Umwelt-Mythos im Fakten-Check
Die Lüge vom dreckigen Schiff

Ein Kreuzfahrtschiff ist dreckig wie fünf Millionen Autos? Der Fakten-Check zeigt: Im Mythos steckt wenig Wahrheit. Zwar sind Schiffe Umweltsünder. Aber Vergleiche mit Autos hinken: Sie sind zu oft zu stark vereinfacht – und Autos auch keine Engel.
Publiziert: 05.09.2023 um 16:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2023 um 13:59 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Überschwemmungen, Stürme, Gluthitzen – der Klimawandel und seine Folgen sind auch in diesem Sommer rund um den Globus zu spüren. Immer wieder am Klimapranger: Frachter, Tanker und Kreuzfahrtschiffe, die sich im Netz häufig dem Vergleich mit Autos stellen müssen. «Die 15 grössten Luxusliner pusten mehr Dreck in die Luft als alle Autos der Welt», heisst es. Oder: «Eine Kreuzfahrt stinkt wie fünf Millionen Autos!». Gepostet wird das jedoch meistens gar nicht, um die Schifffahrt zu be-, sondern die Autos zu entlasten. Aber kann man das mit so einem Vergleich? Blick hat recherchiert.

Nehmen wir mal eine Studie, die in den sozialen Medien im Stil von «47 grosse Kreuzfahrtschiffe sind dreckiger als die 260 Millionen Autos Europas» verbreitet wurde. Schaut man diese Studie von «Transport and Environment» mal an, wird klar: Hier geht es nicht um CO₂ oder Stickoxide, sondern um Schwefeldioxid. Dass Schiffe dies mehr ausstossen, ist logisch: Sie verbrauchen verschwefeltes Schweröl, Autos schwefelfreien Sprit, der einst wegen «Saurem Regen» eingeführt wurde, um das Waldsterben zu mildern. Damit stolpert der Vergleich über sich selbst.

Meist ist es das Schwefeldioxid

Das spricht Schiffe keineswegs frei: Deren Emissionen sind immens, gerade beim Schwefeldioxid. Aber Vergleiche mit absoluten Zahlen und nur einem Schadstoff müssen hinken und sind ungeeignet, um etwa gegen E-Mobilität zu schiessen. In die Vergleichs-Falle trat auch der Naturschutzbund von Deutschland (Nabu). Das populäre «Die 15 grössten Schiffe verpesten die Luft wie alle 760 Millionen Autos der Welt» im Web geht auf eine Nabu-Aussage zurück. Laut deutscher «Zeit» ging es ebenfalls wieder nur um Schwefeldioxid. Und sei der Vergleich schon 2012 falsch gewesen, weil die Zahl der Autos 250 Millionen zu tief gewesen sei.

Feindbild: Ozenriesen wie die «Harmony of the Seas» stehen im Ruf, die Umwelt zu verpesten. Das stimmt.
Foto: REUTERS
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Ein weiterer Nabu-Vergleich lautete: «Ein Ozeanriese stösst auf einer Kreuzfahrt Schadstoffe aus wie fünf Millionen Autos auf gleicher Strecke.» Die «Zeit» hat die Zahlenmaterialien analysiert: Der Nabu habe in Zeit- statt Entfernungseinheiten gerechnet. Rechne man korrekt in Personenkilometern, komme ein anderer Wert heraus: Statt «wie 5 Millionen Autos» müsse es «wie knapp 100 Autos» heissen. Schlimm genug – aber ganz andere Relationen als auf Social Media verbreitet.

Frachter sind sparsamer als Autos

Denn vergleichbar wären Schiffe erst mit Autos, wenn man die Transportleistung berücksichtigt. Ein Kreuzfahrt-Riese wie die «Harmony of the Seas» legt mit 8700 Menschen an Bord 1000 Kilometer am Tag zurück, ein Auto mit statistisch 1,2 Personen im Durchschnitt 36 Kilometer. Anders gesagt: Das Schiff erbringt die Transportleistung von 200'000 Autos. Berechnen wir mal den Verbrauch. Die «Harmony of the Seas» konsumiert 330'000 Liter pro Tag. Rechnet man auf 1,2 Personen um, sind das 4,6 l pro 100 km. Wie ein Kompaktdiesel also.

Noch deutlicher wird es bei einem Container-Riesen der 20'000-TEU-Klasse (wie die 2020 im Suezkanal stecken gebliebene «Ever Given»). Die «MSC Oscar» etwa fasst 20'000 TEU (1 TEU entspricht einem 20-Fuss-Container). In 24 Stunden braucht sie 280'000 Liter für 1000 Kilometer. Auf den Container umgerechnet sind das 1,4 l pro 100 km. Ein LKW fasst bis zu zwei TEU bei 28 l pro 100 km. AUf einen Container umgerechnet also 14 l pro 100 km – das Zehnfache!

Schiffe wurden zu lange geschont

Ja, Schiffe sind Umweltsünder, gerade bei Schwefeldioxid und Feinstaub – da gibt es nichts zu beschönigen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Dass die Schifffahrt lange geschont wurde, liegt daran, dass sie schwierig zu regulieren ist: Unser Auto kann nicht in Panama zugelassen werden und in Indonesien tanken – aber ein Frachter schon. Umweltschutz kostet Geld, aber wenige Kunden sind bereit, für eine elektrische Zahnbürste aus China mehr zu bezahlen, damit Frachter ökologischer sind, oder auf ihre Kreuzfahrt zu verzichten. Aber: Pro Transportleistung gerechnet liegen Schiffe im Verhältnis besser, als die deftigen Schlagzeilen mit absoluten Zahlen vorgeben – gerade beim Klimasünder CO₂. Anders gesagt: Schiffe haben ein Umweltproblem, aber die Autos kann man mit solchen Vergleichen nicht entlasten.

Immerhin tut sich endlich auch in der Schifffahrt was: So wurde Schwefelgehalt im Schweröl 2020 auf Drängen der EU weltweit von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt. Noch weit über unserem Autodiesel (0,001 Prozent), aber wenigstens ein Start. In der Nord- und Ostsee sowie in vielen Häfen ist jetzt endlich Abgasreinigung gegen Stickoxide Pflicht. Aber so sehr sich das ganze Problem durch den Kreuzfahrt-Boom und globalen Handel verschärft hat, so sehr bleiben Autos insgesamt die gröberen Übeltäter. Von CO₂-Emissionen im Transportbereich stammen global je nach Studie 10 bis 15 Prozent vom Flugzeug, 1 bis 2 Prozent von der Bahn, 10 bis 15 Prozent von Schiffen. Aber 70 bis 80 Prozent von Autos und Lastwagen.

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