Headhunterin Doris Aebi
«Ich wünsche jedem CEO eine Tochter»

Headhunterin Doris Aebi rekrutiert seit Jahren Spitzenkräfte für die Schweizer Wirtschaft. Obwohl es inzwischen mehr Frauen in Führungspositionen gibt, sei die Schweiz noch lange nicht am Ziel. Das grösste Hindernis: Vereinbarkeit von Karriere und Familie.
Publiziert: 31.10.2022 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2022 um 20:53 Uhr
Carla De-Vizzi

Frau Aebi, Sie rekrutieren im Auftrag von Unternehmen, Verbänden und der öffentlichen Hand Spitzenkräfte. Sind darunter heute mehr Frauen als noch vor 20 Jahren, als Sie damit begonnen haben?
Doris Aebi: Es hat sich auf jeden Fall etwas getan. Inzwischen hat es viel mehr Frauen an der Spitze – das zeigen auch diverse Reports. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten. Auf der Geschäftsleitungsebene tendieren die SMI-Unternehmen heute gegen 20 Prozent Frauenanteil, und bei den Verwaltungsräten sind unterdessen fast 30 Prozent erreicht. Dies ist auch den Geschlechter Richtlinien vom Bund zu verdanken. Seit Anfang 2021 gelten bei börsenkotierten Unternehmen Richtwerte für Frauen in Kaderpositionen.

Was genau hat sich in den letzten 20 Jahren verändert?

Firmen haben ein stärkeres Bewusstsein für Vielfalt respektive gemischte Teams entwickelt. Sie haben erkannt, dass nicht nur kulturelle und soziodemografische Vielfalt dem Unternehmen Wett­bewerbsvorteile bringt, sondern auch eine gute Durchmischung der Geschlechter – unter anderem, weil Frauen und Männer unterschiedlich sozialisiert sind. Dazu kommt, dass Frauen immer besser ausgebildet sind und zwischenzeitlich mehr Frauen als Männer einen Hochschulabschluss vorweisen. Dabei holen die Frauen auch in männer- dominierten Ausbildungsgängen markant auf, und sie sind in diesen Berufen immer besser vertreten.

Doris Aebi, 57, ist Schweizer Unternehmerin und sucht als Mitinhaberin der Firma aebi+kuehni seit 2004 Spitzenkräfte für Unternehmen, Verbände und die öffentliche Hand.
Foto: Nathalie Taiana

Trotzdem besetzen deutlich weniger Frauen als Männer Positionen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten. Wieso?
Ein solcher Wandel braucht Zeit. Zuerst müssen sich vor allem die Rollenbilder von Männern und Frauen verändern. Leider sind diese gerade in der Schweiz stark zementiert – insbesondere bei der Gründung einer Familie. Daraus folgt das grössten Problem, das dazu führt, dass weniger Frauen an der Spitze sind: Viel mehr Frauen als Männer arbeiten Teilzeit. Um eine Leitungsfunktion zu übernehmen, ist ein Vollpensum vielfach unabdingbar.

Woran liegt das?
Familie und Beruf gehen in der Schweiz inzwischen Hand in Hand. Die Infrastruktur, die eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Karriere ermöglicht, ist in der Schweiz jedoch nach wie vor suboptimal. An genügend Tagesschulen und Kitas, die bezahlbar und qualitativ gut sind, fehlt es nach wie vor. Zudem sind die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau nach wie vor tief in den Köpfen verankert. Dementsprechend spielen Stereotypen, die bewusst und unbewusst unser Denken und Handeln prägen, immer noch eine starke Rolle. Und solange Männer in Spitzenpositionen übervertreten sind, bilden sie die Norm – die «Rollenbildfalle» schnappt zu, und die Frauen bleiben aussen vor.

Doris Aebi

Doris Aebi, 57, ist Schweizer Unternehmerin und sucht als Mitinhaberin der Firma aebi+kuehni seit 2004 Spitzenkräfte für Unternehmen, Verbände und die öffentliche Hand. Da die in Wirtschaftskreisen bekannte Geschäftsfrau schon im Alter von 26 Jahren für die SP in den Solothurner Kantonsrat gewählt wurde, ist sie vertraut mit der Politik und besetzt auch Spitzenpositionen von Verbänden sowie von Bund und Kantonen. Die ehemalige Migros-Vizepräsidentin wohnt zusammen mit ihrem Ehemann in Schöftland im Suhrental AG. Doris Aebi ist Stiefmutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern.

Doris Aebi, 57, ist Schweizer Unternehmerin und sucht als Mitinhaberin der Firma aebi+kuehni seit 2004 Spitzenkräfte für Unternehmen, Verbände und die öffentliche Hand. Da die in Wirtschaftskreisen bekannte Geschäftsfrau schon im Alter von 26 Jahren für die SP in den Solothurner Kantonsrat gewählt wurde, ist sie vertraut mit der Politik und besetzt auch Spitzenpositionen von Verbänden sowie von Bund und Kantonen. Die ehemalige Migros-Vizepräsidentin wohnt zusammen mit ihrem Ehemann in Schöftland im Suhrental AG. Doris Aebi ist Stiefmutter von vier inzwischen erwachsenen Kindern.

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Provokativ gefragt: Haben Männer etwas, das Firmen suchen, was Frauen nicht haben oder nicht bieten können?
Nein, haben sie nicht. Pauschalisierungen bringen uns nicht weiter. Nur eine gute Durchmischung bringt Vorteile.

Fördern denn weibliche Führungskräfte wiederum eher Frauen?
Es gibt sicher Frauen, denen es wichtig ist, dass sich der Anteil an Frauen im Unternehmen erhöht. Inzwischen ist dieses Bewusstsein aber auch in den männlichen Reihen angekommen. Besonders Männer in Entscheidungsfunktionen, die Töchter im Berufsleben haben und hören, wie es teilweise zu und hergeht, setzen sich vermehrt für Frauen ein. Deshalb wünsche ich jedem Wirtschaftsführer eine Tochter, die Karriere machen will.

EqualVoice

Als internationaler Medienkonzern setzt sich die Ringier-Gruppe mit ihrer publizistischen und technologischen Kraft seit 2019 für die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern ein. Ringier will mit der EqualVoice-Initiative die Frauen in der Berichterstattung sichtbarer machen, denn heute handeln Medienartikel in der Schweiz zu 72 Prozent von Männern. Zudem soll die Initiative mehr weibliche Vorbilder schaffen. Um das zu erreichen, misst Ringier den Frauen- und Männeranteil in den Onlineberichten mit einem von der ETH verifizierten Algorithmus und veranstaltet Events.

Als internationaler Medienkonzern setzt sich die Ringier-Gruppe mit ihrer publizistischen und technologischen Kraft seit 2019 für die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern ein. Ringier will mit der EqualVoice-Initiative die Frauen in der Berichterstattung sichtbarer machen, denn heute handeln Medienartikel in der Schweiz zu 72 Prozent von Männern. Zudem soll die Initiative mehr weibliche Vorbilder schaffen. Um das zu erreichen, misst Ringier den Frauen- und Männeranteil in den Onlineberichten mit einem von der ETH verifizierten Algorithmus und veranstaltet Events.

Könnte es ein Problem sein, wenn eine Frau den Job «nur» ihres Geschlechts wegen kriegt?
Es ist heute durchaus so, dass sich ein Unternehmen eher für die Frau entscheidet, wenn sich ein Mann und eine Frau mit ähnlicher Qualifikation und vergleichbarer Persönlichkeit auf die gleiche Stelle bewerben. Unternehmen haben die Bedeutung von Diversität erkannt, und sie wollen diese auf allen Stufen stärken. Wichtig ist aber, dass Unternehmen Frauen in exponierten Führungspositionen nicht nur zu Marketingzwecken einstellen, sondern auch dann zu ihnen halten, wenn den Frauen ein rauer Wind entgegenweht – genau dann nämlich, wenn die klassischen Stereotypen wieder zuschlagen.

Ist das nicht unfair?
Nein, das ist es nicht. Es ist dem Umstand geschuldet, dass Unternehmen die Diversität auf allen Stufen verstärken wollen.

Es gibt unzählige Studien, die nahelegen, dass es auch ein Mitverschulden der Frauen ist, dass sie weniger in Führungspositionen vertreten sind. Frauen bewerben sich häufig nicht, wenn sie nicht alle Anforderungen erfüllen. Zudem steigen sie bei den Lohnverhandlungen tiefer ein als ihre männlichen Mitbewerber. Ist an den Vorwürfen etwas dran?
Das muss man etwas differenzierter anschauen. Heutzutage gibt es auch viele Frauen, die sehr selbstbewusst auftreten – fast zu selbstbewusst. Auch, weil ihnen das auf den Weg mitgegeben wird. Aber es gibt natürlich auch Frauen, die ihr Potenzial zu wenig ausschöpfen. Männer wiederum sind hierarchischer orientiert und stärker darauf fokussiert, die Erwerbsrolle einzunehmen. Dies ist wieder auf die traditionelle Rollenteilung zurückzuführen. Trotzdem gibt es zunehmend auch Männer, die ihr Potenzial nicht um jeden Preis ausschöpfen wollen, weil ihnen zum Beispiel die Vereinbarkeit der Position mit der Familie wichtig ist. Kurz gesagt: Beide Extreme sind sowohl bei Männern als auch bei Frauen vertreten.

Das Bewusstsein für Gleichstellung ist heute durchaus da. Was können Frauen noch tun?
Es ist ganz wichtig, dass Frauen Männer nicht imitieren, sondern die Vorteile der Vielfalt akzentuieren und leben. Das fängt schon bei der Kleidung an. Frauen sollen den Mut haben, Röcke und auch Farben zu tragen. Sie sollen sich nicht zurückhalten und sich trauen, auch andere Aspekte einzubringen. Sich davor fürchten, andere mit der Sicht durch die «Frauenbrille» zu belästigen, wäre das Schlimmste, was eine Frau tun könnte.

Was erwarten Geschäftsleitungen oder Verwaltungsrät:innen, wenn sie sich für eine Frau statt für einen Mann entscheiden?
Im positiven Fall erwarten sie einen unterschiedlichen Erfahrungshintergrund und eine andere Sichtweise. Im negativen Fall ist es die Erfüllung einer allgemeinen Erwartungshaltung, also für das Image nach aussen. Tritt eine Frau zu autoritär oder feministisch auf, wirft man ihr schnell vor, eine Emanze zu sein.

Ist eine Frau dagegen zu gutmütig oder lieb, nimmt man sie nicht ernst. Inwiefern existieren diese Stereotypen noch?
Vorab: Eine feministische Frau kann sehr wohl gutmütig sein (lacht). Als Emanzen werden meistens Frauen bezeichnet, die sonst den Männern zugeordnetes Verhalten zeigen. Ich beispielsweise habe durchaus auch feministische Züge in mir, ohne dass ich dem Stereotyp «Emanze» entspreche. Ich tue mich sehr schwer mit solchen Stereotypen. Die machen einfach alles kaputt.

Was würden Sie jungen Frauen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, auf den Weg mitgeben?
Freude, Passion und Durchhaltewillen. Ich bin überzeugt, dass man in jenen Dingen, die man gerne tut, auch gut ist. Und wenn man Leidenschaft für etwas aufbringt, besitzt man auch Durchhaltewillen. Wichtig ist, dass man Unterstützung annehmen kann. Und zwar nicht nur im Beruf, sondern auch bei Familie und Hausarbeit. Das gilt sowohl für Frauen als auch für Männer. Wenn man Kinder hat und Karriere macht, ist man auf eine gewisse externe Infrastruktur angewiesen. Zudem sollte man die Karriere nicht überbewerten und sich nicht selber vergessen. Viel wichtiger ist, dass der Inhalt des Jobs Freude macht.

Dieser Artikel stammt aus dem Print-Magazin zur Ringier-Initiative EqualVoice.

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