Alles easy ohne Schulnoten?
«Das zu glauben, ist ein grosser Irrtum»

Hanni Lötscher (63) ist Studienbereichsleiterin an der PH Luzern und Expertin für das Thema Noten und Beurteilungen. Sie sagt, was das Problem mit Noten ist und warum individuell hohe Leistungserwartungen positiv sind.
Publiziert: 27.02.2024 um 20:04 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2024 um 20:23 Uhr
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Blick: Was ist das grösste Missverständnis, wenn es um die Abschaffung von Noten geht?
Hanni Lötscher: Es wäre ein grosser Irrtum, zu glauben, dass ohne Noten nicht mehr beurteilt würde oder die Schülerinnen und Schüler nicht mehr herausgefordert wären. 

Was ist das Problem mit Noten?
Es besteht die Gefahr, dass im Unterricht eine Rückmeldung mit Noten von den Lernenden nicht mehr beachtet wird, weil für sie der Lernprozess abgeschlossen scheint. Denn aus einer Zahl als Rückmeldung ergeben sich keine Hinweise für das weitere Lernen. Aus einer differenzierten Rückmeldung durch die Lehrperson aber schon. 

Und im Zeugnis?
Auf der Zeugnisebene sollte die Note eine verdichtete, zusammenfassende Aussage über die Kompetenzen eines Schülers oder einer Schülerin in einem Fach darstellen. Dass auf dieser Ebene eine bewertende Zahl als Code aufgeführt wird, sollte nicht bedeuten, dass im Unterricht und gegenüber von Eltern nur von Noten und Punkten gesprochen wird, sondern Kompetenzen beschrieben und individuelle Fortschritte gewürdigt werden.

Hanni Lötscher ist Studienbereichsleiterin an der PH Luzern und Dozentin im Bereich fördernde Beurteilung.
Foto: PH Luzern
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Sie sind Dozentin im Bereich fördernde Beurteilung. Was ist darunter zu verstehen?
Fördernd ist eine Beurteilung, wenn sie in den Lehr- und Lernprozess integriert ist und die Informationen zum Lernstand genutzt werden, um das weitere Lernen zu unterstützen. 

Kompetenzorientiert lernen: Fünf Beurteilungsstrategien

Studienbereichsleiterin Hanni Lötscher von der PH Luzern erklärt, wie eine kompetenzorientierte Beurteilung funktioniert. «Für die Umsetzung einer solchen Lern- und Beurteilungskultur sind meines Erachtens die fünf formativen Beurteilungsstrategien hilfreich», sagt sie.

Die fünf formativen Beurteilungsstrategien sind:

  1. Lernziele und Erfolgskriterien klären: Ermöglicht ein gemeinsames Verständnis der angestrebten Lernergebnisse zwischen Lehrenden und Lernenden.
  2. Informationen zum Lernstand erheben: Durch Aufgaben, Fragen und Diskussionen wird der aktuelle Lernstand erfasst.
  3. Schülerinnen und Schüler als Zuständige ihres eigenen Lernens aktivieren: Fördert Selbstregulation und Eigenverantwortung im Lernprozess.
  4. Schülerinnen und Schüler als lehrreiche Ressourcen füreinander aktivieren: Nutzt Peer-Interaktionen zur gegenseitigen Unterstützung und Förderung.
  5. Lernförderliches Feedback erteilen: Bietet konstruktive Rückmeldungen, die das weitere Lernen unterstützen und leiten.

«Diese fünf formativen Beurteilungsstrategien sind kompatibel mit dem Lernverständnis von Lehrplan 21, wonach erfolgreiches Lernen ein aktiv-konstruierender, auf Vorwissen aufbauender selbstregulierter sowie sozialer Prozess ist», sagt Hanni Lötscher.

PH Luzern

Studienbereichsleiterin Hanni Lötscher von der PH Luzern erklärt, wie eine kompetenzorientierte Beurteilung funktioniert. «Für die Umsetzung einer solchen Lern- und Beurteilungskultur sind meines Erachtens die fünf formativen Beurteilungsstrategien hilfreich», sagt sie.

Die fünf formativen Beurteilungsstrategien sind:

  1. Lernziele und Erfolgskriterien klären: Ermöglicht ein gemeinsames Verständnis der angestrebten Lernergebnisse zwischen Lehrenden und Lernenden.
  2. Informationen zum Lernstand erheben: Durch Aufgaben, Fragen und Diskussionen wird der aktuelle Lernstand erfasst.
  3. Schülerinnen und Schüler als Zuständige ihres eigenen Lernens aktivieren: Fördert Selbstregulation und Eigenverantwortung im Lernprozess.
  4. Schülerinnen und Schüler als lehrreiche Ressourcen füreinander aktivieren: Nutzt Peer-Interaktionen zur gegenseitigen Unterstützung und Förderung.
  5. Lernförderliches Feedback erteilen: Bietet konstruktive Rückmeldungen, die das weitere Lernen unterstützen und leiten.

«Diese fünf formativen Beurteilungsstrategien sind kompatibel mit dem Lernverständnis von Lehrplan 21, wonach erfolgreiches Lernen ein aktiv-konstruierender, auf Vorwissen aufbauender selbstregulierter sowie sozialer Prozess ist», sagt Hanni Lötscher.

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Der persönliche Fortschritt ist also der Massstab?
Genau. Es geht nicht in erster Linie darum, die Schülerinnen und Schüler einzuteilen oder zu kategorisieren, sondern sie dabei zu unterstützen, die Lücke zwischen dem aktuellen Lernstand und den angestrebten Zielen zu schliessen.

Die Welt wird immer rauer, überall wird man ständig gemessen. Wäre eine Abschaffung von Noten ein Schritt in eine gegenteilige Richtung? Und wenn ja: Soll Schule ein Safe Space sein?
Die Abschaffung von Noten allein macht den Unterricht nicht automatisch besser und kein gesellschaftliches Problem wird gelöst. Die Schule sollte insofern ein Safe Space sein, dass die Kinder und Jugendlichen das Recht haben, zu lernen und sich weiterzuentwickeln, und dass die Lernmotivation erhalten bleibt.

Wie gelingt dies?
Die Lernmotivation bleibt erhalten, wenn individuell hohe Leistungserwartungen gestellt, individuelle Fortschritte gewürdigt werden und sich die Schülerinnen und Schüler sozial eingebunden fühlen, weil sie auch mit und voneinander lernen.

Kinder lernen also nicht besser, wenn sie eine Note bekommen?
Sie lernen besser, wenn sie differenzierte Rückmeldungen erhalten und wenn sie altersentsprechend ihr Lernen mithilfe von geklärten Zielen und Erfolgskriterien zunehmend selbständig steuern können.

Die Wirtschaft wünscht sich vergleichbare Bewertungen, die Eltern weniger Belastung für ihr Kind. Gibt es ein System, das all diese Anforderungen erfüllt?
Die aktuelle Auseinandersetzung kann dazu führen, dass geklärt wird, zu welchem Zeitpunkt, wer wofür welche Informationen über Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen benötigt. In der Volksschule scheint mir zentral zu sein, dass die Energie der Lehrpersonen in die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern fliesst, in die Kommunikation über Ziele, Lernprozess sowie Kompetenzstand und in die Verständigung mit den Eltern.

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