Psychologin Ulrike Scheuermann über bröckelnde langjährige Beziehungen
Freundschaft retten oder beenden?

Nicht jede Freundschaft ist für die Ewigkeit gemacht. Die deutsche Psychologin Ulrike Scheuermann (55) weiss, wie man eine schwierige Freundschaft richtig beendet und wann es sich lohnt, um sie zu kämpfen.
Publiziert: 02.04.2023 um 13:29 Uhr
RMS_Portrait_AUTOR_445.JPG
Jana GigerRedaktorin Service

Blick: Frau Scheuermann, warum verändern sich Freundschaften?
Ulrike Scheuermann: Oft durchläuft man Phasen, in denen man unterschiedliche Prioritäten hat. Die eine Person möchte zum Beispiel viel erleben und ist dauernd unterwegs, während die andere Ruhe bevorzugt und sich gern zurückzieht. Das muss aber nicht das Ende einer Freundschaft bedeuten. Man kann sich wieder näherkommen, sobald sich die Präferenzen angleichen.

Was deutet darauf hin, dass man sich als Freunde voneinander entfernt?
Wenn eine Person wenig Initiative für gemeinsame Treffen ergreift, schwer erreichbar ist oder man bei Treffen nur noch über Belangloses redet. Freundschaften zeichnen sich dadurch aus, dass man aneinander Interesse hat. Sobald das nicht mehr der Fall ist, spürt man das.

Wie denn?
Zum Beispiel, indem man merkt, dass man eine Freundin oder einen Freund nicht vermisst, wenn man länger keinen Kontakt hat. Spätestens dann sollte man sich fragen, ob die Freundschaft einem überhaupt noch guttut. Fühlt man sich nach Treffen oder Gesprächen immer wieder bedrückt, aufgebracht oder ausgelaugt, ist das ein weiteres schlechtes Zeichen.

Differenzen müssen nicht das Ende einer Freundschaft bedeuten.
Foto: Getty Images
Reagiert eine Freundin oder ein Freund mehrere Male nicht auf Textnachrichten, ist das gemäss der Expertin ein klares Signal, dass die Freundschaft vorbei ist.
Foto: Getty Images

Wie überwinde ich die Scham, mich zu melden, wenn länger kein Kontakt stattgefunden hat?
Oft meldet man sich wegen dieses schlechten Gewissens weiterhin nicht. Es hilft, sich vor Augen zu führen, dass sich die andere Person wahrscheinlich viel mehr über eine Nachricht freut, als man glaubt. Ehrlichkeit und eine kurze Entschuldigung mit der Begründung, warum man sich nicht gemeldet hat, können Klarheit schaffen.

Woran erkenne ich, dass eine Freundschaft vorbei ist?
Daran, dass dauerhaft nichts mehr von der anderen Person kommt. Ich würde es nach zwei unbeantworteten Nachrichten noch einmal mit einer Kontaktaufnahme versuchen. Reagiert die Freundin oder der Freund selbst beim dritten Mal nicht, ist das ein klares Signal.

Ein Abschiedsbrief hilft, den Verlust eines guten Freundes zu verarbeiten.
Foto: shutterstock

Wie gehe ich mit einem wortlosen Kontaktabbruch um?
Sogenanntes Ghosting kann sehr erschütternd sein. Eine Möglichkeit ist, das Ende der Freundschaft mit einem Ritual für sich selbst zu gestalten. Dazu legt man Fotos und weitere Erinnerungen an die Person in eine Kiste, um mit diesem Kapitel abzuschliessen. Ratsam ist auch ein Abschiedsbrief. Man muss ihn nicht zwingend abschicken, das Schreiben hilft bereits, den Verlust zu verarbeiten.

Was wäre der angemessene Weg, um eine Freundschaft zu beenden?
Am besten ist ein persönliches Treffen, bei dem man sich in Ruhe aussprechen kann. Ich empfehle einen Spaziergang. Dabei ist man in Bewegung, und Gesprächspausen sind weniger unangenehm, als wenn man sich zum Beispiel in einem Café gegenüber sitzt und dauernd in die Augen schauen muss. Es ist hilfreich, sich nicht gegenseitig Vorwürfe zu machen, sondern von den eigenen Gefühlen zu erzählen. Neben den negativen Erfahrungen sollte man auch jene Erlebnisse ansprechen, für die man dankbar ist. Das ist eine faire und wertschätzende Art, eine Freundschaft zu beenden.

Eine enge Freundschaft muss man pflegen, aber sie gibt einem auch viel zurück.
Foto: Getty Images

Wann macht es Sinn, eine Freundschaft zu retten?
Sofern die Person einem guttut, beide bereit sind, mehr Zeit in die Freundschaft zu investieren und mehr emotionale Nähe zuzulassen. Grundsätzlich sollte man eine Freundschaft nie leichtsinnig gefährden. Denn jede soziale Beziehung ist kostbar und neben Sport und Ernährung ein wichtiger Faktor für ein langes, gesundes Leben.

Sie hilft bei Freundschaftsproblemen

Die deutsche Psychologin und Autorin Ulrike Scheuermann (55) widmet sich in ihren Sachbüchern, Vorträgen und Seminaren unter anderem dem Thema der persönlichen Entwicklung. In ihrem neuesten Buch «Freunde machen gesund» geht sie der Frage nach, wie stark zwischenmenschliche Beziehungen zu körperlichem und psychischem Wohlbefinden beitragen. Scheuermann lebt mit ihrer Familie in Berlin.

ZVG

Die deutsche Psychologin und Autorin Ulrike Scheuermann (55) widmet sich in ihren Sachbüchern, Vorträgen und Seminaren unter anderem dem Thema der persönlichen Entwicklung. In ihrem neuesten Buch «Freunde machen gesund» geht sie der Frage nach, wie stark zwischenmenschliche Beziehungen zu körperlichem und psychischem Wohlbefinden beitragen. Scheuermann lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?