Experten halten Induktivladen während der Fahrt für unrealistisch
Elektrifizierter Irrweg

Bei Visionen für die Elektromobilität sind elektrifizierte Strassen, die induktives Laden während der Fahrt ermöglichen, immer wieder ein Thema. Zwei Autoexperten sagen jetzt aber, dass die technischen und bürokratischen Hürden dafür zu hoch sind.
Publiziert: 12.04.2023 um 05:16 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2023 um 10:16 Uhr
Andreas Engel und Wolfgang Gomoll

Das Elektroauto beim Fahren kontaktlos aufladen, statt lange an der Ladesäule zu warten – das klingt verlockend. Das sogenannte Induktivladen hätte noch weitere positive Effekte: Zum einen könnten die Batterien der E-Autos bis zu 70 Prozent kompakter dimensioniert werden. Zum anderen würde das Stromnetz weniger stark belastet, weil die meisten Nutzerinnen und Nutzer ihr Auto nicht mehr nach Feierabend und in der Nacht aufladen würden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technische Hochschule Chalmers in Schweden. «Wenn man die Elektroautos gleichmässiger über den Tag verteilt auflädt, würde die Spitzenlast deutlich reduziert», erklärt Sten Karlsson, einer der Autoren der Studie. So würden Kosten und Rohstoffe gespart und zugleich die Reichweitenangst der Vergangenheit angehören.

Laut der Untersuchung, die sich auf Daten und Fahrgewohnheiten von mehr als 400 Autos und ihren Besitzern stützt, müssten lediglich die europäischen und nationalen Hauptverkehrsachsen mit Technik für kabelloses Laden ausgerüstet werden. «Technisch ist induktives Laden von E-Autos keine Science-Fiction mehr – zumindest, wenn das Fahrzeug steht. Leistungen von bis zu 200 Kilowatt (kW) werden bei Bussen in Deutschland bereits erprobt», erklärt Philipp Seidel, Autoexperte der Strategieberatung Arthur D. Little.

Aufbau dauert Jahrzehnte

Und auch Projekte mit elektrifizierten Strassen, etwa das Electric Road System ERS des israelischen Start-ups Electreon, laufen in mehreren Ländern wie Frankreich, Israel und Schweden bereits. In Bayern soll das kontaktlose Laden dank dem ERS auf einer ein Kilometer langen Teststrecke ab 2025 möglich sein. Kosten für das Teilstück: knapp acht Millionen Franken. Wegen der aktuell noch gewaltigen Investitionen ist bei den meisten Projekten nur eine Fahrspur vorgesehen. Doch auch weitere Faktoren könnten dem Erfolg im Wege stehen. «Der Aufbau einer flächendeckenden Versorgung würde Jahrzehnte dauern», gibt sich Philipp Seidel skeptisch. Wenn man sich vor Augen halte, wie schwer sich ein Land wie Deutschland damit tue, eine ausreichend dichte Infrastruktur mit klassischen Ladesäulen aufzubauen, könne man sich selber ausmalen, wie das Ganze aussieht, wenn man Strassen grossflächig elektrifizieren wolle.

Statt lange an der Ladestation zu stehen, könnten E-Autos künftig während der Fahrt induktiv über Spulen in der Fahrbahn geladen werden. Die Lösung klingt verlockend und hätte durchaus Vorteile.
Foto: Ingo Barenschee
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Dennoch forschen auch Branchengiganten wie Stellantis an der Technik. Auf einem Testgelände in Norditalien haben Experten einen Kilometer Strasse elektrifiziert und erproben das induktive Laden mit einem Fiat 500e und einem Iveco Elektro-Bus. Gerade für die Logistikbranche wäre die Technik ein Segen. Die Techniker setzen auf Gleichstrom (DC) ohne Wandlungsverluste und auf Aluminiumschleifen, die günstiger sind als Kupferkabel, und haben so laut eigener Aussage Ladeleistungen von bis zu 70 kW erreicht. Dies wäre ein echter Meilenstein: Die bisher entwickelten Induktivladesysteme erlauben nur einen geringen Spielraum bei der Distanz von Ladespule zu Empfänger. Selbst bei statischen Vorrichtungen ist bisher eine sehr genaue Ausrichtung nötig – bei Geschwindigkeiten jenseits der 100 km/h ist die Herausforderung für die Ingenieure folglich noch grösser.

Zu teuer, zu ineffizient

«Die Idee, E-Autos beim Fahren zu laden, halte ich für wenig zielführend. Bislang gibt es nur wenige prototypische Feldversuche. Und diese offenbaren bereits gravierende Schwächen», erläutert Andreas Radics, Managing Director beim Beratungsunternehmen Berylls. «Da wäre nur schon der Wirkungsgrad: Er liegt in den Feldversuchen bei rund 85 Prozent. Das ist zu niedrig, um von einer effizienten Ladetechnologie zu sprechen.»

Dem pflichtet Experte Seidel bei und ergänzt: «E-Auto-Hersteller und Zulieferer tun sich seit Jahren schwer, effiziente Induktiv-Ladelösungen für stationäres Laden zu attraktiven Konditionen auf den Markt zu bringen.» So hatte Audi 2017 für den E-Tron und die Plug-in-Version des A8 ein solches System angekündigt, das Projekt 2019 wieder begraben: zu teuer und zu wenig Kundennachfrage. BMW bot für den neuen 530e ab 2018 sogar eine Bodenplatte für induktives Laden für Privatkunden an – die Lösung ist heute nicht mehr im Angebot.

Das Problem mit der Norm

Und selbst wenn die Technik einst effizient genug und die Kosten für den Strassenbau bezahlbar wären, ergeben sich weitere Probleme: Die Fahrzeuge müssten zusätzliche Technik und Hardware wie Metallschleifen mit sich herumschleppen. Neben den technischen Herausforderungen wie der platzsparenden Unterbringung im Unterboden macht das die Vehikel teurer, was wiederum den finanziellen Vorteil der kleineren Batterien auffrisst. Zudem steht die Frage der Norm, also der Kompatibilität der jeweiligen Lösungen, im Raum. Denn nur, wenn diese Form des induktiven Ladens möglichst europaweit über alle Automarken hinweg funktioniert, hat die Technik eine Zukunft.

Wie schwer das umzusetzen ist, hat schon die Suche nach einem EU-genormten Handyladekabel gezeigt. Und das ist technisch eine Kleinigkeit gegenüber grossflächig verbauten, induktiven Ladeschleifen. Andreas Radics resümiert: «Aus meiner Sicht sind schnellladefähige E-Fahrzeuge und High-Power-Charger entlang der Fernstrassen die schneller umsetzbare und kostengünstigere Lösung, um E-Mobilität wirklich langstreckentauglich zu machen.»

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