Sie wollen die Szene weiblicher machen
Die Lowrider-Ladys mischen L. A. auf

In der durch Gangsta-Rap und Testosteron geprägten US-Lowrider-Szene sind Frauen die Ausnahme. Das wollen Sandy Avila und ihre 16 Mitstreiterinnen vom Lady Lowriders Car Club Los Angeles ändern: Mit eigenen Kreationen wollen sie die Strassen weiblicher machen.
Publiziert: 28.06.2024 um 18:15 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2024 um 18:16 Uhr
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Andreas EngelRedaktor Auto & Mobilität

Im US-Hip-Hop sind Lowrider allgegenwärtig. Schon Gangsta-Rap-Legende Eazy-E (1964–1995) cruiste im gleichnamigen Song in seinem Chevrolet Impala 64 zu wummernden Bässen durch das berüchtigte Problemviertel Compton in Los Angeles und liess auf Knopfdruck die gepimpte Karosse über den Asphalt hüpfen. Bei den technisch aufwendig modifizierten Oldtimern – Limousinen und Cabrios, zumeist von Chevrolet oder Cadillac – kann jede Radaufhängung dank elektrischen Hydraulik- oder Pneumatikpumpen einzeln angesteuert werden. An Wettbewerben treten die Lowrider damit gegeneinander an: Wessen Auto höher «bounct», gewinnt.

Die Subkultur der Lowrider entstand im L. A. der späten 1940er-Jahre als Ausdruck von Identität und Kreativität in den mexikanisch geprägten Gemeinden der US-Westküste – legal ist das Cruisen in den rollenden Kunstwerken in Kalifornien offiziell aber erst seit Anfang 2024. In der männlich dominierten Szene sind Frauen bislang die Ausnahme. Das hielt Sandy Avila (40) aber nicht davon ab, ihren eigenen Lowrider auf die glanzpolierten Räder zu stellen.

Kaum weibliche Clubs

«Ich wollte nicht nur auf dem Beifahrersitz neben meinem Mann sitzen, sondern selbst hinter dem Steuer Platz nehmen.» Die Mutter von vier Kindern ist mittlerweile nicht nur stolze Besitzerin ihres eigenen, in jahrelanger Detailarbeit restaurierten Oldtimers. Avila gründete 2021 auch einen der wenigen weiblichen Klubs: den Lady Lowriders Car Club. «Früher waren wir nur die Ehefrauen, die Kinder für die Shows anzogen und beim Reinigen der Autos halfen. Ich wollte deshalb auch ein Statement für Gleichberechtigung setzen.»

In der männlich dominierten Lowrider-Szene von Los Angeles sind Frauen bislang die Ausnahme. Sandy Avila (40) gründete vor drei Jahren einen der wenigen weiblichen Klubs: den Lady Lowriders Car Club.
Foto: Mario Heller
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16 Lowrider-Ladys konnte Sandy Avila bisher um sich scharen. Jedes Wochenende rollen sie ihre einzigartigen Autokreationen aus den Garagen, cruisen gemächlich über die belebten Boulevards der US-Metropole und treffen sich an einem der zahlreichen Lowrider-Events, wo sie sich beim BBQ über ihre Leidenschaft austauschen. Wie viele andere Klubs engagieren sich auch die Lady Lowriders in der Gemeinschaft: «Wir sammeln Essen für Obdachlose und Spielzeug für Kinder. Es geht um Familie, Zusammenhalt und darum, etwas zurückzugeben.» Sandy Avila und drei weitere Frauen aus dem Lady Lowriders Club wollen wir nachfolgend in einem Kurzporträt genauer vorstellen:

Sandy Avila (40)

Foto: Mario Heller

Als Sandy anfing, ihren Mann im Lowrider zu Events zu begleiten, wurde ihr schnell klar: «Ich möchte selber fahren, ich will meinen eigenen Lowrider!» Zunächst sei sie über die Reaktionen in der Szene besorgt gewesen: «Ich wusste nicht: Werden sie mich lieben? Werden sie mich hassen? Werden sie sagen, ich soll abhauen?» Doch die Resonanz war überwiegend positiv. Die Mutter von vier Kindern wollte einen Safe Space speziell für Frauen in der Lowrider-Community. Im Jahr 2021 gründete sie den Lady Lowriders Car Club. «Für viele Männer war es bis vor kurzem noch sehr schwer, uns Frauen zu akzeptieren. Sie erwarteten, dass alle Autos den Männern gehören.» Der Klub sei für sie mehr als nur eine Gruppe von Auto-Liebhaberinnen: «Wir sind wie Schwestern, vereint in unserer Leidenschaft und dem Streben nach Gleichberechtigung.»

Tina Blankenship-Early (56)

Foto: Mario Heller

Als erste Frau überhaupt wurde Tina Blankenship-Early in der National Lowrider Hall of Fame aufgenommen. Ihre Leidenschaft für Autos begann in der Garage des Vaters ihres besten Freundes im südlichen Teil von L. A. «Ich hatte immer den Traum, einen eigenen Lowrider zu besitzen. Ich bin in Watts aufgewachsen, umgeben von diesen beeindruckenden Autos.» Ihr berühmtester Wagen, ein 1966er Chevrolet Caprice, war einst nur ein leeres Chassis, das sie gemeinsam mit ihrem Mann restaurierte. «Als ich fast fertig war, sagte ein Klubmitglied: ‹Wow! Dein Auto killt das Game. Du solltest es ‹Game Killa› taufen.›» Das Auto tauchte schon in vielen Musikvideos auf und feierte einen grossen Auftritt im Film «Straight Outta Compton» über die berühmte Rapcrew N. W. A. Für Tina sind Lowrider mehr als nur Fahrzeuge: «Das Design, die Formen: Für mich sind Lowrider Kunstwerke auf Rädern.»

Chrystal Dominguez (39)

Foto: Mario Heller

Bereits als Kind blätterte Crystal Dominguez stundenlang in Lowrider-Magazinen, die ihre zwei älteren Brüder herumliegen liessen. Später besassen die Brüder eigene Lowrider. «Das inspirierte mich sehr.» Als vor zwei Jahren einer der Brüder an einer Heroinüberdosis starb, fasste Dominguez den Entschluss, ihren eigenen Wagen aufzubauen – als Erinnerung an ihn. «Seither ist mein Lowrider eine Art Therapie. Wenn ich damit herumfahre, bin ich überglücklich und vergesse alles um mich herum. Ich liebe es, an Events zu gehen und mit anderen Frauen über die Autos zu reden.» Momentan befindet sich Crystal noch in der Probezeit des Klubs. «Während sechs Monaten muss ich den anderen Frauen gegenüber mein Commitment beweisen.» Das Hobby koste viel Zeit und Geld, aber für sie sei es jeden Cent wert. «Lowriding ist ein Lifestyle, den man einfach lieben muss.»

Mary Lopez (45)

Foto: Mario Heller

«Mein Auto hat die Farbe Pink als Symbol gegen Krebs», erzählt Mary Lopez, die vor zehn Jahren die Diagnose Nierenkrebs bekam und sich eine Niere entfernen lassen musste. Die Mutter von sieben Kindern ist seit 30 Jahren mit einem Mexikaner verheiratet, der schon als Teenager in der Lowrider-Szene aktiv war. Irgendwann schenkte er ihr einen völlig verwahrlosten Chevrolet Impala, Baujahr 1963 – Lopez’ Traumauto. «Mein verstorbener Grossvater fuhr diesen Wagen und ich war immer begeistert davon.» Während fast vier Jahren restaurierte sie das Auto mithilfe unzähliger Mechaniker, versah es mit Chromteilen, neuer Farbe, frischen Polstern. «Es ist ein teures Hobby, aber ich liebe es, nachts einfach herumzucruisen, meine Musik zu hören. Dann fühle ich mich wirklich frei. Wir Frauen sassen immer neben unseren Männern im Auto. Jetzt haben wir unsere eigenen Lowrider.»

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