaufstelle Hochbegabung der «Stiftung für hochbegabte Kinder», Zürich

13. Was verweist auf eine Rechenschwäche, eine Dyskalkulie?

Falls das Leistungsdefizit wider Erwarten gross ist und es keine andere Erklärung dafür gibt. Mitunter wirken dahinter andere Gründe, etwa die Überzeugung, es in Mathe ohnehin nie zu etwas zu bringen. Vor allem Mädchen neigen zu solchem Denken, stärker als Buben. Bei einem Verdacht auf Rechenschwäche sind genaue Abklärungen und Analysen nötig – nebst Geduld und einem gezielten Training.
Letizia Gauck, Psychologin und Leiterin des Zentrums für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Basel

14. Und was genau versteht man unter einer Lese- und Rechtschreibschwäche?

Von einer Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) spricht man dann, wenn ein Mensch in diesen Bereichen stark erwartungswidrige Leistungen zeigt und es dafür keine andere Erklärungen gibt, etwa häufige Fehlzeiten in der Schule, Sehfehler etc. Dieser Leistungsrückstand lässt sich oft aufholen – aber es bedarf einer gezielten Analyse, worauf die Probleme genau zurückgehen. Und ein darauf aufbauendes, – mindestens – mehrwöchiges Training durch eine spezialisierte Fachperson.
Letizia Gauck

15. Soll man grundsätzlich eher vorhandene Begabungen fördern oder jene Fächer, in denen sich ein Kind schwertut?

Am leichtesten lernen Kinder, wenn ihnen das Lernen (nicht immer, aber immer wieder) Freude macht. Deshalb empfehlen wir: Stärken nutzen, um an Schwächen zu arbeiten.
Letizia Gauck

16. Es heisst, «Frühstücksesser» denken in der Schule besser. Mein Sohn aber mag nicht essen. Ist das schlimm?

Ein veritabler Zmorge ist sehr wichtig für Kinder. Insbesondere dann, wenn sie zu Fuss in die Schule gehen. Denn in der Nacht macht der Körper eine kurze Fastenzeit durch und zapft Energiereserven an. Nach dem Erwachen ist der Blutzuckerspiegel tief, der Körper verlangt Nachschub. Zeit fürs Frühstück. Eine Studie der ETH Zürich zeigt: Regelmässig frühstückende Kinder schneiden in Sporttests besser ab und sind weit seltener übergewichtig. Zudem verbessert ein gesundes Frühstück das Konzentrationsvermögen – bei Kindern wie Erwachsenen. Viele Eltern kennen allerdings das Genörgel am Tisch, weil die Kinder nicht frühstücken wollen. Es kann helfen, sie am Abend früher schlafen zu schicken. Dann kommen sie am Morgen besser aus den Federn und haben mehr Appetit. Ebenfalls hilfreich: dass die Eltern gemeinsam mit dem Nachwuchs am Frühstückstisch sitzen.
Marianne Botta Diener, Ernährungswissenschaftlerin, Autorin, Dozentin und achtfache Mutter, Ittigen BE

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