Erfolgsautor Salman Rushdie hält Trump für die Pest
«Das Leben, wie ich es kannte, existiert nicht mehr»

Der Schriftsteller Salman Rushdie (70) über das gegen ihn verhängte Todesurteil, sein Leben in New York und die Sehnsucht nach George W. Bush.
Publiziert: 29.10.2017 um 16:42 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:20 Uhr
Interview: Peter Henning

Herr Rushdie, erinnern Sie sich noch an den 14. Februar 1989?
Salman Rushdie: An den Tag, an dem Khomeini offiziell zu meiner Tötung aufrief? Wie könnte ich dieses Datum je vergessen? Es hat mein Leben nachhaltig verändert und geprägt.

Was änderte sich?
Das Leben, wie ich es bisher kannte, existierte nicht mehr. Jeder Schritt musste fortan überlegt sein. Die Angst war lange mein ständiger Begleiter. Doch ich sagte mir ­irgendwann: Du darfst dich nicht von ihr bestimmen lassen, ­andernfalls ist dein Leben zu Ende. Also sperrte ich sie – bildlich gesprochen – wie ein kleines gefähr­liches Insekt in eine Schachtel und sagte mir: So habe ich sie unter Kontrolle. Und zu meiner Über­raschung hat das funktioniert.

Hat die Bedrohung Ihr Schreiben beeinflusst, und wenn ja, wie?
Alles, was man als Schriftsteller erlebt, beeinflusst das Schreiben auf bestimmte Weise. Aber ich glaube, wenn jemand meine Bücher in der Reihenfolge ihrer Entstehung liest, so wird er wahrscheinlich nicht den Eindruck haben, dass ihrem Verfasser 1989 etwas Schreckliches widerfahren ist.

Salman Rushdie brachte einst die Islamisten gegen sich auf.
Foto: EPA
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Sie haben sich einfach nicht ­beirren lassen?
Genau. Ich habe versucht, das so weit wie möglich aus meiner Arbeit als Schriftsteller herauszuhalten. Hinzu kommt, dass ich in dieser Zeit eine ganze Reihe von Geheimdienstmitarbeitern kennengelernt habe, die zu meiner Sicherheit abgestellt wurden. Das war aus der Sicht des Schriftstellers ein hoch­interessanter Nebenaspekt.

Inwiefern?
Nun, das war ein total faszinierendes Milieu, das ich unter normalen Umständen so nie kennengelernt hätte. Das brachte mich so weit, dass ich sogar eine Zeitlang mit der Idee spielte, einen Agentenroman zu schreiben. Sich zum Beispiel in dem James-Bond-Gebäude an der Themse aufzuhalten, dass ich bislang nur aus den Filmen kannte, war eine ziemlich interessante ­Erfahrung. In den Filmen heisst der Leiter der Behörde bekanntlich «M» – tatsächlich aber verbirgt er sich hinter einem «C».

Sie wurden 1947 in Bombay in Indien geboren, lebten lange in England und sind nun seit ­geraumer Zeit in New York ­zu Hause. Was sind Sie?
Ich bin New Yorker! Punkt. Ich liebe das Leben dort, denn es ist stark geprägt vom Geist der Immigration. Ich bin selbst mein Leben lang ein Migrant gewesen. Ich hab einen ame­rikanischen und einen britischen Pass und bin ein Bürger Indiens.

Es schlagen drei Herzen in Ihrer Brust?
Meine Geburtsurkunde weist mich als Inder aus. England hat mich ­geformt. Doch meine Stadt ist New York, denn dort leben Menschen, die aus aller Welt kommen. Genau wie ich. Diese Stadt ist ein ­Paradebeispiel für Migration. Und wer Migration fürchtet, dem sage ich: Überwinde deine Vorbehalte dagegen! Geh hin und lebe in der Fremde, und sie wird dich reich ­beschenken.

Sie selbst sind als Junge nach England gekommen. Wie war es für Sie, Indien zu verlassen?
Ich habe damals als Schüler gelernt, was es heisst, der «Andere» zu sein, der Fremde. Das war so schockierend und beunruhigend, dass ich mich manchmal wie ein Ausserirdischer fühlte.

Ihr erster grosser Roman ­«Mitternachtskinder» von 1981 spielte in Indien. Wie sehen Sie das ­heutige Indien, 70 Jahre nach seiner Gründung?
Mit grosser Sorge. Der Erfolg der Politik von Premierminister Modi hat den Charakter des Landes verändert. Indien ist nicht mehr der säkulare Staat, wie ihn Gandhi und Nehru wollten. Modi hat das Land in einen nationalistischen Hindu-Staat verwandelt.

Mit welchen Folgen?
Kritiker werden mundtot gemacht, und die Meinungsfreiheit wird immer weiter beschnitten. Nicht alleine durch politischen Druck, sondern auch dadurch, dass Premierminister Modi sich die Medien gefügig machte. Kritiker haben es in Indien schwer, ähnlich wie im Moment in den USA. Dort hofft man bereits auf die Nach-Trump-Ära, in Indien ist ein solches Hoffen sinnlos.

Ihr neuer Roman «Golden House» spielt eben da, in den USA, in New York. Wie lebt es sich dort mit Blick auf das politische ­Treiben Donald Trumps?
Es wird jeden Tag ein bisschen schlimmer, auch wenn New York nicht eigentlich Trump-Territorium ist. Doch es zeigt sich, dass die Kluft zwischen den Metropolen und dem sogenannten «Heartland» immer grösser wird.

Woran machen Sie das fest?
Etwa daran, dass eine geradezu irrwitzige Furcht vor den Schwarzen grassiert, sodass grosse Teile der weissen Bevölkerung fürchten, bald schon in der Minderheit zu sein, was natürlich vollkommener Unsinn ist. Diese und ähnliche ­Phobien schürt der aktuelle Präsident immer neu mit seinem politischen Irrationalismus. Die alten moralischen Werte erodieren.

Existiert denn das Obama-­Amerika nicht mehr?
Trump hat das Rad zurückgedreht, und das Faktische zum Einsturz gebracht. Kein Tag vergeht, an dem er die Wahrheit nicht zu seinen Gunsten verdreht und die Welt belügt. Und jedes Mal, wenn wir glauben, schlimmer geht es nicht, setzt der Kerl noch einen oben drauf.

Treibt Trump die Welt in den dritten Weltkrieg?
Ich würde gerne anders antworten, aber, ja, die Gefahr besteht. Und je mehr er sich in die Ecke gedrängt fühlt, desto realistischer ist ein ­solches Szenario. Wir sehen Nazi-Banner in den Strassen, und das Wort «Nuklearkrieg» macht plötzlich wieder die Runde. Selbst ­liberale, progressive New Yorker, die ihr Leben lang die Demokraten wählten, werden inzwischen nos­talgisch, wenn sie an George W. Bush denken. Trump ist die Pest.

Was lässt Sie trotzdem hoffen?
Wenig, ehrlich gesagt. Zugleich aber denke ich, dass seinem Stab durchaus bewusst ist, wie gefährlich das ist, was er da treibt. Auf ­deren Vernunft setze ich genau wie viele andere. Am Ende aber entscheidet alleine er. Leider.

Ihr neuer Roman ist ein klassischer New-York-Roman. Doch er tangiert auch die Trump-Ära, und es tritt sogar eine Art Trump-Figur darin auf. Warum?
Ich wollte mit meinem Buch so hart wie möglich an der Gegenwart entlang erzählen. Und da kommt man dann natürlich an Trump nicht vorbei. Mir schwebte ein Zeitgeist-­Roman vor, der diesen so exakt wie möglich abbildet und zugleich darüber hinaus weist. Hemingway sagte einmal: Du musst dicht am Stier kämpfen, damit es für die Zuschauer spannend ist. Das ist natürlich mit Gefahren verbunden. Denn wenn du eine Sekunde lang unachtsam bist, stösst er dir sein Horn in die Rippen.

Wie würden Sie Ihren Ansatz als Schriftsteller beschreiben?
Es gibt Schriftsteller, die schreiben, um etwas zu verkünden, und solche, die ihr Schreiben als Suche nach Antworten auf bestimmte ­Fragen verstehen. Als eine Art ­Expedition, von der sie klüger zurückzukehren hoffen. Ich zähle mich zu denen, die Antworten auf Fragen suchen. Ich bin ein Autor, der im Schreiben auf Erkenntnisgewinn aus ist.

Sie betreiben das Schreiben wie eine Wissenschaft?
Irgendwie schon. Die Dinge um uns herum verändern sich rasant. Also braucht man genau arbeitende Instrumente, um sie abzubilden. Und in glücklichen Momenten gelingt es einem, etwas davon aufs Papier zu bannen. Tom Wolfe ist das mit seinem Roman «Fegefeuer der Eitelkeiten» ebenso geglückt wie einst F. Scott Fitzgerald mit dem «Grossen Gatsby». In dieser Tradition sehe ich meinen Roman.

Filme spielen im Roman eine grosse Rolle, es wimmelt von ­Zitaten und Hinweisen darauf. Welche Stellenwert hat für Sie das Kino, vor allem das sogenannte Bollywood-Kino, dem Sie als Junge in Indien begegneten?
Wer wie ich in Bombay aufwuchs, für den spielt Bollywood eine grosse Rolle. Dessen Stars sind in Indien omnipräsent. Ganze Zeitungen werden mit Geschichten über sie gefüllt. Auf mich übte das damals einen enormen Reiz aus, und es vermittelte mir wohl auch eine Vorstellung davon, wie man Geschichten erzählen muss, damit die Zuschauer oder Leser sie mögen.

Sie sind ein Kind Bollywoods?
Ja, ich habe lange begeistert zu ­unseren Filmstars aufgeschaut. Später, als ich in Cambridge aufs College ging, hat sich mein Film­geschmack verändert, und ich fand mein Glück bei den Filmen von Truffaut, Kurosawa, Godard und Ingmar Bergman. Eigentlich ist es ein Wunder, dass ich nicht beim Film gelandet bin, als Regisseur oder als Drehbuchschreiber. Dass ich Schriftsteller wurde, liegt wohl daran, dass ich beim Arbeiten gern sämtliche Fäden in der Hand halte, was beim Filmemachen, an dem so viele beteiligt sind, nicht geht.

Kenner werden im Verlauf von «Golden House» Anspielungen auf Alfred Hitchcocks berühmten Film «Fenster zum Hof» aus­machen. Zufall oder Absicht?
Ich möchte es eine Verneigung vor ihm nennen. Denn tatsächlich ­waren die Filme von Hitchcock sehr hilfreich beim Schreiben des Buchs, das ja in gewisser Weise auch ein Thriller ist. Und wer hat das Handwerk des Thrillers je besser beherrscht als Hitchcock? Er war ein Meister der Scharade und der gezielten Ablenkung. Ich mag es, die Techniken des Films in mein Schreiben zu adaptieren, also mit Cliffhangern zu arbeiten, mit schnellen Schnittfolgen oder langen Kamerafahrten. Das macht es für den Leser sinnlich. Wenn wir gegen die zunehmende Deutungsmacht des Kinos als Schriftsteller bestehen wollen, so müssen wir es mit seinen eigenen Waffen zu schlagen versuchen.

Sie gelten als magisch-realistischer Erzähler. Wo sehen Sie selbst Ihre Wurzeln als Schriftsteller?
Ich komme wahrscheinlich von den klassischen indischen Geschichtenerzählern her, den sogenannten «gons» oder «bophas». Als Kind habe ich den Geschichtenerzählern in Bombay gebannt gelauscht und fasziniert erlebt, wie es ihnen gelang, Menschen alleine mit Worten zu verzaubern. Ich sagte mir damals: Das willst du auch mal können!

Und wie haben Sie Ihr Ziel ­erreicht?
Massgeblich mit der Hilfe von Charles Dickens, dem ich erst später während des Studiums in England begegnet bin und den ich über alle Massen verehre.

Was macht ihn für Sie so aussergewöhnlich?
Dickens ist ein Grossmeister des ­panoramatischen Erzählens, ohne dabei das Detail aus den Augen zu verlieren. Alles ist bei ihm «larger than life», grösser, breiter, und wird bisweilen geradezu opernhaft überhöht. Doch da seine Figuren stets tief in der geschilderten Rea­lität und dem Milieu verwurzelt bleiben, erscheinen sie in jeder ­Sekunde glaubwürdig. Daran habe ich mich beim Schreiben des neuen Buchs orientiert. Ich wollte eine Art magischen Opern-Realismus à la Dickens erschaffen. Ich hoffe, es ist mir gelungen.

Salman Rushdie: «Golden House», C. Bertelsmann Verlag

Ein Weltstar

Spätestens seit der ­iranische Staatschef Khomeini 1989 ­öffentlich zu seiner ­Ermordung aufrief, zählt der 1947 in ­Bombay geborene ­indisch-britische Autor ­Salman Rushdie zu den ­weltweit bekanntesten Schriftstellern. Mit ­seinem Buch «Die ­satanische Verse» ­hatte er 1988 den Iran gegen sich aufgebracht – fortan lebte er an ­geheimen Orten unter Polizeischutz. Neben Zadie Smith und Hanif Kureishi zählt Rushdie zu den bedeutendsten anglo-asiatischen ­Vertretern der britischen Literatur. Zu ­seinen bekanntesten Werken zählen «Mitternachtskinder» (1981) und «Die bezaubernde Florentinerin» (2009).

Spätestens seit der ­iranische Staatschef Khomeini 1989 ­öffentlich zu seiner ­Ermordung aufrief, zählt der 1947 in ­Bombay geborene ­indisch-britische Autor ­Salman Rushdie zu den ­weltweit bekanntesten Schriftstellern. Mit ­seinem Buch «Die ­satanische Verse» ­hatte er 1988 den Iran gegen sich aufgebracht – fortan lebte er an ­geheimen Orten unter Polizeischutz. Neben Zadie Smith und Hanif Kureishi zählt Rushdie zu den bedeutendsten anglo-asiatischen ­Vertretern der britischen Literatur. Zu ­seinen bekanntesten Werken zählen «Mitternachtskinder» (1981) und «Die bezaubernde Florentinerin» (2009).

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