«Männer klicken nur, weil sie auf etwas Sexuelles hoffen»
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Profi-Gamerin erlebt Sexismus:«Männer klicken nur, weil sie auf etwas Sexuelles hoffen»

Parasoziale Beziehungen – was ist das?
Expertin erklärt das Phänomen einer einseitigen digitalen Freundschaft

In der neuesten «sichtbar»-Folge erzählt Profi-Gamerin Andi. A von ihren Erfahrungen auf dem Streaming-Dienst Twitch. Dabei hat sie auch digitale Freundschaften aufgebaut. Das Phänomen der sogenannten parasozialen Beziehungen ist nicht neu, bringt aber Fragen auf.
Publiziert: 21.11.2023 um 17:56 Uhr
Andrea A. (35) spielt fast jeden Abend Videospiele auf der Online-Plattform Twitch – 5 Jahre lang lebte sie davon. Dadurch hat sie auch viele digitale Beziehungen aufgebaut.
Foto: Philippe Rossier
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Emilie JörgensenSenior Community Editorin

Andrea A. (35) ist Profi-Gamerin. Sie spielt schon seit mehreren Jahren fast täglich auf der Streaming-Plattform Twitch für ihre Zuschauer Videospiele. In der neuesten Folge «sichtbar» erzählt sie, wie sie dadurch Freundschaften schliessen konnte, die nur digital stattfinden. Das ist zwar nichts Neues, es gibt aber auch das Phänomen der einseitigen Online-Freundschaft, der sogenannten parasozialen Beziehung.

Doch worum genau handelt es sich bei parasozialen Beziehungen? Diese und viele weitere Fragen kamen auch bei der Blick-Community auf. Antworten darauf gibt Michelle Möri. Sie ist Diplomassistentin am Lehrstuhl für Mediennutzung & Medienwirkung an der Universität Freiburg und hat in ihrer Doktorarbeit zu parasozialen Beziehungen zu Serienfiguren geforscht.

Wieso bilden Menschen parasoziale Beziehungen?
Michelle Möri: Weil durch die häufige Mediennutzung Medienpersonen im alltäglichen Leben sehr präsent sind. Durch wiederholte parasoziale Interaktionen können langfristig parasoziale Beziehungen entstehen. Wenn ich zum Beispiel jeden Abend eine Folge meiner Lieblingsserie schaue, mit meiner Lieblingsfigur mitfiebere, mir Gedanken über ihre Zukunft mache und mich jeden Abend darauf freue, sie wiederzusehen, dann habe ich eine parasoziale Beziehung zu ihr. Zudem sind parasoziale Beziehungen attraktiv: Medienpersonen sind mit den heutigen Möglichkeiten von Social Media und Streaming-on-Demand jederzeit und von überall aus verfügbar. Ich kann also via Knopfdruck mit meinem parasozialen Freund in Kontakt treten, wenn ich mich gerade einsam fühle – egal wo ich bin oder zu welcher Uhrzeit.

Ab wann redet man von einer parasozialen Beziehung? Ist Fansein schon eine parasoziale Beziehung?
Eine parasoziale Beziehung ist eine einseitige Beziehung, die Menschen zu Medienpersonen entwickeln. Wichtig ist, zu unterscheiden, wie stark ausgeprägt diese parasoziale Beziehung ist. Fans weisen oft intensive parasoziale Beziehungen auf, sie wissen z.B. alles über die Influencerin, versuchen sich ähnlich zu kleiden, und sie sehen die Influencerin als eine Art Freundin an. Man kann jedoch auch Fan z.B. von einem Musiker sein und die Musik hören, ohne diese Illusion einer Freundschaft mit der Person hinter der Musik.

Was sind parasoziale Beziehungen?

Parasoziale Beziehungen bezeichnen Beziehungen, die einseitig stattfindet. So bilden Menschen zum Beispiel Beziehungen zu Medienpersonen, die zu ihnen sprechen, aber kein Dialog entsteht.

Dieses Phänomen ist allerdings nicht neu: Bereits in den 50er-Jahren stellten zwei Soziologen fest, dass Personen begannen, mit Nachrichtensprechen parasoziale Beziehungen einzugehen, und sich auch freuten, diese im Fernsehen wiederzusehen.

Parasoziale Beziehungen bezeichnen Beziehungen, die einseitig stattfindet. So bilden Menschen zum Beispiel Beziehungen zu Medienpersonen, die zu ihnen sprechen, aber kein Dialog entsteht.

Dieses Phänomen ist allerdings nicht neu: Bereits in den 50er-Jahren stellten zwei Soziologen fest, dass Personen begannen, mit Nachrichtensprechen parasoziale Beziehungen einzugehen, und sich auch freuten, diese im Fernsehen wiederzusehen.

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Mit wem werden hauptsächlich parasoziale Beziehungen eingegangen?
Parasoziale Beziehungen können mit einer grossen Vielfalt von Medienpersonen eingegangen werden: von Nachrichtensprecher, Athletinnen, Influencer, Gamerinnen, bis zu fiktiven Mediencharakteren wie James Bond oder Lisa Simpson. Gerade interaktive Plattformen wie Social Media können bei den Nutzern natürlich den Eindruck einer wechselseitigen Freundschaft verstärken, sodass dort die Wahrscheinlichkeit für parasoziale Beziehungen erhöht sind. Bei Influencern haben die Nutzer schnell das Gefühl, dass diese direkt zu ihnen sprechen und durch die alltäglichen Eindrücke in deren Leben fühlt es sich für sie auch so an, als würden sie die Influencer wirklich im echten Leben kennen.

Können parasoziale Beziehungen zur Norm werden und «normale» Beziehungen ersetzen?
Diese Angst, dass parasoziale Beziehungen reale Freundschaften ersetzen, wird oft geäussert. Die Forschung zeigt, dass parasoziale Beziehungen nicht als Ersatz zu sozialen Freundschaften genutzt werden, sondern diese ergänzen. Es gibt eine Studie, die zeigt, dass Personen mit vielen Freunden im echten Leben auch mehr parasoziale Beziehungen haben als Personen mit wenigen Freunden.

Kann man auch unbewusst in einer parasozialen Beziehung sein?
Ich gehe davon aus, dass wenige Leute offen sagen: «Ich habe eine parasoziale Beziehung mit XY», was nicht heisst, dass sie keine parasozialen Beziehungen haben. Vielleicht bezeichnen sie es nicht so oder sind sich des Ausmasses ihrer Verbindung zur Medienperson tatsächlich nicht bewusst, wenn sie nicht aufgefordert werden, darüber nachzudenken. Um herauszufinden, ob man eine parasoziale Beziehung zu einer Medienperson hat, kann man sich selbst fragen, ob man diese als Freund anschaut, ihr persönliche Dinge erzählen oder ihr/ihm vertrauen würde. Oder auch, ob man auch im Alltag neben der Mediennutzung an sie oder ihn denkt. Falls ja, sind bereits wichtige Merkmale einer parasozialen Beziehung erfüllt.

Ist eine parasoziale Beziehung schädlich?
Eine parasoziale Beziehung kann positive sowie negative Folgen haben. Wenn zum Beispiel Personen eine starke parasoziale Beziehung zu einem Influencer haben, sind sie geneigter, die von ihm beworbenen Produkte zu kaufen, oder die präsentierten Informationen weniger kritisch zu hinterfragen. Parasoziale Beziehungen können auch das Unterhaltungserleben steigern. Zuschauer empfinden Filme mit Personen, zu denen sie eine parasoziale Beziehung haben, als unterhaltsamer. Und Medienpersonen können Vorbildfunktionen einnehmen und z.B. gerade auch jungen Leuten bei der Identitätsfindung helfen.

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