Das weltweit älteste Satiremagazin startet neu
Über dem «Nebelspalter» geht ein Sünneli auf!

Er war die satirische Speerspitze der Schweiz im Kampf gegen die Nazis: Der «Nebelspalter». Nun richten die neuen rechtsbürgerlichen Besitzer unter der Führung des Schweizer Journalisten und Historikers Markus Somm das Visier nach links. Wird das lustig?
Publiziert: 16.01.2021 um 16:43 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2021 um 17:55 Uhr
Der erste «Nebelspalter» von 1875: Die Schweizer Zeitschrift ist heute das älteste, immer noch erscheinende Satiremagazin der Welt.
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Daniel Arnet

Der Nebel ist gespalten, von nun an herrscht Klarsicht. Was wie eine Wetterprognose hinsichtlich heiterer Tage klingt, ist die Zukunftsperspektive des satirischen Monatsmagazins aus der Schweiz, der ältesten humoristischen Zeitschrift der Welt.

«Die Klarsicht AG, Winterthur, übernimmt den Nebelspalter.» Mit diesen spröden Worten beginnt die Medienmitteilung vom 3. Dezember 2020. Hinter der Aktiengesellschaft steht Markus Somm (55), ehemaliger Chefredaktor der «Basler Zeitung». Über 60 Investoren hat er mit ins Boot geholt, darunter Ex-Bankier Konrad Hummler (67), der als Verwaltungsratspräsident amtet, und Autoimporteur Walter Frey (77) – das SVP-Sünneli blinzelt durch den Nebel.

Es scheint, als erlaube sich der zukünftige «Nebelspalter»-Chefredaktor Somm mit dem Firmennamen einen kleinen Scherz. Doch der Name ist Programm: Seinen ungetrübten, scharfen Blick will der Rechtsfreisinnige nach links richten und dem politischen Gegner auf die Finger schauen und hauen. «Die Linken sind heute in fast allen gesellschaftlichen Bereichen an der Macht: Kultur, Medien, Unis, Schule, Kirchen und Verwaltung: Das macht lasch und matt», sagt Somm gegenüber dem SonntagsBlick Magazin. «Die Linken sind am Verbünzeln, sie hocken im geistigen Schrebergarten – das ist eine gute Zeit für uns.»

Franz Hohler schrieb und Nico zeichnete für den «Nebelspalter»

Als Kampfinstrument kommt ihm das altehrwürdige Satireblatt wie gelegen. Mit seiner bald 150-jährigen Geschichte hat der «Nebelspalter» schon an mancher Front gefochten und mit feiner Feder viele Schlachten geschlagen. Zu einer legendären nationalen Institution machte ihn der Kampf gegen den Faschismus: Mit den Karikaturen von Carl «Bö» Böckli (1889–1970) gegen die Nazis mauserte sich das Blatt während des Zweiten Weltkriegs zu einer Speerspitze der geistigen Landesverteidigung. Stolz titelte man am 8. September 1933: «In Deutschland verboten!»

Historiker Somm, der seine Lizentiatsarbeit über das «Schweizer Bürgertum an der Macht 1930 bis 1940» schrieb und später Bücher über die Schlacht von Marignano (1515), General Guisan (1874–1960) und Christoph Blocher (80) folgen liess, ist begeistert. «Es gibt fast kein historisches Ereignis der Eidgenossenschaft, wovon es keine Karikatur im ‹Nebelspalter› gibt», sagt er. «Der ‹Nebelspalter› ist wie das schlechte Gewissen der modernen Schweiz – man bringt ihn nie zum Schweigen, man bringt ihn nie los.» Auch wenn Somm zugibt, bisher kein «Nebelspalter»-Leser gewesen zu sein, war ihm die Zeitschrift doch stets eine historische Quelle, aus der er schöpfte.

Aus der Vergangenheit in die Zukunft führen will Somm das in die Jahre gekommene Witzblatt, für das schon gestandene Grössen wie César Keiser (1925–2007), Franz Hohler (77) und Linard Bardill (64) schrieben oder Klaus Peter «Nico» Cadsky (1937–2011) und Horst Haitzinger (81) zeichneten. Doch die ruhmreichen Tage sind vorbei: Das 1875 von Jean Nötzli (1844–1900) in Zürich gegründete «Illustrierte humoristisch-politische Wochenblatt» erlebt bis heute eine veritable Berg-und-Tal-Fahrt.

1922 beträgt die Auflage bloss 364 Exemplare und schnellt 1945 durch die mutige Berichterstattung während des Zweiten Weltkriegs auf 30’000 hoch. Den Zenit erreicht der «Nebelspalter» 1977 mit 64’000 gedruckten Heften – praktisch keine Arztpraxis, in deren Wartezimmer nicht ein «Nebi» liegt. Doch neben der postmodernen Beliebigkeit der 1980er-Jahre und der zynischen Spassgesellschaft der 1990er-Jahre hat der «Nebelspalter» mit seinem biederen «Herr Schüüch»-Image einen schweren Stand – die Auflage sinkt auf 34’000.

Schiffbruch mit der Anlehnung an die deutsche «Titanic»

1993 versucht Iwan Raschle (heute 53) als Chefredaktor einen Neustart des «Nebelspalters» und orientiert sich am deutschen Satiremagazin «Titanic». «Die ersten Jahre waren toll», erinnert sich Schriftsteller Peter Stamm (57), der damals Artikel verfasste. «Raschle hatte sich für einen neuen, politischeren Kurs entschieden, und wir waren ein spannendes Team von Leuten, eine verschworene Gesellschaft.» Peter Gut (61) und Felix Schaad (59) sind Zeichner von damals, Constantin Seibt (54) Texter.

Der Versuch scheitert, verschreckt die Leserschaft – nach der Ära Raschle kommen 1996 bloss noch 16’000 Exemplare in Druck, und nur noch im Monats-Rhythmus. Der «Nebelspalter» ist am Boden, totgesagt. Der evangelische Basler Reinhardt-Verlag gibt dem Blatt als neuer Besitzer den letzten Segen und will es 1998 mit abermals halbierter Auflage beerdigen. Nur noch höhere Macht kann den «Nebelspalter» retten – da tritt Thomas Engeli (heute 61) auf den Plan, kauft die serbelnde Zeitschrift und päppelt sie auf – seit 2005 mit der geschickten Hand von Chefredaktor Marco Ratschiller (46). Heute kommt der «Nebi» wieder auf eine Auflage von 21’000.

«Der Kauf des ‹Nebelspalters› war eine Idee von Rolf Bollmann», sagt Markus Somm. Bollmann (72) ist Gründer der Pendlerzeitung «20 Minuten» und später Mitinhaber der «Basler Zeitung». «Wir waren immer auf der Suche nach einem Produkt, das wir printmässig modernisieren können», so Somm, «Da war der ‹Nebelspalter› eine Idee.» Nach gut einjährigen Verhandlungen mit Thomas Engeli sind sich die beiden Seiten seit Anfang Dezember handelseinig – über den Verkaufspreis herrscht Stillschweigen.

«Ich wunderte mich», sagt Peter Stamm, nachdem er vom Deal hörte. «Eine Satirezeitschrift herauszugeben, braucht ziemlich viel Mut, eine mit rechter Satire dürfte noch schwerer zu verkaufen sein.» Und er gibt zu bedenken, dass sie sich auch in der Ära Raschle über Linke und Grüne lustig machten, «wir waren überhaupt nicht blind auf diesem Auge». «Was darf die Satire?», fragte der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) bereits 1919, und gab gleich die Antwort: «Alles.»

Dennoch richtet sich Satire meist gegen rechts – weshalb eigentlich? «Vermutlich sind Satiriker immer auch Moralisten», sagt Stamm, «und die linken Anliegen sind nun einmal moralischer. Da geht es um Gerechtigkeit, um Solidarität, um Hilfe für Benachteiligte, um Antirassismus und Feminismus.» In der Praxis laufe natürlich auch bei den Linken vieles schief – ein Fundus für viele Lacher. Dementsprechend sagt Kabarettist Viktor Giacobbo (68): «Somm soll die ultimative libertäre Satire machen, bei der der Markt die Pointe bestimmt – da bin ich gespannt.»

Nebelspalter.ch startet im März neu

Kolumnistin Lisa Catena (42), die aktuell zu den ständigen Mitarbeiterinnen unter Marco Ratschiller gehört, sagt: «Ich erwarte von Somm, dass er das Magazin online profitabel macht und es schafft, dass der ‹Nebi› nicht nur in Arztpraxen anzutreffen ist.» Ohne rentable digitale Strategie habe der Titel keine langfristige Zukunft, weil seine Abonnenten schlicht wegsterben. «Ich bin gespannt und hoffe, dass die Modernisierung der Zeitschrift gelingt», so Catena.

Nebelspalter.ch – damit will Somm bereits im März 2021 neu auftrumpfen: «Digital gibt es eine völlig neue Plattform, wo die DNA des ‹Nebelspalters› zwar noch drin ist, aber es kommt viel Neues dazu.» Zur DNA gehört für ihn die bürgerlich-liberale Ausrichtung – «immer hart gegen links und hart gegen rechts, immer schweizerisch» – und der Kampf gegen Behördenwahnsinn. Das Neue, mit dem er diese Ziele verfolgen will, sind – neben Text und Bild – Videos und Audiobeiträge.

Während fürs gedruckte Heft mit der Redaktion in Horn TG unter Ratschiller vorläufig alles seinen gewohnten Lauf nimmt, will Somm mit einer eigenen zehnköpfigen Onlineredaktion in Zürich Anlauf nehmen und ein neues Publikum anpeilen, das mehr news- und rechercheorientiert sei. Die Satire spiele online nicht mehr die Hauptrolle. Somm schwebt eine Fifty-Fifty-Lösung à la «Canard Enchaîné» in Frankreich oder «Private Eye» in Grossbritannien vor.

In der Branchenzeitung «Schweizer Journalist» heisst Satirikerin Patti Basler (44) Markus Somm schon einmal mit einem Augenzwinkern willkommen: «Endlich ein Bruder im Geiste! Wir sind beide aus dem nebelverhangenen Aargau. Uns bleibt gar nichts anderes als Galgenhumor.» Mit dem neuen «Nebelspalter»-Besitzer härter ins Gericht geht Karikaturist Ruedi Widmer (48) in der «Wochenzeitung»: «Wie SVP, ‹Weltwoche›, ‹Basler Zeitung›, Basler Läckerli, NZZ, Ems-Chemie ist auch der ‹Nebelspalter› ein gemachtes Nest, in das sich die ewig gleichen Leute hineinsetzen.»

Widmer ist nicht irgendeine der zahllosen Stimmen, die sich nach der Übernahme des «Nebelspalters» durch die Klarsicht AG zu Wort meldete – Widmers Stiefurgrossvater ist der legendäre Carl «Bö» Böckli.

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