Ringier-Publizist Frank A. Meyer stellt sich die Frage
Hatte der BLICK je Macht?

Diese Frage stellt Frank A. Meyer. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort: BLICK ist zwar mächtig – und besitzt doch so wenig Macht wie alle anderen Medien.
Publiziert: 11.10.2019 um 15:28 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2019 um 15:34 Uhr
Frank A. Meyer (75) ist publizistischer Berater von Ringier.
Foto: BLICK
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Frank A. Meyer

Hatte der BLICK jemals Macht? Wenn überhaupt, dann vor sechzig Jahren, ganz am Anfang. Der Bundesrat, die höchste Konzentration politischer Macht im Staat, äusserte sich zur neuen, ersten Boulevard-Zeitung der Schweiz, kaum war sie am Kiosk: Der BLICK bringe «eine für unser Land völlig fremde Art der Beeinflussung des Lesers, das auf Kosten sachlicher Informationen», was wiederum «auf die Weckung und Befriedigung  des Sensationsbedürfnisses ausgeht», weshalb dieses böse Blatt «hergebrachter, gesunder schweizerischer Pressetradition widerspricht».

Das Satzungetüm, mit dem die Landesregierung argumentierte, ist ein Beleg dafür, dass der BLICK dringend nötig war: unter anderem, um vorzumachen, wie klares, dem Bürger verständliches Deutsch geschrieben wird.

Und: Es bedeutete durchaus Macht, von der Regierung als irritierende Gegenmacht geschmäht zu werden. Zwei Jahre später verhängte der Bundesrat gegen BLICK-Mitarbeiter eine Informationssperre. Ausserhalb des Bundeshauses war die neue Tageszeitung nicht zu verhindern, also sollte sie wenigstens hinter den Mauern von Parlament und Gouvernement nichts zu suchen haben. Ihre Journalisten hätten ja etwas finden können!

Die Modernisierung des Journalismus

So war es denn auch in der ganzen turbulenten BLICK-Geschichte: Die Journalisten mussten etwas finden, denn das war ihr Auftrag. Also gingen sie raus, zu den Menschen, also telefonierten sie mit den Mandats- und Amtsträgern. Das war in jener Zeit noch höchst ungewöhnlich.

Als Beispiel sei ein abendliches Telefongespräch mit dem damaligen Generalstabschef Paul Gygli zitiert: «Was, Sie sind Journalist? Was erlauben Sie sich, mich um acht Uhr abends zu Hause anzurufen? Unverschämt, so etwas! Informationen möchten Sie? Das auch noch. Dann stellen Sie mal eine konkrete Frage.»

Der Generalstabschef gab Auskunft. Und gewöhnte sich an solchen Journalismus. So ging es vielen, und so geschah es reihum in Bern und anderswo. Denn das war die Macht des BLICK: die Modernisierung des Schweizer Journalismus.

Recherchieren statt Rechthaben

Bis dahin gab sich die Presse noch folgsam parteilichen Verlautbarungen hin. Die Journalisten waren «eingebettet»: in die SPS, die FDP, die BGB, die CVP. Hoch über allem thronte die «Neue Zürcher Zeitung», das Blatt der eingebildeten Gebildeten, ideologisch konsequent durchkomponiert, und zwar bis ins Detail: Den Namen des jungen und kritischen und kühnen und erst noch sozialdemokratischen Nationalrates Helmut Hubacher konnten – durften? – die «NZZ»-Schreiber nicht schreiben, ohne davor oder dahinter eine herabsetzende Wendung anzubringen – «der sattsam bekannte Hubacher» zum Beispiel.

Der BLICK ersetzte das Rechthaben durch das Recherchieren und nannte ideologisch unbefangen Ross und Reiter. Wer des Öftern über die BLICK-Titelseite ritt, der war plötzlich prominent – in der pointierten Sprache der Boulevard-Texter ein «Promi».

Vielleicht darf auch dies als Macht des BLICK bezeichnet werden: Protagonisten des gesellschaftlichen Alltags zu Promis zu machen, die wiederum der Zeitung als Attraktion dienen – und die dann vielleicht sogar Freude haben am Umgang mit den frechen neuen Journalisten vom frechen neuen Blatt.

«Boulevard» noch immer ein Schimpfwort

Der BLICK eroberte nicht nur eine eigene Leserschaft. Er eroberte auch, ohne es je zu wollen, die konventionell abgefüllten Spalten der Traditions-Presse. Der BLICK bedeutete das Ende der parteilich bestimmten und gestimmten Zeitungen. Er vollzog eine Befreiung, allerdings nicht unter dem Applaus der Kollegen, vielmehr unter deren Gezeter. Das gilt bis heute: Der Begriff «Boulevard» ist noch immer ein Schimpfwort für Menschennähe im Journalismus.

Doch was bedeutet Boulevard in Wirklichkeit? Sechzig oder dreissig Zeilen zum aktuellen Thema – statt hundert oder zweihundert. Das Wesentliche in Kürze, deshalb glasklar – das muss einer erst mal können. Journalisten lernen seit Jahrzehnten beim BLICK oder vom BLICK. Sie lernen ein Handwerk; wenn sie es perfekt beherrschen, ist es ein Kunsthandwerk.

So schreiben, dass der Leser am Lesen Freude hat, dass er versteht, dass er begreift: begreift, das Thema also greifen kann. Das ist die Macht des BLICK: eine demokratische Macht, da sie den Leser in die Lage versetzt, sein eigenes Urteil zu fällen. Und das meistens auch noch ohne ideologische Lehrmeisterei.

Der Demokratie verpflichtet

Wie gern hätten die Schweizer Rechtspopulisten den BLICK politisch eingemeindet, ihn gar durch ihren Oligarchen kaufen lassen! Wie wurde da immer wieder gewarnt und gelockt: Eine Boulevardzeitung müsse schon aus kommerziellen Gründen rechtspopulistisch sein!

Doch der BLICK blieb der BLICK – unberechenbar wie die Wirklichkeit, der sozialen Vernunft zugetan, seiner antitotalitären Überzeugung treu, nicht zuletzt auch unverbrüchlich loyal den Institutionen von Rechtsstaat und Demokratie verpflichtet.

Darum fand im BLICK stets alles Platz, was den demokratischen Streit unter Gegnern – nicht unter Feinden – beschrieb und einzuordnen half. Sogar die Welt wird glasklar abgehandelt. Sie ist das grosse Thema dieser Zeit. Seldwyla muss des Öftern zurückstehen.

Dem BLICK war nie etwas fremd, was das Interesse der Menschen wecken konnte, oder was die Interessen der Menschen betrifft, durchaus auch das Interesse von Minderheiten. So druckte BLICK 14 Jahre lang täglich ein ganzseitiges Feuilleton, das die Hochkultur in Alltagskultur verwandelte.

Im Dienste der Bürger

Und alle machten mit: vom Literaturpapst Peter von Matt über den Philosophen Georg Kohler und den Literaten Hugo Loetscher bis zum Architekten, Designer und Bildhauer Max Bill. Die intellektuelle Elite entdeckte den Reiz des Boulevards.

Der grosse deutsche Publizist und politische Denker Peter Glotz, Autor zahlreicher Bücher und Professor an der Universität St. Gallen, urteilte über diese Aussenseiter-Seiten des BLICK: «Es gibt für mich zwei Feuilletons, die ich ernst nehme: das der ‹NZZ› und das des BLICK.»

Dennoch besitzt der BLICK selbst so wenig Macht wie alle andern Medien, ist doch die Vorstellung von einer publizistischen Vierten Macht im Staat eine Schimäre. Journalisten sind nie Staatsmacht, jedenfalls nicht in der Demokratie. Sie dienen der Macht: den Bürgerinnen und Bürgern.

Für die ist BLICK da. Und klärt. Und spitzt zu. Und übertreibt. Und korrigiert sich. Und macht Freude. Und ärgert. Der BLICK tut, was er kann. Er kann sehr viel. Was der BLICK kann, das soll ihm erst mal jemand nachmachen! 

Publizist und Journalist Frank A. Meyer

Frank A. Meyer (75) ist publizistischer Berater von Ringier. Seit 1972 arbeitete er für den Verlag, zunächst als Bundeshauskorrespondent der «Schweizer Illustrierten». Bald galt er als bekanntester Ringier-Journalist und als Intimus zahlreicher Bundesräte. Von 1980 bis 2016 präsentierte er auf dem TV-Sender 3sat die Sendung Vis-à-vis. 1985 wird er Mitglied der Ringier-Konzernleitung. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne im SonntagsBlick. Meyer lebt in Berlin.

Frank A. Meyer
Antje Berghäuser

Frank A. Meyer (75) ist publizistischer Berater von Ringier. Seit 1972 arbeitete er für den Verlag, zunächst als Bundeshauskorrespondent der «Schweizer Illustrierten». Bald galt er als bekanntester Ringier-Journalist und als Intimus zahlreicher Bundesräte. Von 1980 bis 2016 präsentierte er auf dem TV-Sender 3sat die Sendung Vis-à-vis. 1985 wird er Mitglied der Ringier-Konzernleitung. Er schreibt eine wöchentliche Kolumne im SonntagsBlick. Meyer lebt in Berlin.

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