Smartphone als Wanze
US-Firma heizt Abhör-Gerücht an

Eine US-Firma behauptet, dass sie Gespräche über eingebaute Mikrofone in Handys und anderen Geräten abhören kann, um Werbung zu schalten. Doch wie realistisch ist dieses Szenario?
Publiziert: 04.01.2024 um 15:04 Uhr
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Aktualisiert: 04.01.2024 um 15:30 Uhr
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Tobias BolzernRedaktor Digital

Hört mein Handy mich ab? Diese Frage stellte sich wohl jeder von uns schon einmal. Immer wieder kommt sie auf, besonders wenn wir über ein bestimmtes Thema sprechen und kurz darauf Werbung genau dafür auf unserem Smartphone angezeigt bekommen.

Nun heizt eine US-Firma die Diskussion weiter an. Die Werbefirma Cox Media Group (CMG) erklärt auf ihrer Website: «Ja, es stimmt. Deine Geräte hören mit.» CMG behauptet, dass sie in der Lage sind, Gespräche von Menschen über die eingebauten Mikrofone in Handys, Smart-TVs und anderen Geräten abzuhören, um Daten zu sammeln und diese für gezielte Werbung zu nutzen. Dies berichtet die Tech-Plattform 404media.co.

Das Handy als Wanze?

Diese Funktion nennt sich Active Listening und CMG behauptet, dass sie potenzielle Kunden «auf Basis von beiläufigen Gesprächen in Echtzeit» identifizieren können. CMG nennt mehrere Beispiele dafür, nach welchen Aussagen Werbung geschaltet werden könnte. «Ist das Schimmel an der Decke?», «wir müssen für unsere Rente vorsorgen» oder «wir sollten unsere Hypothek analysieren». Wie genau CMG diese Funktion technisch umsetzt, erklärt die Firma nicht.

Die US-Werbefirma Cox Media Group (CMG) erklärt auf ihrer Website: «Ja, es stimmt. Deine Geräte hören mit.»
Foto: Getty Images/Cavan Images RF
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CMG nennt unter anderem Microsoft, Google und Amazon als Partner. Google erklärte gegenüber 404media.co, dass Android seit Jahren verhindert, dass Apps Audiodaten sammeln, wenn sie nicht aktiv genutzt werden, und jedes Mal, wenn eine App das Mikrofon am Handy aktiviert, ein auffälliges Symbol in der Statusleiste angezeigt wird. Eine identische Funktion gibt es auch bei iPhones.

«Diese Indikatoren können helfen, böswillige Aktivitäten als solche zu erkennen. Zudem müssen die Apps den Zugriff auf das Mikrofon erfragen. Diese Rechte sollten nur erteilt werden, wenn sie für das Nutzen einer Anwendung wirklich erforderlich sind», sagt Marc Ruef, IT-Sicherheitsexperte der Zürcher Firma Scip AG. Amazon erklärte gegenüber 404media.co, dass ein solches Szenario mit Echo-Geräten nicht möglich wäre. «Wir teilen keine Sprachaufnahmen mit Dritten», heisst es.

Drakonischen Strafen schrecken ab

Wie realistisch ist ein solches Szenario also überhaupt hierzulande? «Passieren kann alles», sagt Ruef. «Aber die drakonischen Strafen, die durch die EU-Datenschutzgrundverordnung angedroht werden, machen ein solches Szenario in unseren Breitengraden eher unattraktiv», so der Experte. Ausserdem würden die Firmen den Zorn der Nutzer auf sich ziehen, wenn sie sich nicht daran halten. Kurz gesagt: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dein Telefon zu Werbezwecken mithört.

Mittlerweile hat auch CMG reagiert und ist zurückgerudert. Sie erklärten in einem Statement, dass sie keine Gespräche abhören. Und: Die Website und das Angebot zu Active Listening wurden gelöscht.

So funktioniert das Tracking

Eine Frage bleibt: Wie kann es sein, dass dennoch immer wieder Beispiele auftauchen, dass Anzeigen in den Feeds von Nutzern auftauchen, nachdem sie nur schon darüber laut nachgedacht haben?

Die beiden Forscher Jacob Leon Kröger und Philip Raschke von der TU Berlin haben das Phänomen wissenschaftlich untersucht. Auch sie kommen zu dem Schluss, dass die Befürchtungen, Werbefirmen könnten Privatgespräche abhören, wahrscheinlich unbegründet sind. Vielmehr gibt es einen alternativen Ansatz zur Erklärung der «seltsam präzisen Werbung». 

Diese basiert auf heute etablierten Tracking-Technologien. So erwähnen sie in ihrem Paper, dass von 17'260 analysierten Apps knapp die Hälfte Nutzerdaten im Hintergrund mit Facebook teilen.

Das Internet kann Gedanken lesen

Damit kommen Firmen wie Facebook, aber auch Google, Amazon und Co. zu einer Fülle an Daten: Suchverlauf, Likes, sonstige In-App-Interaktionen, Einkäufe, Online-Profile, Lieblingswebseiten – all das kann miteinander verknüpft werden. «Die tiefen und potenziell unerwarteten Einblicke, die sich aus einer solchen Überwachung ergeben, können für zielgerichtete Werbung genutzt werden. 

Dadurch kann der Eindruck entstehen, belauscht zu werden, insbesondere wenn die betroffene Person nicht über die Allgegenwart und die beeindruckenden Möglichkeiten der Datenverknüpfung informiert ist», so die Forscher der TU Berlin.

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