Markttrends
Der Automatik-Versuch

Publiziert: 13.02.2008 um 05:51 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:31 Uhr
Von Rainer Klose*
Hakelige Getriebe, zickige Vergaser? Das ist nichts für die Generation Playstation! Die Motorradindustrie wagt den Sprung in die Zukunft: Automatik-Motorräder sollen jungen Einsteigern Fahrspass ohne Reue bieten. Mal schauen, ob das klappt.

Wie viele Biker meiner Altersklasse erinnere ich mich mit Schaudern an meine Fahrschulmaschine vor 23 Jahren: eine ausgeleierte, verblichen rote BMW R 65 LS – die berühmte Gummikuh. Ihr Getriebe hätte jedem Militärlastwagen zur Ehre gereicht: Ohne Zwischengas ging gar nichts, wenn sie kalt und müde war. Nicht mit Geduld und nicht mit Gewalt. Ein paar Kilometer lang folgte eine Phase ohne Zicken. Dann, wenn die Mühle warm gefahren war, rutschten die Gänge bei der kleinsten Berührung schon rein und raus. Die BMW, dreimal so schwer wie ich, war mir eine gute Lehrerin: Als ich sie an kalten Herbsttagen auf nassem Kopfsteinpflaster im Griff hatte, wuchs das Vertrauen in meine Fahrkunst.

Es ist leichter geworden, heutzutage. Als 70-Kilo-Mensch gelingt es mir spielend, eine Triumph Rocket III durch den Stadtverkehr zu zirkeln – ihrem sanften Getriebe sei Dank.

So viel Schaltkomfort mag für die allermeisten Biker reichen. Doch wie wärs mit Komfort ganz ohne Schalten? Die Motorradindustrie will es wagen. Schliesslich kommt neben vielen älteren Wiedereinsteigern auch die Generation Playstation auf uns zu – Leute, die geniessen möchten, ohne Lehrjahre zu absolvieren. Zugleich aber sind sie echte Motorradfans, denen man nicht so leicht einen braven Roller andrehen kann.

Die Industrie löst das Problem, indem sie die feine Trennlinie zwischen Roller und Motorrad einfach mal wegradiert. Probehalber. Nirgendwo ist das deutlicher zu sehen als bei Aprilia und Gilera: Die beiden Marken gehören gemeinsam zum Piaggio-Konzern. Nach dem Motto «Getrennt marschieren – vereint schlagen» nehmen zwei Modelle das neue Segment in den Zangengriff: die Aprilia Mana und der Roller Gilera GP 800. In beiden steckt der gleiche 839 cm3 grosse V2-Motor mit stattlichen 75 PS und stufenlosem Getriebe. Der Gilera GP 800 schafft damit 200 km/h Spitze und avanciert zum schnellsten Roller aller Zeiten. Die Aprilia Mana dagegen tritt im Gewand eines sportlichen Naked Bikes auf. Kein Nachbar würde auf Anhieb bemerken, dass ihr stolzer Besitzer nicht schalten mag. Und doch bietet die Mana unbestreitbare Vorteile im Stop-and-Go-Verkehr und bewahrt auf Landstrassen den Fahrspass eines Motorrads. Das stufenlose Getriebe verfügt über sieben elektrisch wählbare Gangstufen und lässt sich auch ganz konventionell per Fussschaltung bedienen. Die Aprilia Mana ist schon jetzt zu haben. Wie gut sie für 14 490 Franken ist, wird sich bald zeigen. Der Gilera GP 800 kostet übrigens fünf Franken mehr. Wer die Wahl hat, hat die Qual…

Honda zielt mit seinem Automatik-Modell HONDA DN-01 genau in die Mitte zwischen die beiden Verwandten aus dem Piaggio-Konzern. Die dynamisch gezeichnete Honda DN-01 sieht durch ihre elegant gepfeilte Lenkerverkleidung wie ein futuristischer Sport-Tourer aus. Dennoch sitzen Fahrer und Sozius aufrecht und können wie bei grossen Cruisern sogar Fussstützen geniessen. Die Kraft wird mittels Öldruck vom Motor aufs Hinterrad übertragen und von einem ausgefeilten Regulierventil dosiert. Ab Mitte Mai steht DN-01 für 17 990 Franken bei den Händlern.

Ob die drei Automatik-Bikes als Meilensteine oder als kuriose Fussnoten in die Motorrad-Geschichte eingehen, steht noch in den Sternen. Die Saison 2008 wird ihr Schicksal mitentscheiden. Wir werden Zeugen eines spannenden Versuchs!

*Rainer Klose ist Motorrad-Redaktor beim Pressebüro Bärtschi Media AG und verantwortlich für diese Ausgabe



Fehler gefunden? Jetzt melden