Hier donnert der McLaren über die Strasse
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680 Hybrid-PS:Hier donnert der McLaren über die Strasse

Neuer McLaren Artura im ersten Test
So fährt das Hybrid-Biest mit 680 PS

Mit dem neuen Artura beginnt bei der britischen Supersportwagen-Schmiede McLaren eine neue Zeitrechnung. Statt V8 sorgt neu ein V6 plus E-Motor für Power. Sparkur? Ganz bestimmt nicht!
Publiziert: 20.07.2022 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 20.07.2022 um 13:01 Uhr
Andreas Engel

Beim Namen McLaren schnalzen Formel-1-Fans mit der Zunge: Acht Titel in der Konstrukteurs-WM, zwölf bei den Fahrern – nur Ferrari und Williams sind in der langen F1-Historie erfolgreicher als der Rennstall aus dem britischen Woking. Seit elf Jahren baut McLaren unter dem Zusatz Automotive auch Strassensportwagen. Diejenigen, in denen ich schon ans Steuer durfte – vom Debütmodell 12C über den noch stärkeren 650 S, den Golftaschen-fassenden 570 GT bis zum aktuellen Topmodell 720 S – haben alle eines gemein: Ihr brachialer Vortrieb wurde stets von einem V8-Biturbo generiert.

Umso grösser meine Skepsis, ob der neue Artura bei diesem Leistungsfeuerwerk mithalten kann. Statt des V8 sorgt bei ihm ein komplett neu konstruierter V6 für Dampf – unterstützt von einem Elektromotor. Selbst Formel-1-Seriensieger können sich den strengen EU-Abgaswerten nicht verschliessen. Der ultrakompakte Dreiliter-Benziner schaufelt bis zu 585 PS an die Hinterachse. Hinzu kommt der im Getriebe untergebrachte E-Motor mit weiteren 95 PS. Insgesamt stehen 680 PS und 720 Nm maximales Drehmoment im Datenblatt – demgegenüber mickrige 4,6 l/100 km Normverbrauch. Logisch gemessen auf den ersten 100 Kilometern mit voller Batterie.

Leichtigkeit des Sportlerseins

So viel zur Theorie. Doch nun steht er leibhaftig vor mir, der Artura: der Name eine Schöpfung aus den englischen Wörtern Art und Futura – Kunst und Zukunft. Optisch ist der Mittelmotor-Renner voll auf McLaren-Designlinie: kurze Front, wuchtiges Heck, dazwischen das obligate Karbon-Monocoque, das in die neue Leichtbau-Plattform integriert ist. Um jedes Gramm wurde gefeilscht: Nur knapp 1400 Kilo bringt der Supersportler auf die Waage, inklusive Batteriepaket mit 7,4 Kilowattstunden (kWh) Netto-Kapazität im Unterboden, das für knapp 30 Elektro-Kilometer sorgen soll. Selbst bei der Elektronik haben die Briten Gewicht gespart und 10 Prozent weniger Kabel verbaut.

Mit dem neuen Artura beginnt bei der britischen Supersportwagen-Schmiede McLaren eine neue Zeitrechnung.
Foto: zVg
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Hinter weit aufschwingenden Flügeltüren wartet das edle Cockpit: Leder, Alcantara, Karbon, so weit das Auge reicht. Nur der für heutige Digitalzeiten sehr klein geratene Acht-Zoll-Touchscreen wirkt irritierend. Druck auf den Startknopf – und es passiert: nichts! Denn der Hybridsportler startet immer im E-Modus. Und so rolle ich die ersten Meter flüsterleise durch die Wohnquartiere Marbellas (Spanien). Doch in den ersten Landstrassenkurven im Hinterland merke ich, dass der E-Mode nicht für reine Elektro-Performance, sondern fürs geschmeidige Gleiten über grossstädtische Boulevards bestimmt ist. Ein Griff zum Drehsteller für Antriebsstrang und Handling hinterm Sportlenkrad: Schon auf «Comfort» meldet sich der V6 in meinem Rücken mit einem Wumms zu Wort.

Die pure Präzision

Auf «Sport» stehen Antrieb und 8-Gang-Doppelkuppler unter Spannung, die Dämpfer sind geschärft. Also Gaspedal runter und rein ins Vergnügen! Der Artura schiesst los auf dem rauen Asphalt – drei Sekunden bis zur 100er-Schwelle fühlen sich wie ein Raketenstart an. Theoretisch wären 330 km/h Spitze möglich. Und da ist wieder dieses typische McLaren-Fahrgefühl. Die hydraulische Lenkung arbeitet mit purer Präzision; jede der endlosen Zahl an Kehren fühlt sich an, als ob nichts und niemand dieses Hybrid-Biest vom Kurs bringen könnte.

Aber das volle Erlebnis gibts vernünftigerweise nur auf der Rennstrecke. Kaum ein Rennsport-Resort dürfte sich dafür besser eignen als der komplexe Circuito Ascari mit seinen insgesamt 26 Kurven. Track-Modus rein und fahren, fahren, fahren: Das erstmals bei McLaren eingesetzte E-Differenzial an der Hinterachse verteilt die brachialen Antriebskräfte so geschmeidig, dass selbst ein zu früher Gas-Tritt im Kurvenausgang keinen Kontrollverlust über den fast 250'000 Franken teuren Supersportler bedeutet. Und wenn es brenzlig würde, könnte ich mich auf die serienmässigen Karbonbremsen als Rettungsanker verlassen.

Klar, der Sound kommt trotz des grandiosen Doppelturbo-Gezischels nicht ganz ans grosse V8-Drama der Vorgänger ran. Doch ich bin mir sicher: Selbst für Benzinverrückte dürfte das in Zeiten boomender E-Mobilität absolut verschmerzbar sein. Und es ist unvermeidlich – denn McLaren will bis 2025 alle Modelle elektrifizieren.

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