Von einer Neurologin erklärt
Gopferdammi Siech! 5 Gründe, warum wir mehr fluchen sollten

Die britische Neurologin Emma Byrne (48) plädiert zu mehr Gelassenheit im Umgang mit Fluchen. In einem Sachbuch schreibt sie über die positiven Effekte, die Schimpfwörter haben können.
Publiziert: 15.04.2023 um 13:29 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2023 um 15:26 Uhr
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Valentin RubinRedaktor Service
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Fluchen wirkt befreiend

«Scheisse, das Tram verpasst, obwohl mich der Chauffeur noch gesehen hat. Dieser verdammte Idiot!» Du hast noch nie so etwas gesagt oder zumindest gedacht? Dann gehörst du zu einer Minderheit. Studien aus den USA, Deutschland, England und Frankreich kommen zum Schluss, dass wir zwischen 20 und 80 Mal pro Tag fluchen – teils still, teils laut. Fluchen habe eine wichtige Funktion, sagt Emma Byrne (48), Neurologin und Intelligenz-Forscherin aus England. «Es wirkt befreiend und erlaubt uns, Emotionen herauszulassen, ohne tätlich zu werden.» Im Alltag sind wir ständig auf Kooperation angewiesen – auch mit Menschen, die uns auf die Nerven gehen. Im Streitfall ist es nicht ratsam, sie körperlich anzugreifen. Um unseren Frust dennoch loszuwerden, bleibe oft nur Fluchen übrig, sagt Byrne. «Es ist der ideale Kompromiss zwischen Nichtstun und Eskalation.»

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Fluchen lindert Schmerzen

Wir fluchen instinktiv, wenn wir uns den Zeh am Stuhlbein anhauen. Denn: Fluchen lindert Schmerzen. In einer 2009 durchgeführten Studie an der Keele Universität (GB) mussten Studienteilnehmende ihre Hände möglichst lange in Eiswasser tauchen. Wer dabei konstant fluchte, hielt die Kälte und die Schmerzen im Schnitt fast 50 Prozent länger aus. «Beim Fluchen steigt unser Puls, und unsere Schmerzempfindung nimmt ab», sagt Byrne. Zudem schüttet unser Hirn mehr Adrenalin aus. Das setzt Energiereserven im Körper frei und macht uns leistungsstärker. Der Grund dafür liegt in der Evolution. Im Fall einer Bedrohung oder Verletzung mussten sich Menschen stets schnell in Sicherheit bringen. Byrne: «Lähmende Schmerzen wären da hinderlich.»

Frau für grobe Sprache

Als Emma Byrne (48) im Alter von neun Jahren geohrfeigt wurde, weil sie ihren Bruder unbedarft «twat» – so viel wie Trottel – nannte, begann sie sich für die Wirkung des Fluchens zu interessieren. Die britische Neurologin und Computerwissenschaftlerin forscht heute zu menschlicher und künstlicher Intelligenz und ist Autorin des Buchs «Swearing Is Good For You: The Amazing Science of Bad Language» (Fluchen ist gut für dich: Die verblüffende Wissenschaft von Schimpfwörtern).

Als Emma Byrne (48) im Alter von neun Jahren geohrfeigt wurde, weil sie ihren Bruder unbedarft «twat» – so viel wie Trottel – nannte, begann sie sich für die Wirkung des Fluchens zu interessieren. Die britische Neurologin und Computerwissenschaftlerin forscht heute zu menschlicher und künstlicher Intelligenz und ist Autorin des Buchs «Swearing Is Good For You: The Amazing Science of Bad Language» (Fluchen ist gut für dich: Die verblüffende Wissenschaft von Schimpfwörtern).

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Fluchen fördert Teamwork

Fluchen im Arbeitsumfeld kann wertvoll sein – auch wenn es in den meisten Fällen als unprofessionell gilt. Forscher der Universität Southampton haben 2017 herausgefunden, dass Fluchen die Produktivität und die Motivation innerhalb eines Teams erhöht, egal, ob es im Medizinbereich, in einer Anwaltskanzlei oder in einer Seifenfabrik arbeitet. Wenn ich fluche, nehme ich gemäss Byrne zwar ein soziales Risiko auf mich – schliesslich können Fluchwörter andere irritieren. Doch lautes Fluchen – etwa über den verdammten Drucker, der nicht funktioniert – signalisiert: Es läuft nicht alles nach Plan, ich brauche Hilfe. Je direkter wir Frust über die eigene Situation äusserten, desto eher seien andere bereit, uns zu helfen und Lösungen zu finden, sagt Byrne. Das soziale Risiko zahle sich aus. «Solange man sich nicht gegenseitig beleidigt, fördert Fluchen Vertrauen im Team.»

Wir fluchen täglich unzählige Male – nicht nur im Strassenverkehr.
Foto: Getty Images
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Fluchen ist ehrlich

Forscher der Universitäten Cambridge, Maastricht und Hongkong fanden 2017 in diversen Studien heraus, dass Personen, die häufig fluchen, tendenziell ehrlicher sind. Das heisst auch: Wer nie flucht, lügt seine Mitmenschen eher an. Jemand, der selbst bei Problemen so tue, als sei alles in Ordnung, wirke auf Mitmenschen schnell gekünstelt und unehrlich, sagt Emma Byrne. «Wenn wir fluchen, äussern wir unsere Gefühle ungefiltert und authentisch.»

Wer häufiger flucht, wirkt auf seine Mitmenschen authentisch und ehrlich.
Foto: Getty Images
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Fluchen zeugt von Intelligenz

«In manchen Momenten beschreibt nur ein Fluchwort die Situation passend», sagt Byrne. Richtig zu fluchen, zeuge von Sprachkenntnis. «Menschen mit breitem Wortschatz fluchen vielfältiger.» Wer zusätzlich über hohe emotionale Intelligenz verfügt, könne die Wirkung von Fluchwörtern gut einschätzen und sie deshalb gezielt einsetzen. Ein Bewusstsein fürs Fluchen könne man bereits bei Kindern schärfen, sagt Byrne. «Je früher sie lernen, ihre Emotionen passend auszudrücken, desto besser werden sie im Umgang mit ihren Mitmenschen.»

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