Rohstoffe und Elektroautos
Der Mythos von den Seltenen Erden

Seltene Erden sind in aller Munde, wenn es um Elektroautos geht. Aber sind sie wirklich selten, bald zu knapp, unersetzlich und ein Garant für Umweltschäden? Blick hat recherchiert.
Publiziert: 16.12.2023 um 17:30 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2023 um 17:36 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Sobald es um Elektromobilität geht, kommt die Diskussion irgendwann auf die Seltenen Erden. Deren Abbau verursache unfassbare Schäden, sie steckten in den E-Auto-Akkus und gingen bald zur Neige, heisst es oft. Aber was ist dran an dem Elektroauto-Mythos? Blick hat sich mit Seltenen Erden beschäftigt.

Zunächst mal heissen sie nur so, aber selten sind sie überwiegend nicht: Die 17 Elemente der «Metalle der Seltenen Erden» (der korrekte Name lautet Seltenerdmetalle) wurden einst nur in seltenen Materialien gefunden. Sie sind aber teilweise so häufig wie Kupfer. 2020 wurden 240'000 Tonnen gefördert. Bekannte Reserven: 120 Millionen Tonnen. Grössere Reserven werden etwa auf Grönland vermutet. Die allergrössten der bekannten Lagerstätten hat China. Auch Australien oder Brasilien, Indien oder Russland, die USA oder Vietnam haben noch nennenswerte Vorkommen.

Katalysator und Elektromotor

Seltene Erden stecken in Plasma-Fernsehern und Röntgengeräten, Festplatten und Kopfhörern, Leuchtstoffröhren und LED-Lampen und, und, und. Übrigens auch in Katalysatoren und Russfiltern in Verbrenner-Autos. Und im E-Auto? Da stecken sie nicht, wie gerne angenommen, im Akku. Jedoch im Elektromotor.

China dominiert den Abbau Seltener Erden auf der Welt – auch weil Umweltverschmutzung Dumpingpreise möglich macht.
Foto: imago images / Xinhua
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Wichtigste Seltene Erde aus Autobauer-Sicht ist Neodym für starke Dauermagnete im E-Motor. Neodym steckt auch in Festplatten, Lautsprechern, Windkraft-Anlagen – und Smartphones. Je Smartphone sind es etwa 0,4 Gramm, je Elektroauto-Motor bis zu drei Kilo. Falls der Autohersteller nicht verzichtet, was bei hoher Nachfrage und schwankendem Preis (z.Z. ca. 90 Fr./kg) derzeit der Trend ist.

Zynisches Spiel am Markt

Die Preise schwanken, weil China pokert. Als Land der grössten Reserven an Seltenen Erden hatte China erst Dumping betrieben und andere Länder aus dem Geschäft gedrückt. Als Quasi-Monopolist drückte China die Preise für Neodym auf 230 Franken hoch und drohte bei Handelsstreitigkeiten gerne mit einer Verknappung. Ironie des zynischen Spiels: So lohnte sich der Neodym-Abbau für andere wieder. Der Preis fiel und dürfte sich nun laut Experten auf hohem Niveau stabilisieren. Chinas Neodym-Anteil heute: über 80 Prozent.

Aber eben: Es geht auch ohne. Beispiele: BMWs iX3 nutzt weder Neodym noch andere Seltene Erden. Auch i4 oder iX, Renault Zoe oder Nissan Ariya oder Frontmotoren in VWs 4x4-ID sowie diverse andere Modelle kommen ohne Neodym aus. Permanenterregte Motoren (mit Neodym) haben Effizienzvorteile. Fremderregte (ohne Neodym) «segeln» besser. Der Verzicht liegt vor allem an Preis- und Versorgungssicherheit und vor allem an Ökologie-Image-Gründen.

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In China leidet die Umwelt

Denn China hat seine Stellung als grösster Seltene-Erden-Lieferant zulasten der Umwelt und der Menschen ausgebaut: Während in westlichen Ländern strenge Auflagen gelten, sind in China Unmengen, teils sogar radioaktive Giftschlämme, in der freien Natur gelandet (China hat Besserung gelobt, aber wie gut die neuen Auflagen eingehalten werden, gilt als ungewiss). Von den Arbeitsbedingungen im chinesischen Bergbau hier mal ganz zu schweigen.

Beim Smartphone-Kauf interessiert das niemanden, aber E-Autos stehen dafür im Fokus. Deshalb setzen die Hersteller wie beim Lithium (auch interessant: 7 Fragen und Antworten zum weissen Gold) oder Kobalt (die keine Seltenen Erden sind) der Akkus darauf, dass Lieferketten ökologisch und sozial vertretbar werden, suchen Alternativen – und forschen am Recycling. Jenes funktioniert: Rezykliert sind Neodym-Magnete 96 Prozent so gut wie neue.

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