«Vermutlich setzt das Wetter den Tieren zu»
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Fledermäuse in Not:«Vermutlich setzt das Wetter den Tieren zu»

Das Wetter bringt vor allem die Babys in Lebensgefahr
Fledermäuse in Not

Noch nie waren so viele Baby-Fledermäuse in Not: Schuld ist die schlechte Witterung. Die Kleinen werden in der ganzen Schweiz von Freiwilligen wie Karin Schneebeli aufgenommen und gepflegt.
Publiziert: 11.08.2021 um 06:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2021 um 10:09 Uhr
Katja Richard

Sie sind kaum grösser als ein Daumen und wiegen ausgewachsen so viel wie ein Stück Würfelzucker: Baby-Fledermäuse sind filigrane Wesen. Karin Schneebeli (56) fasst sie behutsam und liebevoll an. Sie leitet ehrenamtlich die Notpflegestation für Fledermäuse im Kanton Zug. Die Personalfachfrau ist eine von schweizweit 60 ausgebildeten Fachpersonen, die sich in ihrer Freizeit um hilfsbedürftige Fledermäuse kümmern.

So viele Jungtiere wie dieses Jahr waren es noch nie: «Momentan habe ich 14 Fledermäuse in Not bei mir in Pflege, insgesamt waren es seit Ende Juni schon 60, das ist mehr als doppelt so viel wie sonst», so Schneebeli. Und das ist nur ein Bruchteil: In der zentralen Fledermaus-Notpflegestation Zürich, die die Stiftung Fledermausschutz mit Unterstützung des Zürcher Tierschutzes und des Zoos betreibt, wurde 2021 bisher schon für über 340 verwaiste oder verletzte Tiere Hilfe geleistet.

Die Nottelefone laufen heiss

Beim Nottelefon gehen zurzeit bis über 100 Anrufe pro Tag ein, insgesamt sind es schon 3000 in diesem Jahr. Laut dem Geschäftsführer der Stiftung Fledermausschutz, Hubert Krättli, ein trauriger Rekord. «Grund dafür sind die intensiven Regenfälle in den letzten Wochen», erklärt er. «Die Muttertiere können nicht ausfliegen und finden zu wenig Nahrung, um ausreichend Milch für ihre Jungen zu produzieren, und müssen ihre Kleinen zurücklassen, um selber überleben zu können.»

Karin Schneebeli ist eine von schweizweit 60 ausgebildeten Fachpersonen, die sich in ihrer Freizeit um hilfsbedürftige Fledermäuse kümmern.
Foto: Thomas Meier
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Darum ist man bei der Stiftung über jede Hilfe froh. Freiwillige können dort eine Ausbildung machen, zudem brauchen sie eine Tollwut-Impfung und eine Notpflege-Bewilligung des kantonalen Veterinäramts, denn Fledermäuse sind geschützte Wildtiere. Die Pflege braucht Erfahrung und Zeit: «Je nach Alter muss man sie alle zwei bis drei Stunden füttern.» Vor Mitternacht kommt sie selten ins Bett, ihre Ferien nimmt sie schon im Mai, damit sie während der Saison für die Tierchen da sein kann. Die Kleinsten darf sie kurzzeitig sogar mit ins Büro nehmen, dank des Entgegenkommens ihres Arbeitgebers EWL Energie Wasser Luzern.

Wichtig fürs Ökosystem

Unterschlupf finden die Fledermäuse in Boxen verschiedener Grösse, die Schneebeli speziell nach ihren Bedürfnissen einrichtet. Die Kleinsten sind manchmal erst ein bis zwei Tage alt, noch blind und nicht grösser als eine Hummel. Sie bekommen kleine Wärmeflaschen, damit sie nicht unterkühlen. Elf Jahre ist es her, seit Schneebeli selber eine Baby-Fledermaus gefunden und schliesslich die Notpflegestation im Kanton Zug übernommen hat. «Ich fühle mich mit diesen Tieren verbunden. Es ist ein schönes Gefühl, sie beim Wachsen zu begleiten, bis sie in ihr Leben fliegen können.»

Fledermäuse sind auch enorm wichtig für unser Ökosystem. «Sie fressen Insekten, pro Nacht bis zur Hälfte ihres Körpergewichts», so Biologe Krättli. «Dadurch spart man nicht nur Pestizide, sondern mindert deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Der Dienst dürfte für die Schweiz hochgerechnet mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr betragen.»

Wegen Corona in Verruf geraten

Hierzulande bilden Fledermäuse mit dreissig Arten die artenreichste Gruppe innerhalb der Säugetiere. Krättli: «Mehr als die Hälfte davon steht auf der roten Liste der bedrohten Arten.» Der Bestand ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stark zurückgegangen. Den Fledermäusen fehlen Unterschlupfmöglichkeiten, diese werden durch Renovationen von Dachgeschossen oder auch durch das Fehlen von Altholzbeständen im Wald immer spärlicher. Zudem leiden sie unter Lichtverschmutzung und der Zersiedelung.

Jetzt sind die Fledermäuse auch noch wegen Corona in Verruf geraten. Angst muss man vor den nachtaktiven Flatterern aber keine haben: «An der Uni Zürich wurden Tausende von Proben genommen», so Krättli. «Zwar haben wir wie bei allen Wildtieren viele verschiedene Viren gefunden, aber Sars-CoV-2 gehört definitiv nicht dazu. Meist braucht ein Virus ohnehin einen Zwischenwirt, und es muss in aller Regel gleichzeitig mutieren. Dies war vermutlich bei einem dem Sars-CoV-2 ähnlichen Virus der Fall, das bei einer chinesischen Fledermausart entdeckt wurde.

Direkten Kontakt meiden

So herzig die Babys sind, direkten Kontakt mit Fledermäusen sollte man vermeiden. Wie alle Wildtiere könnten sie Krankheiten übertragen. Dasselbe gilt auch umgekehrt: Wir Menschen könnten die Fledermäuse mit Covid infizieren: «Das könnte unter Umständen für unsere Fledermauspopulationen fatal sein.»

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