Mercedes EQC
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Der E-Boom bleibt bislang aus
Retten SUVs die Elektromobilität?

Fast jede Marke bietet mittlerweile ein E-Auto, doch kaufen will die Stromer noch kaum jemand. Neue, günstigere Modelle sollen es richten – vor allem, weil sie zunehmend im boomenden SUV-Segment starten. Der Gewinner könnte am Ende ein alter E-Bekannter werden: Tesla.
Publiziert: 19.07.2020 um 04:42 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2021 um 01:55 Uhr
Andreas Engel

So richtig in Fahrt will die Elektromobilität einfach nicht kommen. Ein gutes Beispiel ist das Autoland Deutschland: Vor Jahren gab die Regierung das Ziel aus, 2020 eine Million Elektroautos auf der Strasse zu haben. Die Realität: Bis zum Oktober 2019 wurden dort lediglich 284'000 E-Mobile zugelassen.

Auch bei uns in der Schweiz stockt es: Im Jahr 2018 waren 1,8 Prozent aller neuen Autos rein elektrisch angetrieben – in nackten Zahlen also von knapp 300'000 Neuwagen lediglich etwas mehr als 5000. Letztes Jahr stieg der Anteil dann aber immerhin auf 4,2 Prozent bzw. über 13'000 E-Autos. Und immerhin: Der Anstieg setzt sich 2020 weiter fort.

Marktanteil keine zehn Prozent

Auch wenn die Verkäufe durch die Corona-Krise in der ganzen Branche stark eingebrochen sind, wurden 2020 mit rund 5700 E-Fahrzeugen mehr Stromer verkauft als im ganzen Jahr 2018. Der Marktanteil liegt momentan bei 5,5 Prozent. Zählt man Plug-in-Hybride (Verbrenner und E-Motor, aufladbare Batterie) dazu, die dieses Jahr erstmals separat in der Statistik geführt werden, kommen alle «Steckerfahrzeuge» auf einen Marktanteil von 9,8 Prozent.

Mercedes folgte nach Jaguar und Audi mit dem EQC in der Liga der Edel-Elektro-SUVs.
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Das hört sich erst einmal nicht schlecht an – immerhin hat die gewichtige Importeursvereinigung Auto-Schweiz als Ziel für 2020 zehn Prozent strombetriebener Fahrzeuge ausgegeben. Bedenkt man allerdings, wie viel Aufwand die Autobauer in Entwicklung, Produktion und Werbung stecken, scheint auch das nicht sonderlich berauschend.

Nach Nissan kam Tesla

Woran liegts? Blicken wir zehn Jahre zurück: Nissan aus Japan brachte mit dem Leaf 2010 das erste quasi «normale» Elektroauto auf den Markt, im Golf-Format mit Alltags-Reichweiten von je nach Witterung rund 150 Kilometern. Zuvor waren nur Kleinstmobile (z.B. Mitsubishi i-MiEV) oder Exoten (z.B. Tesla Roadster) in kleinster Stückzahl elektrisch.

Doch 2012 folgte dann Renault mit dem Kleinwagen Zoe, BMW mit dem unkonventionellen i3 und – und der Game Changer schlechthin, das Tesla Model S. Die Edellimousine aus den USA machte E-Mobilität plötzlich sexy, und den etablierten Autobauern verging nach anfänglicher Häme schnell das Lachen. Das Model S war zwar zu teuer für die Massen, und das Know-how des E-Pioniers noch beschränkt. Dennoch sprachen plötzlich alle von Teslas E-Autos.

Grosse mit Rückstand

Nun fingen auch die grossen Player mit der Entwicklung eigener, massentauglicher Modelle an. Doch während die Pioniere erste Erfolge verbuchten (der Nissan Leaf etwa war mit bis heute 500'000 Stück jahrelang das meistverkaufte E-Auto der Welt und wurde erst 2018 vom Tesla Model 3 abgelöst), mussten sich Kunden von Marken wie Mercedes oder VW lange Zeit gedulden.

Seit letztem Jahr hat Audi den Oberklasse-SUV E-Tron als erstes E-Mobil. Schon zuvor brachte Jaguar den Crossover I-Pace. Kurze Zeit darauf folgte Mercedes mit einem Premium-SUV, dem EQC. Was alle gemein haben? Die Nachfrage ist bei weitem nicht so gross wie erhofft. Die Edel-Stromer kosten schlicht zu viel – meist über 80'000 Franken. Und während manch Tesla mit Reichweiten von teils 600 Kilometern vorfährt, reichts bei der Konkurrenz meist nur für 400. Und auch an die – je nach Modell – kanonenkugelartige Beschleunigung der Teslas kam fast kein Hersteller ran.

Nissan mit 500 Kilometer

Um ein breites Publikum zu erreichen, braucht es mehr und vor allem günstigere Modelle. Und da die Käuferinnen und Käufer momentan sowieso fast nur auf SUVs abfahren, könnten günstigere E-SUV die Lösung sein. Wie der bereits erhältliche Hyundai Kona Electric etwa. Oder neu der schicke Crossover Ariya, den Nissan diese Woche enthüllt hat: ein 4,60 Meter langer Elektro-SUV mit variabler Plattform, welche nicht nur Leistungen von 160 bis 290 kW (218 bis 394 PS) und Heck- oder Allradantrieb ermöglicht, sondern auch Reichweiten von 340 bis 500 Kilometern – die 500 ist die Schallmauer der E-Mobilität. Startet der Ariya im Sommer 2021, könnte er ab rund 45'000 Franken lossummen.

Ebenfalls Ende der vergangenen Woche hat BMW seinen SUV-Bestseller X3 als elektrischen iX3 enthüllt. Doch wie die Edel-Konkurrenten dürfte der E-SUV zu teuer für die Massen sein: Ab 77'600 Franken gibts zwar 460 Kilometer Reichweite, aber weniger Leistung (286 PS) und nur Heckantrieb. Der schon im Herbst losstromernde Mazda MX-30 – das erste reine E-Auto der Japaner – ist günstiger (ab 36'990 Fr.), stellt aber deutlich weniger E-Power parat (145 PS) und kommt nur 200 WLTP-Kilometer weit – kein Auto für längere Distanzen. Interessanter ist da der ähnlich grosse, 4,36 Meter lange Citroën C4, den es ab Ende Jahr auch als Elektrovariante e-C4 mit rund 350 Kilometer Reichweite gibt.

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Lacht am Ende Tesla?

Einen Boom soll die E-Mobilität mit dem Start des ersten «Volksstromers» erleben – so wird der im Herbst startende VW ID.3 schon jetzt genannt. Je nach Antrieb schafft der Golf-grosse ID.3 330 bis 550 Kilometer und soll ab rund 32'000 Franken starten. Im trendigen SUV-Segment freilich liegt er nicht, erst 2021 folgt mit dem ID.4 dann auch das preislich ähnliche SUV-Pendant. Und Tesla? Ist heute mit 100 Milliarden US-Dollar mehr wert als VW, Daimler und BMW zusammen und hat in den USA soeben das Model Y lanciert. 2021 soll es ab rund 50'000 Franken auch in Europa starten. Die Erfolgschancen? Voraussichtlich enorm – denn das Model Y ist schliesslich so ein trendiger Kompakt-SUV.

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