So ist der Alltag nach der Impfung
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Schon beide Pikse erhalten:So ist der Alltag nach der Impfung

Drei Basler erzählen von ihrem neuen Leben
Wie fühlt es sich an, geimpft zu sein?

Kein anderer Kanton impfte so früh so viele Menschen wie Basel. Zahlreiche Bewohner der Stadt geniessen bereits den höchstmöglichen Schutz. Drei von ihnen erzählen, wie sich ihr Leben dadurch verändert hat.
Publiziert: 27.02.2021 um 19:43 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2021 um 19:50 Uhr
Jonas Dreyfus

Sich vor Corona zu fürchten, habe nichts mit Hysterie zu tun, sagt Andrea Hettlage. Angst könne etwas Gutes sein. Die 77-jährige Baslerin liess sich so früh wie möglich gegen Corona impfen, inzwischen hat sie die zweite Dosis erhalten und die Zeit hinter sich, in der der Stoff seine volle Wirkung entfaltet. «Wie ein Geburtstagsgeschenk» fühle sich das an.

Wer mit Menschen aus der Stadt Basel spricht, die bereits vollständig geimpft sind, der spürt Euphorie. Und die scheint sich zu übertragen: In der neusten, landesweiten Corona-Erhebung im Auftrag der SRG gaben 42 Prozent der Befragten an, sich sofort impfen lassen zu wollen. Dass dieser Anteil seit Ende Oktober um fast das Dreifache anstieg, hat mit Erfahrungsberichten von Geimpften und ­neuen Testergebnissen zu tun.

Basler konnten Gefahr nicht mehr verdrängen

Dass in Basel-Stadt rund doppelt so viele Personen vollständig geimpft sind wie in Kantonen mit vergleichbarer Einwohnerzahl wie Graubünden, hat aber auch andere Gründe. Als Ende Februar 2020 die Fasnacht abgesagt wurde, war das für die Basler ein kollektives Schock­erlebnis. Damals gab es in der Schweiz noch keinen einzigen Corona-Toten, die erste Welle war gar noch nicht richtig da. Und trotzdem konnte kein «Bebbi» mehr verdrängen, dass da etwas Gröberes auf uns zukommt. Denn die Fasnacht würde man sonst nicht absagen. Niemals!

Andrea Hettlage geniesst bereits den höchstmöglichen Schutz. Denn: Die Psychoanalytikerin ist bereits vollständig gegen Corona geimpft.
Foto: STEFAN BOHRER
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Erster Deutschschweizer Kanton mit Maskenpflicht

Von nun an hatte Basel eine Pionierrolle in der Pandemiebekämpfung, führte als erster Deutschschweizer Kanton eine Maskenpflicht in Läden plus für Servicekräfte ein, die in Innenräumen arbeiten. Und begann bereits am 28. Dezember im grossen Stil zu impfen. Das war so früh, dass die Empfehlung des Bundes, zuerst die über 75-Jährigen zu berücksichtigen, noch gar nicht erfolgt war. So konnten sich kurz vor Weihnachten eine Zeit lang über 65-Jährige anmelden. Einer von ihnen ist Michael Nüscheler.
Der pensionierte Arzt aus Riehen betreute in den 90er-Jahren drogensüchtige Patienten und weiss, was es heisst, wenn ein Virus die Menschheit bedroht. Wenn man damals gegen HIV so schnell einen Impfstoff zur Hand gehabt hätte wie jetzt gegen Corona, hätte man sehr viel Leid verhindern können, sagt er.

Im Kampf gegen die Pandemie gilt Basel nun als Vorzeigekanton. Das hat auch geografische Gründe: Im Stadtkanton Basel ist der nächste Arzt in der Regel nie weit entfernt. Das wirkt sich aufs Impfverhalten aus, wie der Mitte-Regierungsrat, Gesundheitsdirektor und Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren Lukas Engelberberger (45) gegenüber dem SonntagsBlick Magazin sagt: «Basel hat traditionell gute Impfraten.» Trotzdem ist das Leben auch in Basel noch immer stark eingeschränkt. Die Fasnacht fand wieder nicht statt.

Als Regierungsrat Engelberger zusätzlich noch die Aufzeichnungen von Schnitzelbänken fürs Fernsehen hatte verbieten wollen, kam selbst die Corona-Disziplin der Basler an ihre Grenzen. Sie protestierten heftig. Das Verbot wurde aufgehoben.

«Weil meine zeitliche Existenz begrenzt ist, habe ich umso mehr Lust aufs Leben»

Kann jemand, der sein Leben in vollen Zügen gelebt hat, besser mit den coronabedingten Einschränkungen umgehen? Nein, sagt Psychoanalytikerin Andrea Hettlage (77) aus Basel-Stadt. Sie geniesst seit der zweiten Impfdosis Perspektiven, die sich auftun.

«Ich wurde kürzlich 77 Jahre alt – mein erster Impftermin am 15. Januar war für mich wie ein vorgezogenes Geburtstagsgeschenk. Inzwischen habe ich den vollen Impfschutz und wieder einen freieren Blick auf die Dinge als davor.

Eine gewisse Trauer war bei mir schon vorhanden, als es losging mit der Pandemie. Mich überkam das Gefühl, dass Jahre verloren gehen, in denen ich zum Beispiel noch nach Ungarn reisen wollte, um mich auf die Spuren meiner Vorfahren zu machen. Zum Glück habe ich einen Mann, eine Tochter, Freundinnen und Freunde, mit denen ich über solche Sachen sprechen kann.

In meinem Alter ist das Leben endlicher. Das heisst aber nicht, dass ich die Einschränkungen gelassen nehme. Im Gegenteil. Weil meine zeitliche Existenz begrenzt ist, habe ich umso mehr Lust aufs Leben. Ich spiele durchaus mit dem Gedanken, einmal noch in New York oder Rom zu leben.

Im März letzten Jahres hatten mein Mann, ein befreundetes Ehepaar und ich Karten für ein Theaterstück in München. Wir wollten gemeinsam mit dem Zug hinreisen und standen bereits am Bahnhof, als ich plötzlich merkte, dass mir nicht wohl ist damit. Ich habe gesagt: «Wir gehen nicht!» Es tat mir leid, dass ich den anderen so kurzfristig die Freude verderben musste, aber im Nachhinein war es die richtige Entscheidung.

Sich vor Corona zu fürchten, hat nichts mit Hysterie zu tun. Angst zu haben, kann etwas Gutes sein. Sie ist ein Signal, auf das man hören sollte. Ich bin Teilzeit als Psychoanalytikerin tätig und schliesse im Moment die Analysen mit den Patienten ab, die schon lange zu mir kommen. Daneben gebe ich Supervisionen.

Ich hatte mit Ärztinnen und Ärzten zu tun, die zu Beginn der Pandemie eine Art Hoch verspürten, weil sie endlich Mediziner im klassischen Sinn sein konnten. Damit meine ich, dass sie so unmittelbar gebraucht wurden wie ihre Kollegen in medizinisch schlecht versorgten Gebieten der Welt.

Je länger sie mit dem Elend konfrontiert waren, desto stärker wurde ihre Tätigkeit aber zur Belastung und die Hoffnung auf eine Impfung immer grösser. Wer auf einer Intensivstation arbeitet – für den ist die Pandemie eben nicht so abstrakt wie für viele, die andere Jobs haben.

Ich verhalte mich nicht komplett anders, seitdem ich den Impfschutz habe, aber die Hoffnung ist gross, dass ich in absehbarer Zeit mit dem Zug nach Berlin oder in die Toskana fahren kann, um meine Freundinnen, die dort leben, zu besuchen. Irgendwann vielleicht sogar nach Como in die Oper oder nach Los Angeles. Oder mal wieder jüngere Menschen zum Essen einzuladen – das wäre schön.»

«Ich möchte jetzt grad noch nicht sterben»

Mediziner Michael Nüscheler (65) erlebte während der Aids-Epidemie, was es heisst, wenn ein Virus die Menschheit bedroht. Dass er sich gegen Corona impfen lassen wollte, war für ihn von Anfang an klar. Das Ergebnis der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die seiner Haltung zugrunde liegt, ist in seinen Augen eindeutig.

«Um mich herum spüre ich eine grosse Euphorie, was die Impfung gegen Covid-19 betrifft. Als Arzt, der in den 90er-Jahren das Basler Drogenabgabelokal Badal aufbauen half, hatte ich schon einmal mit einem Virus zu tun, der viele Menschen bedrohte: HIV. Wer sich damals mit ihm infizierte, für den war das ein Todesurteil. Eine Patientin von mir, die an Aids erkrankte, musste für ihre kleine Tochter eine Pflegefamilie suchen, weil sie wusste, dass sie sterben wird. Ich fand das so schrecklich!

Bis heute gibt es keinen Impfstoff gegen HIV. Wenn man damals so schnell einen zur Hand gehabt hätte wie jetzt gegen Corona, hätte man sehr viel Leid verhindern können.

Am 30. Dezember erhielt ich im Impfzentrum die erste Dosis, am 20. Januar die zweite. In Basel-Stadt konnten man sich kurz nach Impfbeginn bereits ab 65 Jahren für einen Termin anmelden. Danach wurde das Mindestalter auf 75 erhöht.

Für mich war klar, dass ich mich wegen meines Alters und meines hohen Blutdrucks so schnell wie möglich impfen lasse. Laut Studien liegt die Wahrscheinlichkeit, dass man als über 65-Jähriger einen tödlichen Corona-Verlauf hat, bei 10 bis 15 Prozent. Natürlich gibt es Ausnahmen wie meine 92-jährige Schwiegermutter, die die Krankheit glimpflich überstand. Doch Fakt ist in Zusammenhang mit Covid-Erkrankungen: Je älter, desto grösser das Risiko, zu sterben. Und das möchte ich jetzt grad noch nicht.

Ich war bis vergangenen Mai als Allgemeinpraktiker tätig – meinen Platz in der Gemeinschaftspraxis hat meine Tochter übernommen, die auch den Arztberuf gewählt hat. Im Lauf meiner Karriere war ich immer wieder erstaunt darüber, dass sich bei uns nur rund 30 Prozent des Pflegepersonals gegen Grippe impfen liess. Bei den Ärzten war es umgekehrt: Rund 30 Prozent liessen sich nicht impfen. Dabei hat das Pflegepersonal viel öfter, länger und näher Kontakt zu den Patienten als ein Arzt. Wenn man es schon nicht tut, um sich selbst zu schützen, müsste man sich doch zumindest mit den Menschen, die man betreut, solidarisch zeigen.

Ich könnte jetzt sagen, dass ich die Angst vor der Covid-Impfung nachvollziehen kann. Doch wenn ich ehrlich bin, kann ich sie mir überhaupt nicht erklären. Das Risiko einer Erkrankung an Corona ist so viel grösser als allfällige Langzeitfolgen einer Impfung. Hinzu kommt, dass die Langzeitfolgen von Corona im Moment im Vergleich zu denen einer Impfung deutlich wahrscheinlicher sind. Menschen mit sogenannten Long-Covid-Symptomen leiden noch Monate nach der Genesung an starker Müdigkeit und Atemnot.

Wenn ich einen Impfskeptiker kennen würde, würde ich ihn fragen, was er für eine Alternative zur Impfung vorschlägt. Von allein wird Corona garantiert nicht weggehen. Die Impfung ist die einzige Möglichkeit, das Virus zu besiegen. Und sogar noch eine aussichtsreiche Möglichkeit: Sobald 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, sind Lockdowns vorerst Geschichte.»

«In meinem Umfeld ist niemand skeptisch. Eher neidisch»

Risiken zu analysieren, gehört für Versicherungsbroker Bruno Kopp (65) zum Berufsalltag. Weil er eine Krankheit hatte, der er hilflos ausgeliefert war, ist die Impfung gegen Corona für ihn Selbstermächtigung.

«Vor fast fünf Jahren musste ich mir einen bösartigen Tumor entfernen lassen. Ich stellte mir damals die Frage, die sich wohl viele Menschen in solchen Situation stellen: Warum gerade ich? Dass ich der Krankheit so hilflos ausgeliefert war, empfand ich als sehr unangenehm. Umso klarer ist es für mich, dass ich von allem, was ich selbst in die Hand nehmen kann, um meine Gesundheit zu schützen, Gebrauch mache.

Dazu gehört für mich die Impfung gegen Covid-19. Ich habe mich am 21. Dezember für sie angemeldet, am 30. Dezember hatte ich die erste, am 20. Januar die zweite Dosis. Mein gelbes Impfbüchlein ist inzwischen voller Einträge. In meinem nahen Umfeld ist niemand skeptisch. Eher neidisch.

Ich habe grossen Respekt vor Corona und verhalte mich nicht gross anders als zur Zeit, als ich noch nicht den vollen – respektive höchstmöglichen – Impfschutz hatte. Vielleicht trinke ich ein bisschen mehr Kaffee als sonst, weil ich mir auch an Orten einen erlaube, an denen Maskenpflicht herrscht. Ich ziehe sie dann einfach für jeden Schluck kurz hinunter.

Als Versicherungsbroker mit Spezialgebiet Katastrophen bin ich gut darin, Risiken zu analysieren. Ich verstehe nicht, dass man im Moment immer sagt, nichts sei längerfristig planbar, man müsse von Tag zu Tag entscheiden. Wenn man sich Daten beschafft und sie analysiert, kann man Szenarien voraussehen. Deshalb sind Massentests in meinen Augen so wichtig. Man kann die Daten, die man dank ihnen gewinnt, auf die ganze Bevölkerung hochrechnen.

Es wird jetzt darüber diskutiert, ob geimpfte Personen mehr Freiheiten geniessen sollen als nicht geimpfte Personen. Im Moment ist das meiner Meinung noch nicht angebracht, weil noch gar nicht alle Zugang zu einer Impfung haben. Sobald sich jeder impfen lassen konnte, der das wollte, ist eine Andersbehandlung von nicht geimpften Personen in manchen Bereichen wohl unausweichlich. Eine Möglichkeit wäre, dass sie höhere Krankenkassenprämien bezahlen müssen oder zumindest einen höheren Selbstbehalt im Fall eines schweren Verlaufs mit Hospitalisierung. Raucher, die eine Lebensversicherung abschliessen, bezahlen ja auch mehr Prämien als Nichtraucher. Darüber regt sich niemand auf.

Ich esse sehr gerne, und meine Partnerin kocht sehr gut. Das ist keine schlechte Kombination – vor allem während eines Lockdowns. Trotzdem freue ich mich, in naher Zukunft mal wieder mit ihr und meinem erwachsenen Sohn in ein Restaurant gehen zu können. Oder endlich wieder Fasnacht machen zu dürfen. Ich spiele Piccolo in einer Clique.»

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