Game-Designerin Philomena Schwab, von Schwamendingen ins «Forbes»-Magazin
«Silicon Valley kann warten»

Das US-Magazin «Forbes» zählt sie zu den einflussreichsten Menschen unter 30 im Technologie-Bereich: die Schweizer Gamedesignerin Philomena Schwab (27). Weshalb sie ihre Werke auf gleiche Höhe wie die Literatur stellt und weshalb sie Kinder klüger machen.
Publiziert: 14.03.2017 um 14:01 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:49 Uhr
Silvia Tschui

«Forbes» zählt Sie zu den weltweit klügsten Köpfen: Hat der Artikel Ihr Leben stark verändert?
Philomena Schwab: Nicht wirklich. Ich muss plötzlich viele Interviews geben. Und mein Wort hat mehr Gewicht.

Keine Jobangebote aus den USA?
Doch, Silicon Valley hat angeklopft. Und ein paar andere.

Und?
Im Moment kann man mir ein Jobangebot mit jedem beliebigen Salär machen, ich bin daran nicht interessiert. Silicon Valley muss warten. 

Warum?
Ich habe viel Zeit und Mühe investiert, um in der Schweiz mit Geschäftspartner Micha Stettler unser eigenes Ding zum Laufen zu bringen. Da gehe ich jetzt nicht einfach weg.

Was ist denn das, «Ihr Ding»?
Wir haben zwei Games entwickelt. Das erste, «Niche – a genetics survival game», ist ein Spiel, in dem man eine Tierpopulation am Leben erhalten muss – mithilfe der Genetik. Im anderen, «Nimbatus», baut man sich Drohnen zusammen und fliegt damit durchs Weltall, um Aufgaben zu erledigen.

Game-Disgnerin Philomena Schwab hatte eine Angebot aus dem Silicon Valley. Doch die 27-Jährige bleibt lieber in Zürich, wo auch ihr Gamedesignstudio Stray Fawn GmbH ist.
Foto: Nik Hunger
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Hat sich nach dem «Forbes»-Eintrag auch finanziell etwas verändert?
Eigentlich nicht, wir hatten sowieso Glück, «Niche» verkauft sich gut. Wir entwickeln es weiter, gehen also davon aus, dass es noch mehr Leute kaufen.

Konkret: Wie viel verdient man mit einem Spiel?
Bis jetzt erzielten wir einen Gewinn von ca. 400'000 Franken. Das Geld teilen wir mit unserem Team nach einem Arbeitsaufwand-Schlüssel.

Wahnsinn. Was machen Sie damit?
Ich zahle mir noch immer einen Monatslohn von 2000 Franken aus, davon lebe ich. Der Rest sichert die Finanzierung unserer nächsten Projekte. Und irgendwann will ich meinem Mami ein Haus kaufen. Sie hat immer von einem Haus mit Garten und Hühnern drin geträumt.

Stichwort Natur – in Ihrem Game geht es um Evolutionsbiologie. Weshalb sind Sie Gamedesignerin und nicht Biologin?
Ich wollte tatsächlich Biologie studieren. Und Grafikdesign. Und Programmieren. Darüber hinaus Geschichten schreiben. Im Gamedesign bringe ich die letzten drei Sparten zusammen – drum habe ich mich für das Studium entschieden. Und da sich die Biologie nur bedingt integrieren lässt, war dann halt meine Abschlussarbeit besagtes Evolutionsbiologie-Game.

Man lernt also in Ihrem Spiel dazu?
Einwand, man lernt in jedem Spiel etwas dazu. Ich muss ja lernen, wie ich zu meinen Belohnungen komme. Das ist auch – unter anderem – die grosse Gesellschaftsrelevanz, die Games haben.

Das müssen Sie näher erklären…
Sehen Sie, wie Kinder am meisten lernen: beim freien Spielen. Menschen wollen lernen – allerdings auch Spass daran haben. Hat man einen Lernschritt erreicht, schüttet das Belohnungszentrum im Hirn Glückshormone aus. In Games muss das ständig geschehen, sonst legen es die Menschen weg. Games, in denen man mehr als Game-inhärente Dinge lernt, sind also ideale Lernspassmaschinen. Wie wir das in der Schule jahrhundertelang vernachlässigen konnten – da frage ich mich echt!

Haben Lehrer schon bei Ihnen angeklopft?
Ja, «Niche» eignet sich gut für den Biounterricht, um den Schülern die Prinzipien der Populationsgenetik zu vermitteln. Man muss darin die Tiere derart kreuzen, dass sie in ihrer Nische überleben können. Oft sieht man erst ein paar Generationen später, ob die Entscheidungen richtig waren.

«Niche – a genetics survival game», ist ein Spiel, in dem man eine Tierpopulation am Leben erhalten muss – mithilfe der Genetik.

Lernten Sie als Kind gerne?
Ich wurde nie zu irgendetwas gezwungen. Das hat dazu geführt, dass ich auch nicht wahnsinnig viel gelernt habe, wenn ich dahinter keinen Sinn sah. Ich hab viel lieber gezeichnet.

Haben Sie deshalb jetzt Wissenslücken?
Schon. Etwa in Trigonometrie fürs Programmieren. Ich werde darin aber langsam wieder fitter. Andererseits konnte ich durch meine Zeichnungskünste im Studium als Grafikerin Geld verdienen.

Was lernen Sie aktuell?
Seit ein paar Wochen Japanisch.

Wieso?
Um nicht länger zwei Jahre warten zu müssen, bis die unglaublich tollen, japanischen Games übersetzt sind.

Wie oft gamen Sie selbst?
Ich versuche das ja immer als Recherche zu tarnen, aber es ist gar nicht so viel: Vielleicht einen halben Tag pro Woche.

Übers Lernen haben wir bereits gesprochen: In welchen anderen Punkten sind Games sonst noch gesellschaftsrelevant?
Games sind als Kunstform einzigartig – es gibt kein anderes Medium, in dem man solche Emotionen auslösen kann. Und mit der man derart grosse Emotionen auslösen kann.

Ist das einzigartig? Ich heule beim Filmeschauen auch.
Aber im Film wird einem eine Geschichte von aussen erzählt. Im Game jedoch kann jeder selbst entscheiden, ob man ein guter oder ein böser Charakter sein will. Das macht eine eigene, emotionale Bindung an die Geschichte möglich. Darüber hinaus erzählen Gamer die Geschichte mit. Das ist nirgendwo anders möglich.

Was macht eine Gamedesignerin genau?
Ungefähr sieben Jobs zugleich: Grafik, Marketing, das Community Management, also die Kommunikation mit den Gamern. Dann noch Programmieren, Producing, also Arbeitspläne erstellen, was wann wie gemacht wird und vor allem natürlich: das Gamedesign.

Also Grafik.
Nein, es geht darum, wie das Spiel aufgebaut ist, dass man jede Sekunde gern dabeibleibt, dass die Belohnungsreize so erteilt sind, dass der Spieler ermuntert, weiterzumachen. Gleichzeitig müssen aber auch die längeren Spannungsbögen stimmen. Und der Schwierigkeitsgrad – dieser darf nicht zu einfach und nicht zu schwierig sein. Das muss man alles genau planen. Eine Mischung zwischen Psychologie und Dramaturgie. 

Sie manipulieren den Gamer psychologisch?
Wir versuchen, den Spieler interessiert zu halten. Unsere Lehrer haben uns immer wieder gesagt, wie gross unsere Verantwortung ist, weil wir eigentlich Drogendesigner sind.

Weil Games abhängig machen können?
Genau – allerdings macht ein Romanautor oder ein Drehbuchautor nichts anderes. Auch er will, dass seine Leser oder Zuschauer gebannt bei der Sache bleiben. Problematisch finde ich Games, in denen man ständig etwas online dazukaufen muss. Diese ziehen spielsüchtigen Menschen gezielt  Geld aus der Tasche –leider völlig legal. Da besteht Handlungsbedarf.

Und Shooter?
Ach, die Diskussion finde ich überbewertet. Ich habe so viele Kollegen, die früher die härtesten Games gespielt haben, aber keiner Fliege etwas zuleide tun können. Die mir die Tür aufhalten und stets die Hälfte ihres Sandwiches anbieten. 

Ihre Kollegen sind wohl intellektuell auf der Höhe, können ihren Gamekonsum differenziert einordnen. Das können nicht alle.
Stimmt. Vielleicht gehe ich da wirklich zu sehr von meinem persönlichen Umfeld aus. Ich finde durchaus, dass es gesetzliche Grundlagen für den Verkauf brutaler Games geben sollte. Shooters sollten nicht an 14-Jährige gelangen. Zum Glück gibt es Bestrebungen, die Auflagen zu verschärfen. Und es gibt tatsächlich unverantwortliche Designer, die ihre für 18-jährige freigegebenen Games gezielt bei 14-Jährigen vermarkten. 

Wo ist in Ihrer Sparte sonst noch Handlungsbedarf?
Wir bräuchten mehr Fördergelder, abgesehen von der Pro Helvetia sind kaum Mittel verfügbar. Dabei ist der Game- grösser als der Filmmarkt. 

Sie sind doch kommerziell erfolgreich, braucht es überhaupt Fördergelder?
Es geht nicht nur um uns. 95 Prozent aller Independent-Games bringen kein Geld. Es ist heutzutage wirklich einfach, Games zu produzieren, darum hat es auch derart viele schlechte. Es bräuchte deshalb gezielte Förderung von Qualität – Schweizer Produktionen können diese definitiv bieten.

Game-Designerin Philomena Schwab will für die Game-Industrie mehr Fördergelder, sie sei inzwischen grösser als der Filmmarkt.
Foto: Nik Hunger

Spiele sind einfach zu produzieren – wirklich?
Ohne Witz: Ich könnte ihnen in zwei Tagen beibringen, wie sie ein einfaches Game designen und dieses in den App-Store laden. Ob es dann gut ist, ist eine andere Frage.

Wie gross ist der Markt in der Schweiz, was setzen Designer darin um?
Ungefähr 50 Millionen Franken – aber das ist erst der Anfang. Der Markt wächst rasant.

Wo liegt die Zukunft des Gamedesigns?
Augmented Reality. Dass man mit speziellen Brillen im Alltag hologrammartige Games spielen kann.

Und Ihre eigene?
Ich habe 1000 Ideen – mein nächstes Projekt wird wohl wieder ein Naturspiel sein. Eines, in dem man eine menschliche Siedlung auf dem Rücken eines riesigen Tieres gründen kann – und dann entscheiden muss, ob die Gemeinschaft symbiotisch oder parasitär ist. Mit allen möglichen Folgen und Problemen.

Zum Abschluss: Was sagen Sie Eltern, die sich um den Gamekonsum ihrer Kinder sorgen?
Eltern sollen kontrollieren, was ihre Kinder spielen. Und ob ein Spiel altersgerecht ist. Grundsätzlich ist die Angst aber unbegründet – wer nicht gamt, lebt nur in einer Welt. Wer gamt, in Tausenden. Games bieten einen Reichtum, wie wir ihn von der Literatur oder vom Film kennen.

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Weitere Informationen: niche-game.com/

Von Philomena Schwab mitbegründetes internationales Kollektiv von Naturspieleentwicklern: playfuloasis.com

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