«Ich glaube nicht, dass sich fundamental etwas ändert»
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Theologin Monika Schmid:«Ich glaube nicht, dass sich fundamental etwas ändert»

Theologin Monika Schmid sagt, was nach dem Missbrauchs-Skandal zu tun ist
«Frauen weihen und Zölibat abschaffen!»

Monika Schmid (66) ist in der katholischen Kirche eine gefürchtete Kritikerin. Sie hat selbst lange als Seelsorgerin gearbeitet. Was sagt sie zur neuen Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche?
Publiziert: 15.09.2023 um 20:54 Uhr
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Aleksandra HiltmannRedaktorin Gesellschaft

Sie haben fast 40 Jahre für die katholische Kirche gearbeitet. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie den Bericht lasen?
Das Ausmass hat mich schockiert. Aber erstaunt hat mich gar nichts. Ich habe genau diese Missstände bereits 2008 in meinem «Wort zum Sonntag» angesprochen, viele Übergriffe waren seit Jahren publik.

Was hat Sie am meisten getroffen?
Dass selbst Säuglinge missbraucht wurden. Das hat mich im Innersten erschüttert. Das konnte ich mir nicht vorstellen – oder wollte es vielleicht auch nicht.

Monika Schmid, die Kirchen-Kritikerin

Monika Schmid (66) hat 38 Jahre für die katholische Kirche gearbeitet. Sie ist Theologin und war Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Martin in Illnau-Effretikon (ZH). 2008 kritisierte sie in der SRF-Sendung «Wort zum Sonntag» die Haltung der Kirche gegenüber sexuellem Missbrauch. Priester, die sich verlieben und heiraten würden, entlasse man. Priester, die sich an Kindern und Schuztbefohlenen vergehen, versetze man. Der damalige Bischof Vitus Huonder entzog ihr darauf ihre Mission. Sie wehrte sich erfolgreich dagegen und wurde 2008 beim Prix Courage des Magazins «Beobachter» mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

Monika Schmid (66) hat 38 Jahre für die katholische Kirche gearbeitet. Sie ist Theologin und war Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Martin in Illnau-Effretikon (ZH). 2008 kritisierte sie in der SRF-Sendung «Wort zum Sonntag» die Haltung der Kirche gegenüber sexuellem Missbrauch. Priester, die sich verlieben und heiraten würden, entlasse man. Priester, die sich an Kindern und Schuztbefohlenen vergehen, versetze man. Der damalige Bischof Vitus Huonder entzog ihr darauf ihre Mission. Sie wehrte sich erfolgreich dagegen und wurde 2008 beim Prix Courage des Magazins «Beobachter» mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

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Wie konnte es so weit kommen, dass über Jahrzehnte hinweg Kinder, Jugendliche, Erwachsene systematisch missbraucht wurden?
Pfarrer und auch gewisse Priester sehen sich teils bis heute als etwas Spezielles. Nicht einfach als Mensch oder Mann, sondern als Mensch mit einer Aura von Heiligkeit. Wenn so ein Priester einem Kind sagt: «Der liebe Gott ist mit uns. Wenn du jemandem davon erzählst, wäre der liebe Gott sehr traurig.» Da kumuliert sich Machtmissbrauch, spiritueller und sexueller Missbrauch. Und das in einem geschlossenen Männersystem, in das kaum jemand von aussen korrigierend eingreifen kann.

Seelsorgerin Monika Schmid übte seit Jahren Kritik aus dem Inneren der Kirche. Heute ist sie pensioniert.
Foto: Linda Käsbohrer
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Aber wo ist denn der Rechtsstaat?
Wenn sich niemand traut, über Übergriffe zu sprechen, werden sie nicht öffentlich. Und wenn doch, wird es von der Kirche vertuscht und man wird zum Schweigen gebracht. Es ist sehr schwierig, sich zu wehren. Die Kirche setzt alles daran, ihre Fassade zu schützen. Die Kirche an sich ist wichtiger als der einzelne Mensch.

Die Studienautorinnen kritisieren, dass Täter geschützt wurden und werden.
Genau, alles andere hätte an der «Unfehlbarkeit» der Kirche gekratzt. Die Kirche hat keine Fehlerkultur. Die Kirche, das ist die reine Braut Christi. Die Menschen werden mit überhöhten Moralvorstellungen klein gehalten. Dass das ganze System so verlogen und marode ist, durfte nicht nach aussen dringen. Und das Verrückte ist: Unsere Kirchenmänner haben nichts von sich aus gegen die Missstände gemacht. Erst mit dem Druck von aussen passiert nun etwas.

Hilfe für Betroffene von sexuellem Missbrauch

Kirchliche und unabhängige Anlaufstellen: Die Geschäftsstelle des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz stellt auf seiner Homepage eine Liste mit Anlaufstellen zusammen, die den jeweiligen Bistümern angegliedert sind. Sie stellt zudem Adressen unabhängiger Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene zur Verfügung, ebenso wie für Personen mit pädophilen Neigungen.

Fälle melden beim Forschungsteam: Unter der Mailadresse forschung-missbrauch@hist.uzh.ch kann man sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche melden. Diese Meldeadresse ist Teil des Forschungsprojektes der Universität Zürich, welches soeben die Ergebnisse seiner Pilotstudie präsentiert hat. Das Projekt läuft weiter und sammelt weitere Fälle. Unter dieser Adresse werden keine psychologische Betreuung und rechtliche Beratung geboten.

Opferhilfe Schweiz: Die Opferhilfe Schweiz kümmert sich um Menschen, die von Gewalt betroffen sind, auch sexuellem Missbrauch. Sie berät, informiert über Rechte und vermittelt weitere Unterstützungsangebote. Unter diesem Link findest du die Kontakte zu den jeweiligen kantonalen Stellen.

Kirchliche und unabhängige Anlaufstellen: Die Geschäftsstelle des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Schweizer Bischofskonferenz stellt auf seiner Homepage eine Liste mit Anlaufstellen zusammen, die den jeweiligen Bistümern angegliedert sind. Sie stellt zudem Adressen unabhängiger Anlaufstellen für Missbrauchsbetroffene zur Verfügung, ebenso wie für Personen mit pädophilen Neigungen.

Fälle melden beim Forschungsteam: Unter der Mailadresse forschung-missbrauch@hist.uzh.ch kann man sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche melden. Diese Meldeadresse ist Teil des Forschungsprojektes der Universität Zürich, welches soeben die Ergebnisse seiner Pilotstudie präsentiert hat. Das Projekt läuft weiter und sammelt weitere Fälle. Unter dieser Adresse werden keine psychologische Betreuung und rechtliche Beratung geboten.

Opferhilfe Schweiz: Die Opferhilfe Schweiz kümmert sich um Menschen, die von Gewalt betroffen sind, auch sexuellem Missbrauch. Sie berät, informiert über Rechte und vermittelt weitere Unterstützungsangebote. Unter diesem Link findest du die Kontakte zu den jeweiligen kantonalen Stellen.

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Bischof Bonnemain spricht nun von einem dringend nötigen Kulturwandel. Wie sieht der aus?
Das würde ich ihn auch gerne fragen. Wahrscheinlich stellt er sich darunter etwas völlig anderes vor als ich. Ich frage mich auch: Wie soll er geschehen und vor allem wann? Wir können nicht zehn Jahre warten. Es braucht den Kulturwandel jetzt.

Wie glaubwürdig wirkt für Sie diese Ankündigung?
Für mich sind das nur Worte.

Auch wenn konkrete Massnahmen angekündigt werden – etwa, dass Akten nicht mehr vernichtet werden dürfen, eine nationale Meldestelle für Opfer eingerichtet wird und künftige Angestellte psychologisch geprüft werden?
Als ich von diesen Massnahmen hörte, dachte ich: Hä? Ist das alles? In meinen Augen hätte das schon längst passieren müssen. Und nun wird es als bahnbrechend verkauft. Das ist das, was ich vorhin gemeint habe: Der Kulturwandel, den ich für nötig erachte und jener, der dem Bischof vorschwebt – dazwischen liegen Welten.

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Wie reagiert man denn jetzt als gläubige Person in der katholischen Kirche?
Die einen werden wohl aus der Kirche austreten. Andere werden die Faust im Sack machen, aber nichts unternehmen. An wieder anderen wird das wohl eher spurlos vorbeigehen. Viele denken: In meiner Pfarrei läuft es gut, wir haben ja nichts Böses gemacht. Das ist ein sehr kleines und auch egoistisches Denken. Man darf sich auch als Einzelperson nicht vom System abkoppeln. Als Katholikin oder Katholik trage ich Verantwortung mit. Jetzt ist auch die Basis gefragt.

Erwarten Sie nun Demonstrationen mit Tausenden Katholikinnen und Katholiken?
Nein. Es passiert wohl nichts.

Warum nicht?
Vielleicht aus Bequemlichkeit. Und auch aus mangelnder Solidarität. Bei meiner Arbeit in der Seelsorge habe ich wenig Unterstützung gespürt für Leute, die sich getraut haben, etwas zu sagen. Menschen, die sich trauen, Unrecht anzusprechen, stehen meist allein.

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Mit diesem «Wort zum Sonntag» auf SRF löste Monika Schmid eine landesweite Diskussion aus. Quelle: Katholisches Medienzentrum/ SRF.

Sie haben oft etwas gesagt, wussten von Missständen, sind aber trotzdem in der Kirche geblieben. Warum?
Weil ich das Gefühl hatte, nur so eine gewichtige Stimme zu haben und Kritik aus dem Inneren üben zu können. Ich habe den Finger immer wieder draufgehalten, Probleme offen angesprochen – im Wissen, dass ich das System des Machtmissbrauchs auch gestützt habe. Dessen sind wir uns zu wenig bewusst, auch die Seelsorgenden, die wie ich liberal denken. Das ist schwer zu ertragen. Vielleicht kann ich auch erst jetzt, da ich pensioniert bin, noch offener sprechen.

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Was fordern Sie jetzt?
Dass die Schweizer Bischöfe zum Papst gehen und sagen: Wir werden Frauen zu Priesterinnen weihen und das Zölibat abschaffen. Und das ab sofort.

Warum genau das?
Eine Frau hat nur Entscheidungsmacht, wenn sie geweiht ist. So würde der Männerbund durchbrochen, wichtige Gremien wären durchmischter. Schafft man dazu noch das Zölibat ab, kann sich der Umgang von Frauen und Männern in der Kirche normalisieren und man würde gesündere Leute als Personal anziehen. Überhaupt bin ich dafür, die Weihe irgendwann ganz abzuschaffen und mit ihr auch diese Zweiklassengesellschaft. Durch die Taufe sind alle berufen, priesterlich zu wirken, alle haben die gleiche Würde. Die Macht sollte sich nicht beim Bischof konzentrieren, der gleichzeitig Exekutive, Legislative und Judikative ist. Die Macht muss ab sofort geteilt werden.

Die Historikerinnen hinter dem Bericht werden weiterforschen. Welche Ergebnisse erwarten Sie?
Wahrscheinlich kommt nochmals ein Hammer. Aber die Kirche kann sich nur verändern, wenn sie wirklich alles aufarbeitet.

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