In 16 Tagen und 12 Stunden um die Welt
Trotz Fehlstart zum Weltrekord

Wahnsinn! Mit dem Töff fuhr der Zürcher Urs Pedraita (49) in gut 16 Tagen die 24'741 Kilometer lange Strecke um die Welt. Damit pulverisiert er den bisherigen Weltrekord um drei Tage.
Publiziert: 15.09.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:59 Uhr
Pedraita machte die Bilder mit seiner GoPro-Kamera.
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Von Raoul Schwinnen

«Vermutlich habe ich schon einen an der Waffel», gesteht Urs Pedraita alias Grisu Grizzly grinsend. Der Töff-Abenteurer fuhr Anfang Jahr als erster Mensch während 37 Tagen alleine mit dem Motorrad 15'000 Kilometer quer durch den sibirischen Winter – bei Temperaturen von bis zu minus 38 Grad. Doch dieser verwegene Ritt von Bern nach Wladiwostok war erst der Appetizer für die ganz grosse Herausforderung. Mit dem Töff in weniger als 19 Tagen um die Welt – über 24'000 Kilometer weit auf dem Landweg. Ein Weltrekord, der bislang vom Briten Nick Sanders gehalten wurde.

Kaum zurück aus Sibirien, begann Grizzly mit den logistischen Vorbereitungen für die Weltumrundung. Schnell stand fest, dass er das Vorhaben nicht alleine, sondern mit seinem Kollegen Jürg Knapp alias Bulldog, durchziehen möchte – wieder auf der Victory Cross Country, die sich schon in Sibirien bewährte. Bald waren die Route (siehe Bild) festgelegt (und wegen den Kriegswirren in der Ukraine leicht angepasst), die nötigen Impfungen gemacht, die Visa eingeholt und die Zollpapiere vorbereitet. Am 3. August startete das Abenteuer auf dem Berner Bundesplatz.

Bereits auf der ersten Etappe, kurz vor Berlin, das Unglück: Pedraitas Partner Jürg Knapp stürzte auf der Autobahn und musste mittelschwerverletzt mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden. Pedraita: «Natürlich hatten wir solche Fälle vor dem Start besprochen und abgemacht, dass wir uns gegenseitig versorgen und nur weiterfahren, wenn der Verletzte grünes Licht gibt.» Nach der Einlieferung in die Klinik, noch unter der Sauerstoffmaske, gab Knapp trotz 22 Brüchen (ohne bleibende Schäden) seinem Partner mit erhobenem Daumen zu verstehen, er soll seine Tour fortsetzen. Fortan auf sich alleine gestellt und mit achtstündiger Verspätung auf die Marschtabelle schwang sich Grizzly wieder auf den Töffsattel. «Natürlich war der Unfall ein arger Dämpfer und ich fuhr die zwei Tage danach nie schneller als 130 km/h. Auf der anderen Seite motivierte mich Bulldogs Unglück zusätzlich – jetzt erst recht, sagte ich mir.»

Doch längst hing der Erfolg des Abenteuers nur noch an einem seidenen Faden. «Ich wusste genau», erzählt Grizzly, «schaff' ich es am 12. August in Wladiwostok nicht auf die Fähre, kann ich abbrechen und nach Hause fliegen.» Erschwerend: Ab Nowosibirsk war heftiger Regen sein ständiger Begleiter. «Ich fuhr fortan praktisch Nonstop und wie in Trance – oft nur unterbrochen durch 10 - 60-minütige Powernapps (maximal 5 Tage möglich), für die ich mich trotz Regen im Helm und Kombi einfach neben meine Maschine legte. Strassenkontrollen der russischen Polizei übersah ich oft – nahmen sie dann mit ihren älteren Fahrzeugen die Verfolgung auf, verschwanden Sie innert Minuten aus meinem Rückspiegel...» Selbst rückblickend kann sich Pedraita seine auf dieser Etappe realisierte Fabelzeit (er brauchte nur 9 Tage und fuhr sich so einen vorentscheidenden Vorsprung auf die Marschtabelle heraus) kaum erklären. Auf der Fähre zwischen Russland und Süd Korea konnte Pedraita zum ersten Mal wieder duschen («Das war dringend nötig, denn mittlerweile empfand selbst ich meinen Geruch eigenartig») und richtig schlafen. Und wichtig für die Fortsetzung der Reise: Grizzly machte auf dem Schiff die Bekanntschaft mit einem koreanischen Biker. «Dieser half mir beim Verzollen und begleitete mich danach bis nach Seoul.»

Längst gab es aber einen zusätzlichen, unverzichtbaren Helfer in der Heimat. Aus seinem Büro verfolgte René Ritler von der DHL, eigentlich im Vorfeld nur für den administrativen Formularkrieg mit den Behörden angeheuert, Grizzlys Fahrt und versuchte stets im Vorfeld, mögliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. «Bald funktionierte René für mich wie ein Tower. Er liess aus der Ferne sein riesiges Netzwerk spielen und koordinierte die Einsätze der Helfer vor Ort an den Grenzen, in Häfen und an Flughäfen. Mindestens einen Tag sparte ich durch seinen unermüdlichen Einsatz ein», windet Grizzly seinem Koordinator ein Kränzchen.

Urs Pedraita kann stundenlang Anekdoten seiner Rekordfahrt erzählen: Etwa, als er bei der Ankunft in Anchorage erst sein Motorrad entkeimen musste, oder von der unglaublich herrlichen Natur in Alaska, als er fernab jeglicher Zivilisation die Strasse nur noch mit Bären, Rentieren und Bisons teilte. Oder als ihn an der mexikanischen Grenze plötzlich eine dunkle Limousine mit drei finster dreinblickenden Gestalten stoppte – sich die Jungs aber zum Glück als ein von René Ritler von zu Hause organisiertes Sicherheitsteam entpuppte, und ihn flott und sicher durch Mexiko und die vielen Militär- und Polizeikontrollen lotste. Oder als er sich in einem Schlagloch die Bremse und Vordergabel zerstörte und danach 2000 Kilometer ohne Vorderbremse bis zum nächsten Victory-Stützpunkt in Denver schleppte.

Zwei Weltrekorde in einem Jahr, dabei auf dem Töff einmal um die Welt – was gibts da noch für Herausforderungen? Grisu Grizzly erzählt lachend: «Den Weltrekord von Nick Sanders – in 120 Tagen 55'000 Meilen durch fünf Kontinente. Ich möchte deutlich über 60'000 Meilen durch sieben Kontinente und in weniger als 120 Tagen fahren.» Dann sei aber Schluss, und er werde sein Buchprojekt in Angriff nehmen. Wir bleiben dran...

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