Neuer Roman von Lukas Bärfuss
Bärfuss beschreibt das harte Brot des Lebens

Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss (51) hat nach sechs Jahren wieder einen Roman veröffentlicht. «Die Krume Brot» ist eine lang gereifte Idee des Büchner-Preisträgers, an der sich manche die Zähne ausbeissen.
Publiziert: 22.04.2023 um 18:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2023 um 11:58 Uhr
Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss ist eine der engagiertesten Stimmen in der Literaturszene.
Foto: Philippe Rossier
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Die Warnung steht auf der Verpackung: «Am Werk von Lukas Bärfuss kann man sich blaue Flecken holen», ist Germanist Peter von Matt (85) auf dem Schutzumschlag des neuen Buchs von Bärfuss (51) zitiert. «Die Krume Brot» ist der vierte Roman des Schweizer Schriftstellers, der erste seit sechs Jahren. Und entgegen dem Titel ist er kein Brösmeli, sondern ein Schwergewicht, an dem man sich stossen kann.

Ein Brocken ist dieses Buch – weniger umfangmässig (gut 220 Seiten) als inhaltlich. Es handelt vom Leben einer italienischstämmigen, in Zürich geborenen Migrantentochter in den 1960/70er Jahren und beginnt gleich mit einem Paukenschlag: «Niemand weiss, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm (…).» Obwohl damit eigentlich schon alles gesagt ist, liest man den Text gespannt wie nach einer guten Schlagzeile.

Solidarität mit der Hauptfigur

Doch «Eine Krume Brot» ist kein spannender Krimi, sondern eine menschliche Tragödie, denn: «Unglücke geschahen keine, das Leben war das Unglück, es floss dahin und kannte nur eine Richtung, hin zur allmählichen Zermürbung.» Schulisch schwach macht Adelina eine Anlehre als Flickschneiderin, arbeitet in einer Suppenfabrik, verliebt sich in Toto und wird gleich nach der ersten Nacht schwanger.

«Ende Juni sollte das Kind zur Welt kommen, und Ende Mai beendete Adelina die Arbeit in der Suppenfabrik.» Toto bringt ihr kein Glück: Er verschwindet, und bald steht Adelina alleine mit Tochter Emma da und versucht, sich über Wasser zu halten. Da taucht Emil als Retter auf und in Norditalien gleich wieder unter. Dort gerät Adelina an den Rotbrigadisten Renato – und bekommt von ihm einen Auftrag in Zürich.

Als Renato Adelina einen moralischen Vortrag hält, droht der Roman zu kippen, denn Bärfuss ist selber als moralischer Autor mit einer Mission bekannt. Aber der Büchner-Preisträger 2019 kriegt die Kurve: Er klagt nicht an, macht nicht die Gesellschaft für Adelinas Schicksal verantwortlich – der Lehrer legte ihr «keine Steine in den Weg», «sie liebte den Vater ihres Kindes», und ihr Verteidiger ist «ein freundlicher Herr in den Sechzigern».

Fatal reihen sich Fehlerchen an Fehlerchen im Leben von Adelina und sorgen für ihr grosses Unglück. Dieses ohnmächtige Ausgeliefertsein an die Condition humaine macht beim Lesen sprachlos, wirkt lähmend und sorgt schliesslich für ein Gefühl der Solidarität mit der Hauptfigur. Und mit dem rührenden Ende sorgt Bärfuss dafür, dass man Adelina nur noch in die Arme schliessen und sie trösten möchte.

Das Mutterbuch nach dem Vaterbuch?

«Die Krume Brot» ist das mütterliche Pendant zu «Vaters Kiste», der letztjährigen «Geschichte über das Erben» von Bärfuss. Während er darin beschrieb, wie er das Erbe seines Vorfahren ausgeschlagen hatte, leidet seine Romanfigur im neuen Buch unter der Erblast: «Adelina fühlte sich betrogen, wie sie nun ohne Mutter und mit etwas über neuntausend Franken Schulden dastand.»

Das Mutterbuch nach dem Vaterbuch? «Die Krume Brot» ist zwar keine Biografie, aber Adelina hat Züge der Mutter von Bärfuss: Beide hatten keine Ausbildung und arbeiteten später als Barfrauen sowie Fabrikarbeiterinnen. Und beide verlassen letztlich ihr Kind – im Roman zum Wohl der Tochter, in der Realität zum Nachteil des Sohnes: Lukas Bärfuss war 15 Jahre alt, als ihn seine Mutter verliess und ihn obdachlos machte.

Das ist die Stärke dieses Buchs: Der Autor weiss, worüber er schreibt. Der Stoff ist nicht erdacht, sondern erlebt. In einem Interview sagte Bärfuss, dass ihn dieses Buch schon sein ganzes Leben begleite. Und nun hat er es endlich geschrieben und veröffentlicht. «Die Krume Brot» ist schwer verdauliche Kost, lässt einen ob der packend beschriebenen Schicksalshaftigkeit manchmal schwer schlucken – das harte Brot des Lebens eben.

An der Falkenstrasse in Zürich kam es wegen des Romans zu einem Zwist zwischen «NZZ» und «NZZ am Sonntag»: Während Letztere das Buch vor Wochenfrist als «eine Wucht» lobte, legte die alte Tante Tage später pingelig mit einem wuchtigen Verriss nach: «Ein durch und durch konstruierter Roman.» Wahrlich: Am Werk von Lukas Bärfuss kann man sich blaue Flecken holen.

zVg
Lukas Bärfuss

Lukas Bärfuss: «Die Krume Brot», Rowohlt, 2023.

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Lukas Bärfuss: «Die Krume Brot», Rowohlt, 2023.


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