Podcast deckt saudische Hetzkampagne auf
Die Troll-Armee gegen Amber Heard

Im Fall Amber Heard gegen Johnny Depp sollen gemäss einem Podcast die Hälfte aller Anti-Amber-Tweets orchestriert worden sein. Hat die organisierte Kampagne das Urteil beeinflusst?
Publiziert: 20.04.2024 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2024 um 14:52 Uhr

Eine Goldgräberin sei sie, eine Hure, eine manipulative Narzisstin, sie habe ein Gesicht, das man gerne schlagen würde. Das sind noch die harmloseren Kommentare: Die Schauspielerin Amber Heard (37) wurde im Frühjahr 2022 zur Zielscheibe einer beispiellosen Hetzjagd. Damals verfolgte die Welt den sechswöchigen Verleumdungsprozess zwischen Heard und ihrem Ex-Mann Johnny Depp (60), der sich zum grössten Medienspektakel seit dem Fall O. J. Simpson entwickelte.

Juristische Details spielten im US-Prozess nur eine untergeordnete Rolle

Heard hatte sich nach der Scheidung in der «Washington Post» zu häuslicher Gewalt geäussert. Depp reichte Klage ein. Die Jury glaubte am Ende Depp, stimmte ihm in allen Punkten zu. In Grossbritannien hatte ein Gericht nur kurz zuvor Heards Schilderungen häuslicher Gewalt als glaubwürdig erachtet und erlaubte es, Depp öffentlich als Frauenschläger zu bezeichnen.

Als Lügnerin und Hure beschimpft: Amber Heard im Verleumdungsprozess gegen Johnny Depp.
Foto: AP
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Juristische Details spielten im US-Prozess schon früh eine Nebenrolle – stattdessen tobte online ein Kampf um die Gunst der Öffentlichkeit. Auf Forderung von Depps Team wurde der Prozess live übertragen. Sechs Kameras leuchteten jedes Detail aus, Millionen von Menschen verfolgten das Spektakel.

Wurde das Urteil durch Depps Fans beeinflusst?

Depp galt schnell als der etwas verpeilte, aber liebenswürdige Held, Heard hingegen als geldgierige, aufmerksamkeitssüchtige Lügnerin. Frauenhasser fühlten sich bestätigt. Depps Fans campierten vor dem Gerichtssaal, jubelten ihm zu, Heard erhielt Morddrohungen.

Inwiefern beeinflusste diese Dynamik das Urteil? Dieser Frage geht ein neuer Podcast von Tortoise Media nach, einem britischen Rechercheportal. Journalist Alexi Mostrous findet darin mithilfe von Experten Tausende saudischer Twitter-Accounts, die Depp feiern und gegen Amber hetzen. So erschienen etwa 800'000 Tweets mit dem Hashtag «AmberIsAnAbuser», im selben Zeitraum aber nur 15'000 mit «JohnnyIsAnAbuser».

Wurde Heard Opfer einer gezielten Hetzkampagne?

Viele der Twitter-Accounts, fand Mostrous heraus, hatten wenige Jahre zuvor noch die Regierung von Saudi-Arabien gelobt. Interessant ist hier, dass Depp Beziehungen ins Königreich pflegt: Er ist mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman befreundet, seine Filme «Jeanne du Barry» und «Modi» wurden teils mit saudischen Geldern finanziert.

Der Experte schätzt, dass fast die Hälfte aller Tweets gegen Amber nicht «organic» ist, also nicht echt. Mostrous kommt zum Schluss, dass Heard Ziel einer orchestrierten Hetzkampagne wurde und stellt die Frage, inwiefern die Schauspielerin überhaupt einen fairen Prozess bekommen habe.

Bots und Troll-Fabriken versuchen westliche Demokratien zu destabilisieren

Doch es geht um mehr als bloss eine Hollywoodstory. Der Podcast weist auf ein grösseres Problem hin: Was, wenn dieselben Techniken wie bei der Hetzjagd auf Heard bei Wahlen oder Abstimmungen verwendet werden?

Bekannt ist, dass China und Russland seit längerem mit Bots und Troll-Fabriken versuchen, westliche Demokratien zu destabilisieren. So wurde in Paris vergangenen Herbst, wie Frankreichs Europaminister kürzlich bekannt gab, eine vermeintliche Bettwanzenplage von russischen Accounts in den sozialen Medien angeheizt. Dafür hätten die Urheber Presseartikel gefälscht und versucht, die Plage mit ukrainischen Flüchtlingen in Verbindung zu bringen.

Im US-Wahlkampf 2016 versuchte der Kreml, Weisse gegen Schwarze, Christen gegen Muslime, Linke gegen Rechte aufzuhetzen und der Kandidatin Hillary Clinton zu schaden. Auf Facebook und Twitter verbreiteten Zehntausende gefälschte Konten Lügen und Propaganda.

Auch Saudi-Arabien setzt seit langem Bots und Trolle im Internet ein, um Kritiker im In- und Ausland zum Schweigen zu bringen. 2018 wurde der Journalist der «Washington Post», Jamal Khashoggi, von saudischen Agenten ermordet. Eine Bot-Kampagne auf Twitter versuchte Zweifel daran zu säen, dass Kronprinz bin Salman mit dem Mord zu tun hat.

Desinformationskampagnen gehen geschickt vor

In einem Interview nennt Journalist Mostrous Desinformationskampagnen «ein grosses Problem»: Wirksame Desinformation beruhe auf einer Informationsflut. Russland und Co. missbrauchten die Art und Weise, wie man heute online konsumiere. Sie verbreiteten keine offensichtlichen Lügen, sondern veränderten echte Nachrichten zu ihren Gunsten. Mostrous: «Wenn wir nur noch scrollen, scrollen, klicken, klicken, klicken, dann haben wir keine Zeit mehr, das Echte vom Falschen zu unterscheiden.»

Im Fall Depp gegen Heard kommentierte ein Zuschauer: «Die Wahrheit ging auf Social Media schon vor langer Zeit verloren.» Eine Aussage, die sich als prophetisch erwies. Die Auswirkungen der Hetze sind allzu real: Während Depp bei den Filmfestspielen in Cannes 2023 mit einer siebenminütigen Standing Ovation geehrt wurde, hat sich Heard zurückgezogen, um sich um ihre Tochter zu kümmern.

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