«Wann gilt ein Mensch als hirntot?»
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Leserfragen zu Organspende:«Wann gilt ein Mensch als hirntot?»

Organspende: Expertin beantwortet Leserfragen im Blick TV
«Wann gilt ein Mensch als hirntot?»

Am 12. September ist der nationale Organspendetag. BLICK hat in den letzten Tagen die spannendsten Fragen zum Thema Organspende bei seiner Leserschaft gesammelt. Fachärztin Nathalie Krügel von Swisstransplant hat diese im Blick TV beantwortet.
Publiziert: 12.09.2020 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2021 um 12:33 Uhr
Sylwina Spiess und Andreas Hobi

Am Samstag ist der nationale Organspendetag. Laut Swisstransplant, der Schweizerischen Nationalen Stiftung für Organspende und Transplantation, warteten im Juli 2020 insgesamt 1408 Menschen auf ein Organ.

Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 582 Organe transplantiert, am meisten die Niere. Fast jede fünfte Transplantation erfolgte dabei durch eine Lebendspende. Das wird von der Krankenkasse des Empfängers bezahlt. 61 Organe wurden aus dem Ausland importiert. Für 46 Menschen kam die Hilfe nicht rechtzeitig: Sie starben, während sie auf der Warteliste standen. Davon warteten 18 auf eine Niere, 18 auf eine Leber und sieben auf ein Herz.

Seit Mitte Woche hatten unsere Leserinnen und Leser die Möglichkeit, ihre Fragen rund ums Thema Organspende zu schicken. Am Samstagmittag hat Nathalie Krügel, Leitende Ärztin bei Swisstransplant, im Blick TV die drängendsten Fragen beantwortet:

Nathalie Krügel (l.), leitende Ärztin bei Swisstransplant, im Interview mit Moderatorin Sylwina Spiess.
Foto: Screenshot BLICK

Wie kann ich einen Organspende-Ausweis machen?

Nathalie Krügel: Organspende-Ausweise kann man bei Swisstransplant, in Apotheken oder beim Hausarzt bestellen. Am einfachsten gehts aber auf www.organspenderegister.ch, wo man sich im nationalen Organspenderegister eintragen lassen kann. Die Registrierung dauert etwa drei Minuten.

Ist es möglich, dass ich beispielsweise das Herz nicht spenden möchte, die restlichen Organe aber schon?

Das ist möglich. Bei der Anmeldung im Organspenderegister wird man zuerst gefragt, ob man überhaupt spenden möchte und falls ja, welche Organe. Wir haben auf der Seite mittlerweile über 100'000 Anmeldungen und stellen fest: Wenn jemand bereit ist, seine Organe zu spenden, dann auch alle. Nur wenige möchten beispielsweise das Herz oder die Hornhaut nicht spenden.

Kann ich meinen Entscheid rückgängig machen, wenn ich bereits im Spenderegister eingetragen bin?

Natürlich. Es ist zu jeder Zeit möglich, im Organspenderegister die Angaben anzupassen. Man kann seinen Entscheid, Organe nach dem Ableben zu spenden, rückgängig machen. Im Extremfall kann man sich auch ganz löschen lassen.

Ich bin schon bei Swisstransplant als Organspender angemeldet. Ich bin jedoch inzwischen 85-Jährig und frage mich, ob das noch sinnvoll ist. Gibt es eine Altersgrenze?

Es macht auch in diesem Alter noch Sinn, Organspender zu sein. Es gibt keine Altersobergrenze für Organspende und entlastet die Angehörigen. Der älteste Organspender in der Schweiz war übrigens 88 Jahre alt.

Spielen die sexuelle Orientierung oder Erkrankungen eine Rolle beider Organspende?

Die sexuelle Orientierung spielt keine Rolle bei der Organspende. Jeder Spender wird auf übertragbare Krankheiten untersucht, wobei anzumerken ist, dass es wenige absolute Kontraindikation für Organspenden gibt.

Wie wird der Hirntod diagnostiziert?

Hirntod bedeutet der irreversible Ausfall aller Hirnfunktionen und vom Hirnstamm. Diagnostiziert wird dieser nach definierten Voraussetzungen und Prozessen. Zwei unabhängige Fachärzte müssen im vier-Augen-Prinzip anhand von sieben klinischen Zeichen den totalen Hirnausfall feststellen. Nur wenn beide Ärzte keine Zweifel mehr haben, wird der Patient für Hirntod erklärt.

Warum werden Gehirntote unter Vollnarkose gesetzt, wenn man ihnen die Organe entnimmt?

Ein Gehirntoter wird nicht unter Vollnarkose gesetzt. Die intensiv-medizinischen Massnahmen werden im Operationssaal aber fortgesetzt. Dies zur Erhaltung der Organe.

Wieso schwitzt der Körper bei einer Organentnahme trotz Hirntod?

Durch den Hirntod fallen die gesteuerten Funktionen des Hirns irreversibel aus. Es gibt aber noch Reflexe, die übers Rückenmark weiter funktionieren, zudem kann auch das vegetative Nervensystem noch Restfunktionen haben. Diese können zu dazu führen, dass der Körper plötzlich schwitzt, oder der Blutdruck steigt. Das hat nichts mit einer kontrollierten Funktion des Hirnes zu tun und ist auch kein Zeichen von Schmerzen, die der Hirntote vermeintlich noch verspürt.

Es gibt Menschen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, doch sie leben heute noch ohne Folgeschäden. Zum Beispiel der Amerikaner Trenton McKinley (13). Stellt dies nicht den Hirntod und somit die Organspende als Ganzes in Frage?

Der Hirntod ist ein unwiderruflicher Ausfall aller Funktionen. Es gibt niemanden, der nach der Diagnose Hirntod wieder erwacht ist. Trenton McKinley hatte vor zwei Jahren einen schweren Unfall und starke Hirnverletzungen. Ich glaube, die gestellten Prognosen bei diesem Jungen waren sehr schlecht, aber er wurde nie für hirntot erklärt.

Ist es möglich, sich begraben zu lassen nach einer Organspende?

Ja, das ist möglich. Die Wiederherstellung der menschlichen Integrität ist sehr wichtig. Nach der Organspende wird der Körper wieder verschlossen und man sieht dem Körper, neben einer Narbe, nichts an.

Wie funktioniert in der Schweiz die Warteliste für die Vergabe von Organen? Werden Reiche, die dafür zahlen, bevorzugt?

Niemand wird bevorzugt, ob reich oder arm. Organspende in der Schweiz ist unentgeltlich, Organhandel verboten. Die Organzuteilung ist vom Bund gesetzlich geregelt und wird auch regelmässig kontrolliert.

Wie wird sichergestellt, dass die importierten Organe nicht aus dem illegalen Organhandel stammen?

Wir importieren Organe aus dem europäischen Ausland, arbeiten aber eng mit seriösen Partnerorganisationen zusammen. Diese Partner können die Herkunft der Organe lückenlos belegen.

Wie würde die Widerspruchslösung genau funktionieren? Was sind die Vorteile davon?

Momentan haben wir in der Schweiz die explizite erweiterte Zustimmungslösung. Ethisch ist die Zustimmungslösung mit der Widerspruchslösung gleichzusetzen, weil man kann bei beiden Lösungen ‹nein› sagen. Wichtig ist bei beiden Lösungen, dass man seinen Entscheid festhält in einem Organspenderegister. Mit der Widerspruchslösung erhofft man sich, dass mehr kranke Menschen aus der Warteliste Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Organ erhalten.

Das ganze Interview können Sie im Video ganz oben nachschauen.

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